Bum, bum, bum versteht jeder

Der Körper und der Kater nach der Techno-Euphorie: der Sammelband „Gendertronics“

Der Diskurs über den Körper in der elektronischen Musik ist so alt wie die elektronische Musik selbst. Schon Kraftwerk stellten mit ihrem Mensch- Maschine-Konzept die Frage, ob es nicht langsam an der Zeit wäre, den furchtbar transpirierenden Körper des Rock-’n’-Rollers durch ein paar Roboterpuppen zu ersetzen. Überhaupt beschäftigt uns die Frage nach der Zukunft des Körpers heute mehr denn je. Wir leben in Zeiten, in denen manche davon träumen, sich endlich ihres Körpers entledigen zu können und als Gehirn auf einer Festplatte fortzuexistieren, während gleichzeitig HipHop-Videos einen Körperkult wie selten zuvor zelebrieren.

Vor allem die Gender Studies kreisen immer und immer wieder um den Körper und seine Einschreibungen von männlicher Macht oder weiblicher Unterwerfung. Als es Anfang der Neunzigerjahre so richtig losging mit Techno und der Clubkultur, wollten sie darin endlich die große Jugendkultur entdeckt haben, die die Geschlechtergrenzen sozusagen tanzend überschritt. Die neue Bewegung versprach vieles gleichzeitig: Die Produktionsmittel sollten neu verteilt werden, und nach der Macho-Ära des Rock erwartete man jede Menge Frauen an den DJ-Pulten. Auf der Love Parade rannten Jungs plötzlich unheimlich weiblich in Röckchen herum, und in den Clubs waren Frauen und Männer gleich, hieß es, weil alle zu denselben Beats tanzten und Männer nicht mehr nur weibliche Körper auf den Tanzflächen angafften.

Was aus dieser schönen neuen Welt nun geworden ist, darum dreht sich unter anderem der Sammelband „Gendertronics“. Das Buch handelt von der Post-Euphorie. Es werden also nicht zum hundertsten Mal all die bekannten neuen Körperkonzepte unter den Bedingungen der Clubkultur abgefeiert, sondern es wird im Gegenteil ein historisierender und kühler Blick auf das geworfen, was von Techno und elektronischer Musik als führender Jugendkultur übrig geblieben ist.

Der Bogen ist weit gespannt: Er reicht von Stockhausen bis in die ferne Zukunft. Immer wieder geht es dabei um das Ende der Utopien. Was in die ernüchternde Erkenntnis der Jugendkulturenforscherin Birgit Richard mündet: „Der Sexismus des Rock […] findet also auch in der Clubszene statt“, denn dort seien Frauen „als Konsumentinnen und Dienstleisterinnen gerne gesehen, als musikalischer Motor des Abends weniger gerne.“ Das ganze Gerede vom Club als temporärem Ort egalitärer Glücksversprechungen war also eine Schimäre. Das findet auch der Berliner Elektronikproduzent und Musiker von Rechenzentrum, Marc Weiser: „Aufhebung der Klassen- und Geschlechterunterschiede, Demokratisierung der Produktionsmittel, Paralleluniversum, neue Stategien, Subversivität … Das Einzige, was ich verstehe, ist bum, bum, bum.“

Doch in „Gendertronics“ wird Kritik nur selten so konkret geäußert wie bei Richard und Weiser. Die einzelnen Aufsätze wurden vielmehr so angeordnet, dass sich so etwas wie ein Zentrum des Diskurses gar nicht erst herausschält. Die Herausgeberin Meike Jansen hat in spielerischer Weise eher versucht, ihr Buch selbst wie einen elektronischen Track anzuordnen, also als offenes System, das sich konträr zum geschlossenen Songprinzip verhält, dem der Schriftsteller und Musiker Thomas Meinecke attestiert, hoffnungslos männlich codiert zu sein.

„Gendertronics“ mäandert somit lieber vor sich hin, und wenn etwa Diedrich Diederichsen über „Unheimlichkeit, Pulse, Subjektlosigkeit, Befreiung“ philosophiert, fühlt man sich als Leser dem Text ausgesetzt, ohne noch irgendwo einen roten Faden zu erkennen. Doch hier funktioniert das Buch rein formal als Abbildung seines Inhalts und am Ende selbst wie ein gutes DJ-Set: Man fragt nicht mehr nach einem Anfang oder dem Ende, sondern lässt sich einfach treiben. ANDREAS HARTMANN

„Gendertronics“. Hrsg. von Club Transmediale und Meike Jansen. Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005, 204 Seiten, 9 Euro