zwischen den rillen
: Poperweiterung Ost

So funktioniert ein Dancefloor: Auch die zweite Folge der Compilation „Bucovina Club“ ist zugleich modern und verschwitzt

Nie klang osteuropäische Polkamusik so seltsam vertraut wie auf Stefan Hantels diese Woche erschienener zweiter Sammlung von Tanzmusik aus der Bucovina. Seit der Veröffentlichung der ersten Folge von „Bucovina Club“ 2003 hat der Frankfurter DJ und Produzent nicht nur trotz allgemeiner Krise und somit allgemeinen Trübsinns 30.000 Exemplare seiner CD-Compilation absetzen können. Er löste auch eine Welle der Berichterstattung über die Bucovina aus, jenen Landstrich in der nordwestlichen Ukraine, der sich direkt aus dem Kochbuch für Plätzchenrezepte der Czernovitzer Großeltern Hantels („Die Bucovina existierte für mich als Erinnerung an Geschmäcker und Gerüche aus Omas Küche“) in die Feuilletons gemogelt zu haben schien.

Dabei hat Hantel, der sich Shantel nennt, in den vergangenen zweieinhalb Jahren alles unternommen, um den Eindruck zu vermeiden, es handle sich bei seiner Suche nach der verlorenen Musik bloß um eine clevere Idee oder gar einen ideenräuberischen Abbau Ost: Ob gemeinsam mit Live-Bands wie Taraf de Haïdouks (Clejan, Rumänien) oder Gogol Bordello (Manhattan, USA) oder allein als DJ – Shantels Mission trug Züge einer Osterweiterung westeuropäisch geprägter Szenen. Das war zeitaufwändig und führte den heute 36-Jährigen schließlich dorthin, wo angeblich alles begann, eben nach Czernovitz – damals k.u.k.-Handelszentrum, jüdische Diaspora und Schmelztiegel der Kulturen, heute postsowjetische Peripherie. Dort legte der DJ vor über 10.000 Menschen auf dem Marktplatz auf: Dem Bürgermeister, so wird berichtet, standen Tränen in den Augen, als sich Hantel ins goldene Buch der Stadt eintrug. Shantels handgesägte Mythologie mit ihren abenteuerlichen Schilderungen enthemmten Wodkakonsums auf Bucovina-Abenden im Schauspiel Frankfurt und Berichten über Reisen in rumänische Matschdörfer prägen und bedingen alles, was über „Bucovina Club 2“ zu sagen ist. Was ja nicht schlimm ist, im Gegenteil: Die Spannung zwischen Leidenschaft (jene Melodien!) und Kalkül (diese Beats!) profitiert von den Mythen und die Mythen wären Tüten, wäre die Musik nicht so raffiniert grobschlächtig.

Betrachtet man die Flut von Veröffentlichungen, die seit Shantels Osterweiterung von ein und denselben Künstlern (aber auf anderen Labels) erschienen sind, stellt man fest: Im Bucovina-Club ist die Musik von Fanfare Ciocarlia oder Goran Bregovic cutting edge, schweißdampfend und ultramodern, auf ihren regulären Albumveröffentlichungen hingegen klingt sie oft klinisch und steril, allenfalls halsbrecherisch akrobatisch in der Handhabung der Instrumente.

Das liegt an Stefan Hantels Interpretation seiner Tätigkeit als Produzent und Arrangeur: „Ich liebe die Musik, wie sie von den Musikern live gespielt wird, vor Publikum, als Interaktion. Das lässt sich in einer anonymen Studiosituation jedoch selten nachstellen. Ich greife daher in die Musik ein. Ich arrangiere Beats und Breaks neu, weil ich weiß, wie der Dancefloor funktioniert. Durch diesen Kunstgriff wirkt Musik, die sich aus Live- und programmierten Elementen zusammensetzt: Ohne, dass eine Band auf der Bühne steht, tanzen die Leute trotzdem.“

Shantels Rearrangements und Produktionen auf „Bucovina Club 2“ wirken unkorrumpiert, frisch, manchmal sogar echter als echt. Tracks von Slovanski Bal oder Dr. Nelle Karajlic, Dejan Sparavalo & Vojislav Aralica bearbeitete Shantel so behutsam, dass sie im Verbund der Aufnahmen wie in einem Take eingespielte Stücke klingen. Zugleich implantierte er der Musik Loops, konstruierte neue dramaturgische Wendungen und verfugte Instrumentalsoli raffiniert in dichte Rhythmuspatterns. Was man auf echten Konzerten, in echten Live-Situationen nie so hören würde, erscheint auf „Bucovina Club 2“ für das westliche Ohr meist authentischer als jede authentische Aufnahme.

Die von Shantel remixte Nummer „Da Zna Zna Zora“ vom Sandy Lopic Orkestar etwa beginnt mit einem einminütigen Intro, das trotz des Einsatzes traditioneller Instrumente formal die Hörgewohnheiten von Ambient-Clubmusik bedient – bevor es zu einer wilden, mit schwindelerregend präzisen Bläsersätzen gekrönten Tanznummer erwächst. In anderen Tracks auf „Bucovina 2“ bediente sich Shantel bewährter, spannungsfördernder Effekte aus der House- und Technomusik, etwa wenn nach einem Break vier Takte Stille einkehren, nur um anschließend von Posaunen, Geigen oder Quetschkommoden hinweg gefegt zu werden.

„Bucovina Club 2“ wird nächste Woche wahrscheinlich auf Platz eins der deutschen World Music Charts einsteigen. Das liegt an der Einlösung gegebener Versprechen: Der Schlüssel zur Erinnerung liegt wie immer in den Gerüchen, in diesem Falle Omas Plätzchen. Shantel hat lediglich unser imaginiertes Unterbewusstsein angesprochen.

MAX DAX

„Bucovina Club 2“ (Essay Recordings/ Indigo)