Hilflose Unterstützung armer Indianer

Eine Oper mit Anliegen – am Donnerstag wurde Hans Zenders „Chief Joseph“ an der Berliner Staatsoper uraufgeführt

Hans Zender erinnert mit seiner Oper an Chief Joseph – von 1871 an Häuptling des Indianerstammes der Nez Percés

Mit Baugerüsten ist die Bühne erfüllt und mit durch Plastikplanen verhängte Fassaden. Indem das Orchester seine Arbeit aufnimmt, füllt sich die Installation rasch mit Passanten und Sicherheitskräften, die einen Vorgeschmack auf ihren Willen zur Meinungs- und Bewegungsfreiheit geben oder verselbständigte Gewaltrituale andeuten. Riesige Werbeflächen ziehen auf – für Bier, Kino und eben überhaupt für den American way of life.

Ein Tourist – es ist der mit elegantem Tenor hervortretende Florian Hoffmann – begibt sich auf die Suche nach Chief Josephs Grab; er tritt so linkisch-dogmatisch-abstrakt, wie junge Leute dies nun einmal nicht selten tun, für die Rechte der Indianer ein und formuliert Einwände an die Adresse der eigenen Leute: „Wir haben die Natur und eine große Kultur vernichtet.“ Deren deklassierte Erben aber deuten neben dem Müllcontainer nicht nur rituelle Tänze an, sondern klagen an: „Man kann nicht verkaufen, was einem nicht gehört.“

Chief Joseph (eigentlich: Hin-mah-too-yah-lat-kekht/„Der Donner, der über die Berge rollt“) war von 1871 an Häuptling des nordamerikanischen Indianerstammes der Nez Percés. Aufgespalten in vier Figuren – sie verkörpern mit Alfredo Daza, Meik Schwalm, Wolfgang Newerla und Georg Drexel den Häuptling in verschiedenen Lebensstadien – hat Hans Zender an diesen Protagonisten nordamerikanischer Geschichte und seinen verlorenen Kampf erinnert. Es handelt sich – nach „Stephen Climax“ (Frankfurt 1986) und „Don Quijote“ (Stuttgart 1993) – um das dritte große Bühnenwerk des Dirigenten und Komponisten Zender.

„Chief Joseph“ reiht sich ein in die lange Linie der „Indianer-Opern“, die von Henry Purcells „Indian Queen“ über Jean-Philippe Rameaus Ballettoper „Les Indes galantes“ und Carl Heinrich Grauns „Montezuma“ (Berlin 1755) bis zu Marc Neikrugs „Los Alamos“ (Berlin 1988) reicht und Wolfgang Rihms Artaud-Fortschreibung „Die Eroberung von Mexiko“ (Hamburg 1992) als die bislang bizarrste Form der musikalischen Auseinandersetzung mit dem Antagonismus der Kulturen einschließt.

Die Hinweise auf die von den Einwanderern begangenen Rechtsbrüche und auf die von den Eroberern hinterlassenen Blutspuren werden energisch hinausgesungen. Immer wieder wird „der weiße Mann“ angeklagt, der das Land der Indianer annektierte, sie in sein ungerechtes Rechtssystem presste und den Ureinwohnern des Landes seine Religion und Zivilisation aufnötigte. In den drei Akten der Oper werden, so der Anspruch der Betreiber, anhand fiktiver wie historischer Lebensstationen der Titelfigur Grundprobleme zugleich unserer Zeit thematisiert: Verantwortlichkeit gegenüber der Umwelt, Profitstreben im Kontrast zu Spiritualität sowie Kriegstreiberei contra Pazifismus. Eine westliche, „aufgeklärte“, jedoch in Macht- und Besitzstreben befangene Haltung wird dem spirituell geprägten, naturverbundenen Weltentwurf der Indianer gegenübergestellt.

Die Befürchtung liegt nahe, dass es sich bei „Chief Joseph“ um ein Stück Gesinnungskunst handelt, zumindest um ein verspätetes Lehrstück. Peter Mussbach, Intendant der Berliner Staatsoper und Regisseur der Uraufführung, modifiziert dies behutsam: „Die Gefahr besteht. Aber es geht ja nicht um die Frage: Sind die Indianer die ewig Guten und damit auch die ewig Unterdrückten von den – modernistisch gesprochen – schon damals im Ansatz turbokapitalistisch orientierten Weißen. Sondern es geht vielmehr um eine Konstellation am Beispiel des Genozids an den Indianern – um ein grundsätzliches Phänomen: dass wir unsere Geschichte nie loswerden und dass nun nicht etwas wird, was heißt: ewiges Schuldgefühl und Sozialkitsch, sondern innere Gewissheit, dass dem so nicht mehr sein darf.“

Eine Oper mit „Anliegen“ bleibt Hans Zenders drittes großes Bühnenwerk in jedem Fall. Sie verfügt – wie bereits „Don Quijote“ – über eine klar in Abschnitte gegliederte Partitur, in der die verschiedensten Schreibweisen versammelt werden. Ein „geschlossenes Kunstwerk“ war nicht intendiert: Von der nicht sonderlich musikalischen Sprache des Schlagstocks bis zu ruhig ausladender Sopran-Cantilene, die nach unten und oben oszilliert, stattet ein jeweils spezifischer Ton die einzelnen Szenen aus. Die Bandbreite reicht vom bloßen Sprechen bis zum harmonisch wirkenden Indianer-Männerquartett mit feinen Schlagzeugimpulsen oder zum O-Ton des Funkkontakts mit dem Bomberpiloten vorm Abwurf der Atombombe über Hiroschima, vom Tierhornruf bis zum Big-Band-Sound. Johannes Kalitzke kämpft im Orchestergraben wie ein Löwe, um dem teilweise etwas spröden musikalischen Material einen Zug zum großen Ganzen zu vermitteln. Auffällig tritt das Ajeng, ein traditionelles koreanisches Saiteninstrument, von der Proszeniumsloge aus in Klangaktion.

Wie die Musik zu dem allzu schwarz-weiß gezeichneten „Chief Joseph“ im Theater stärker wirken könnte, lässt sich wohl erst sagen, wenn sich ihr ein nicht gar so dröges Bühnenbild zugesellte. Und vor allem eine Inszenierung, welche die Lehrstückhaftigkeit und das überhand nehmende gut gemeinte kritische Anliegen Zenders aufbricht. Es scheint, als habe es Peter Mussbach am Mut gefehlt, in kritische Distanz zur Vorlage zu gehen und genau das zu zeigen, was er eigentlich beansprucht – keinen Sozialkitsch zu produzieren. FRIEDER REININGHAUS