Kauf dir ein Nervenkostüm

Die süßeste Gefühlswelt ist von der Ökonomie durchschossen: Der Episodenfilm „Stadt als Beute“ von Esther Gronenborn, Miriam Dehne und Irene von Alberti variiert René Polleschs Theaterstück

VON MADELEINE BERNSTORFF

Das Plakat zeigt den Kopf Julia Hummers mit Gloss-Mund und platinblonder Perücke: „Was du mir gibst, hast du mir heute verkauft“, steht da knapp über einem kleinen Preisschildchen aus dem Asia-Markt. Vermarktet wird der Episodenfilm „Stadt als Beute“ von Esther Gronenborn, Miriam Dehne und Irene von Alberti als ein „in jeder Hinsicht außergewöhnlicher Berlin-Film“. Stilisierte Stadtpläne im Vorspann werden so schnell weggeschnitten, dass sich keine topografische Einordnung entschlüsseln lässt. Im Laufe des Films stellt sich heraus, dass sich das meiste rund um die Kastanienallee in Prenzlauer Berg abspielt. Einzig die letzte Episode beginnt im Schöneberger Sozialpalast und schiebt sich durch die Potsdamer Straße auf den Potsdamer Platz zu, wo der Protagonist OhBoy (David Scheller) im fahlen Licht des Sonyforums einen Brunnentanz aufführt und sich ins Wasser legt – bis dann der Wachschutz kommt.

Das Buch „Die Stadt als Beute“ von Klaus Ronneberger, Stephan Lanz und Walther Jahn erschien Ende der Neunzigerjahre und ist eine prima lesbare Beschreibung der neuen Stadt-Verhältnisse von Stuttgart bis Leipzig, Berlin und Oberhausen. Noch vor diesem Buch gab es die Innenstadtaktionen, die die Entwicklung vom öffentlichen hin zum investorengeprägten städtischen Raum in Frage stellten. Weiter ging es mit einem Theaterstück von René Pollesch, das sich auf jenes Buch bezog und in der Saison 2001/2002 den Prater bespielte. Eine fulminante Theorie-Umsetzung im Tonfall geleierter Soap-Sprechweisen. Gelegentlich suggeriert die Inszenierung den Dauerdienstleistungstonfall von Call-Center-MitarbeiterInnen, dann zucken die post-hysterisch gebrüllten Sätze.

So ergibt sich eine Verschiebung von Emotionen, die wesentlich ist für die Inhalte. Es geht um affektive Ökonomien und darum, wie im Postfordismus noch die süßlichste Innerlichkeit durchschossen ist von ökonomischen Parametern, wie Kriterien wirtschaftlichen Managements, Reüssierens und Versagens sich in jeden einzelnen Gefühlshaushalt eingeschrieben haben. „Du bist Beute – kauf dir ein schickes Nervenkostüm.“ In diesem Theater schreien sich aber auch Reste von Politisierungs-Bedürfnissen ihren Weg, nicht als Parodie, sondern im besten Fall als turbokapitalistische Versatzstücke und Sehnsuchtsmotive.

Natürlich ist das eine Form, die für die Bühne geschaffen ist und sich so nicht auf einen Film übertragen lässt. Doch wenn der Film „Stadt als Beute“, der aus drei Episoden von drei Regisseurinnen um drei ProtagonistInnen zwischenzeitlich einen beeindruckenden „Backstage“-Plot zeigt, ist er noch am nächsten an diesen Fragen dran. Manchmal sprechen sich die Texte eher durch die Schauspielenden hindurch als umgekehrt. Auf verhaltene Weise geht es hier auch um das ästhetische Programm Polleschs: „Versuch gar nicht uns ein Gefühl unterzujubeln, du musst hier nicht zeigen, dass du das mit Emotionen füttern kannst.“ Das ist zu viel von dem ganzen Klimbim, Brimborium und zu wenig von „Was hat das mit dir zu tun?“. „Gesteuerte Improvisation“ nennt sich die Methode.

In der ersten Episode kommt der Schauspieler Marlon (Richard Kropf) aus der Provinz an und landet direkt in der Probensituation, in der er mit seinem Botentheater-Sprechstil komplett aufläuft. Umgeben von einer unausgesprochenen So-geht’s-gar-nicht-Stimmung verbringt er dann die Nacht in Clubs mit einer Mittelgescheitelten, die ihn mit ihrer schwärenden Spezial-Effekt-Brandwunde geködert hat. Als es ihn zurückzieht in den Prater zur Probe, muss er erst mal kotzen. Die Schrecken der durchgemachten Nacht haben ein Wunder getan: Nun kann er seinen Text richtig sprechen: „diese Scheiß-Heroin-Oper“.

In allen drei Episoden dürfen die ProtagonistInnen kathartische Situationen durchleben, die sie zum guten Schauspiel führen. Bei Lissy (Inga Busch) gehe es vielleicht darum, dass man seine Subjektivität verkaufen kann, meint Pollesch. Sie hat sich einen Mantel geraubt, ist mit ihren roten Trittchen geflohen und landet im Club Rush hour. Knutschen im Talmi-Land. Mit dem schönen Callboy Julian (Stipe Erceg) und der Pornodarstellerin Babe (Julia Hummer) tauscht sie Glitter von Gesicht zu Gesicht und die Käuflichkeit bricht wieder durch. Da wo ich lebte, da ist jetzt ’ne Verkaufsfläche. „Wir haben doch oft darüber geredet, dass es nicht darum geht, dass wir die Scheiße, über die wir reden, auch abbilden,“ sagt der Regisseur und gelangt so zur Widerspenstigkeit in Abbildungsverhältnissen.

Die verarmte Stadt und ihr vermeintlicher Gegenpart bilden sich schon längstens ab. Denn inzwischen könnten wir in diesen Beute-Städten von einer VW-Bibliothek zu einer Flick-Sammlung wandern, bei Burda den „Visual Turn“ bequatschen, Bertelsmann-Schinkel besichtigen und dann die „Hertie School of Governance“ aufsuchen. Sollten wir da wirklich überall reindürfen und -wollen?

„Stadt als Beute“, Regie: Irene von Alberti, Miriam Dehne, Esther Gronenborn. Mit Julia Hummer, Inga Busch u. a. Deutschland 2005, 93 Min.