Das Ende einer Liaison

Mit seinem neuen Film „Melinda und Melinda“ nimmt Woody Allen vorerst Abschied von Manhattan. Er ist die selbstreflexive und elegante Schlusspointe einer Epoche

Nur die doppelte Melinda, die der Titel verspricht, wird in den zwei Geschichten, die hier erzählt werden, von derselben Darstellerin verkörpert: Radha Mitchell. Die einzige Gemeinsamkeit der restlichen Besetzung ist die, dass Woody Allen diesmal gleich doppelt nicht auftritt. Und einerseits ähnelt die eine Melinda der anderen, andererseits auch wieder nicht. Auch die Geschichten, in denen Melinda als Angelpunkt fungiert, ähneln einander und auch wieder nicht. Das ist kein Zufall, denn die Rahmenerzählung entwirft sie als zwei verschiedene Versionen einer einzigen Ausgangssituation. Beide Geschichten sind die Kopfgeburten zweier Erzähler, die Woody Allen an einen Restauranttisch in Downtown Manhattan setzt wie einst Louis Malle in „Mein Essen mit André“ seine Diskutanten André Gregory und Wallace Shawn. Im Auftreten Wallace Shawns wird das Vorbild sogar buchstäblich zitiert.

Geklärt werden soll in der doppelten Erzählung die Frage, ob die menschliche Existenz besser als Komödie oder als Tragödie zu erzählen ist. Auf dem Spiel steht dabei nicht die Alternative von Optimismus und Pessimismus – schließlich sind wir hier bei Woody Allen, dem finstersten Komödianten diesseits von Samuel Beckett –, sondern die zwischen einem Absurdismus mit eher komischen und eher tragischen Elementen, auch von vorläufig gutem und schlechtem Ausgang. Am Ende aller Vorläufigkeiten macht der Tod, der hier lässig fingerschnippend als Filmschluss auftritt, bei Woody Allen alles zum Endspiel. Und bevor es endet, spielt einzig der Zufall immerzu Schicksal.

Kein Zufall ist, dass es in der komischen wie der tragischen Melinda-Version um Kuppelei geht, menschliche und darum zum Scheitern verurteilte Versuche, Schicksal zu spielen. Die Ausgangssituation: Melinda platzt als explosives Element in das Leben eines Paares, das ohne sie schon genug Probleme hat. Im einen Fall (mit Chloë Sevigny und Johnny Lee Miller) hat die Frau Geld, aber keinen Plan, und der Mann als Schauspieler keinen Job, aber ein Alkoholproblem. Im anderen Fall (mit Amanda Peet und Will Ferrell) hat sie die Idee für einen Film, den sie nur finanzieren kann, wenn sie ihn rausstreicht, und beide haben sie schon lange keinen Sex mehr. Mitten hinein ins Dinner und in die festgefahrenen Situationen gerät jeweils Melinda, eine alte Schulfreundin im einen, die neue Nachbarin im anderen Fall. Und in beiden Fällen ein seelisches Wrack.

In der tragischen Geschichte hat sie eine Ehe, den Mord an ihrem treulosen Geliebten und einen Selbstmordversuch hinter sich, den Verlust der Kinder im Rechtsstreit vor sich. In der komischen Variante hat sie, als sie bei den Nachbarn klingelt, gerade 28 Schlaftabletten geschluckt und bittet taumelnd um einen Wodka zur Beruhigung. Beide Paare wissen ihr und damit auch sich nicht anders zu helfen, als Ausschau zu halten nach Zahnärzten mit Geld und ohne Frau. Die Kuppelei setzt Besetzungs- und Ersetzungsenergien frei, die für die beiden Paare eher lösende als bindende Wirkung entwickeln, und am Ende wird, hier wie da, nichts sein, wie es war.

Bleibt die doppelte Frage: Ist es komisch? Ist es tragisch? Die Antwort lautet in beiden Fällen: Nicht so richtig. Einerseits ist das kein Wunder. Vorgeführt wird Woody Allens Weltbild, mal dunkler und mal heller gefärbt. Die Unterschiede liegen eher im Detail als im großen Ganzen, das kunstvolle Spiel von Liebe, Tod und Zufall bleibt vor dem Hintergrund eines allgegenwärtigen Absurdismus eher finster. Andererseits waren Woody Allens Witze wirklich schon mal frischer als die One-Liner, die in der komischen Variante dem seine Rolle mit allerlei Allen-Manierismen auskleidenden Will Ferrell in den Mund gelegt werden. Und Allen war auch schon bösartiger, zuletzt in „Harry außer sich“, einem Film, in dem die Komödie und alle Bitternis, zu der Woody Allen fähig ist, überzeugend ineinander aufgehen.

Interessant ist „Melinda und Melinda“ dennoch – als poetologische Selbstauskunft Woody Allens, auch als eine Art Bilanz seines bisherigen Werks. Nicht zuletzt markiert „Melinda und Melinda“ nämlich das (vorläufige) Ende einer vermeintlich unzerbrechlichen Liaison, der von Woody Allen und Manhattan. Seinen jüngsten Film „Match Point“ hat Allen nach vielen Flops der letzten Jahre und deshalb großen Problemen mit seinen amerikanischen Produzenten erstmals in Europa, genauer gesagt: in London gedreht. „Match Point“ lief vor kurzem in Cannes, außer Konkurrenz, von vielen Kritikern dennoch als bester Film des Festivals bejubelt. Der Regisseur, hieß es überschwänglich, sei in dieser Arbeit kaum wiederzuerkennen. Als selbstreflexive und elegante Schlusspointe einer Epoche ist „Melinda und Melinda“ trotz mancher Schwächen sehenswert. Wie schön, dass wir darüber hinaus auf ein spannendes Alterswerk hoffen dürfen.

EKKEHARD KNÖRER

„Melinda und Melinda“, Regie: Woody Allen. Mit Radha Mitchell, Chloë Sevigny u. a., USA 2004, 100 Min.