Sausen, duschen, brausen

Hat man einmal damit angefangen, kann man so schnell nicht wieder aufhören: eine Eloge auf die Fassbrause, dieses bierfarbene Getränk, das jeder Alkolimo und jedem Energydrink vorzuziehen ist

VON TOM WOLF

Ist man lange und schweißtreibend mit dem Fahrrad gesaust, vielleicht sogar mit dem Lübarser Dorfkrug als Nordberliner Etappenziel, muss man brausen. Nein, nicht im WWW und auch nicht unter der Dusche, sondern via Glas. Am Schönsten wäre es, sich gleich unters Fass zu legen und die Brause in den Mund laufen zu lassen, wenn die einem das im Dorfkrug in Lübars nicht untersagen würden. Überhaupt ist es selten, dass man die Fassbrause noch direkt vom Fass bekommt. Auf den Flaschen, in denen sie abgefüllt in Berlin erscheint (und neuerdings im gesamten Infusionsgebiet von Aldi-Nord), müsste korrekterweise „Flaschbrause“ stehen, aber wem in der Wirtschaft bedeutet Aufrichtigkeit heute schon noch etwas?

Beim nächsten Getränkeladen wird Halt gemacht und eine Flasche Rixdorfer Fassbrause gekauft. Hat man einmal angefangen, davon zu trinken, kann man nicht mehr so leicht aufhören. Das beinahe bierfarbene Getränk mit seinem hellen Schaum hat bereits literarische Ehren erlangt. „[N]üchtern sind Ahorn, Blauwal, CCFliege, Donner, Elok, Faßbrause, Granulat, Hofrichter, Irratio und der Orden Societas Jesu“, schrieb der Dichter Horst Tomayer in dem die Wortkunst kühl zu Ende denkenden Text „Nein zum Rausch“ (1995).

Nicht allein für prosaisch und leidenschaftslos sondern als Synonym für streitbaren Antialkoholismus und Fitnesshype galt die Fassbrause dagegen dem Dichter Wiglaf Droste. In „Aufstand der Säfte“ (1993) heißt es: „Bier- und andere Flaschen zerschlagen!, skandieren die Sport-Drinks und stürmen unter der Führung einer Flasche Rixdorfer Faßbrause hunderte von Schnapsläden und Gastwirtschaften.“ Mit gnädigem Permiss: Hier irrt der Dichter! Denn die Fassbrause stellt, wie in der Folge noch en detail nachzuweisen sein wird, mitnichten einen Saft, geschweige denn einen so genannten Sport-Drink dar, kann infolgedessen auch keine Führungsaufgaben für jene (die Sport-Drinks und Säfte) übernehmen. Um als Saft zu gelten, ist der Fruchtanteil in der Fassbrause viel zu gering. Für einen Sport-Drink ist sie zu zuckerarm und zu natürlich.

Was die Rixdorfer Fassbrause überhaupt so alles enthält, erzählt uns jetzt das Etikett: „Natürliches Mineralwasser, Zucker, Limonadengrundstoff (mit Säuerungsmittel Citronensäure, Malzextrakt und natürlichen Aromen), Kohlensäure“. Woraus erhellt, dass die Rixdorfer Fassbrause eine Limonade ist. Fast ist man geneigt zu glauben, das Getränk werde mit Wasser aus Bad Liebenwerda bei Cottbus auch ebenda hergestellt. Der Getränkehändler hingegen verrät, dass die Berliner Kindl Brauerei auf dem Rollberg in Rixdorf (heute Neukölln) dahintersteckt.

Zu Hause nach dem Sausen und Duschen wird erfrischt und munter der „Fassbrause“ weiter nachgebrowst. Die Berliner Firma „Wild Flavors“ rühmt sich etwa, „weltweit der größte Produzent natürlicher Aromen“ zu sein. „Manche Rezepte sind uralt und geheim. Wie die Ingredienzien der Berliner Fassbrause, die Wild bis heute produziert. Wer hätte gedacht, dass es ein Extrakt aus Süßholzwurzel und Apfel-Citrus ist, der sie so erfrischend und schäumend macht?“ Wir nicht, oder?

Geheim ist das jetzt aber nicht mehr, möchte ich behaupten. Von anderen Limonaden unterscheidet sich die Fassbrause durch den geringeren Zucker- und moderateren Kohlensäuregehalt. Erst seit 1954 übrigens wird CO2 von der Firma Linde industriell verflüssigt und zum Karbonisieren in der Getränkeindustrie eingesetzt. Zuvor hatten Sprudelwasser nur den natürlichen Kohlensäuregehalt, der schon die Römer beim Baden in heißen Quellen faszinierte.

Allen Kohlensäurefans sei nebenbei verraten, dass CO2 auch heute noch vor allem von Linde hergestellt wird. Im Industriepark in Marl etwa fabriziert man es aus den Kohlendioxidabgasen, die bei der Herstellung von Waschmittelvorprodukten anfallen. Jedes schale mineralische Schlappwasser kann damit zum spritzigen Bombensprudel aufgeblasen werden. Außerdem kommt als Sprudelgas natürlich-unnatürlich auch Stickstoff zum Einsatz.

Fragt man den Großen Brockhaus nach der Fassbrause, wird er ganz klein. Dito Meyers Konversationslexikon. Schämen sollte sich auch das dreibändige Handlexikon der Getränke, denn es kennt nur Brausepulver und zählt törichterweise die Sorten auf, die es gibt: Himbeer, Erdbeer … Die Große Coron Enzyklopädie immerhin faselt von einem Getränk namens Brause, „bei dem natürliche Essenzen durch künstliche oder künstlich verstärkte Essenzen ersetzt sind“.

Bliebe zu ergänzen: Wer natürliche Essenzen nachmacht oder verfälscht oder sich künstlich verstärkte Essenzen verschafft und in Verkehr bringt, wird mit abgestandener Berliner Weiße (nicht unter zwei Jahren alt) bestraft.

Für die Fassbrause sind definitionsgemäß nur natürliche Aromaessenzen zulässig. Abweichen vom Geschmack machen aus der Fassbrause ein beliebiges Irgendwas – die frech „Fassbrause“ genannte Himbeerlimonade des Einsiedler Brauhauses, Chemnitz, schreibe sich das hinter die hellroten Bläschen, die sie wirft.

Der Kulturjournalist Henryk M. Broder betrachtete die Fassbrause 1992 erstmals in einem dezidiert politischen Kontext: „Seit der Kulturkampf zwischen der deutschen Bratwurst und dem amerikanischen Hamburger zugunsten des US-Imperialismus entschieden wurde, seit Coca-Cola die letzte Erinnerung an die gute alte Faßbrause ausgelöscht hat, steht nicht nur die ideelle Neubewertung der alliierten Landung in der Normandie im deutschen Raum.

Es müssen auch Fragen der nationalen Identität neu gestellt und anders als bisher beantwortet werden.“ Was so isoliert zitiert wie eine Verlautbarung des Großdeutschen Rundfunks klang, war ironisch gemeint. Fassbrause galt dem Autor als Synonym für ewiggestrige Deutschtümelei.

Peter Köhler hat in „Berlin, Deutschlands Hauptstadt“ 2000 vor allem den Berliner Lokalpatriotismus in Sachen Spezialitäten auf die Schrippe, pardon Schippe genommen: „Schrippentoll stippt Molle Faßbrause knispelig knorke mittenmang. Der Strotz total!“

Das letzte Wort über die Fassbrause sei damit aber noch nicht gesprochen. Ihre Kandidatur bei der Wahl zum deutschen Einheitserfrischungsgetränk fände unsere vollste Unterstützung.

Gerade in Zeiten gehirnzersetzender Alkolimos und Energydrinks könnte vom Neuköllner Rollberg eine Bugwelle der Ernüchterung und moderaten Belebung ausbrausen und quirlig über Land rollen. Bei unsrer Treu!