Im Griff der Konservativen

„Ich bin stolz, der Straßenkehrer der Nation zu sein“

VON KARIM EL GAWHARY

Ein erzkonservativer ehemaliger Revolutionsgardist als neuer iranischer Präsident: Mahmud Ahmedinedschad genoss seinen überraschenden Wahlsieg am Sonntag ganz offensichtlich, als er der Welt „eine beispielhafte, starke und fortschrittliche islamische Nation“ ankündigte und dem Iran eine „neue Ära“.

Nachdem er die Wahl mit fast 62 Prozent der Stimmen gewonnen hatte und den eigentlichen Favoriten, den als pragmatischen konservativen Reformer geltenden Ali Haschemi Rafsandschani, so weit abgeschlagen hatte, dass selbst Vorwürfe vereinzelten Wahlbetrugs nicht mehr relevant scheinen, brach im Westen, aber auch unter Irans Liberalen Panik aus. Manche sprachen bereits von einem neuen Taliban-Regime in Teheran.

Doch wurde die politische Landschaft des Staates an diesem Wochenende tatsächlich umwälzend verändert? Irans Konservative hatten, mit Ausnahme des Präsidentenamtes, bereits zuvor alle wichtigen Institutionen des Staates unter ihrer Kontrolle: das Parlament, der Wächterrat, die Justiz und nicht zuletzt das mächtigste Amt im Staate, das des nicht demokratisch gewählten obersten religiösen Führers mit der Person Ali Chameneis. Das Präsidentenamt vervollständigt nun den konservativen Griff auf den Staat. Doch dass sich Irans Politik durch diese Monopolstellung grundsätzlich verändern wird, ist unwahrscheinlich.

Die iranische Gesellschaft führt schon lange ein von der Politik getrenntes Eigenleben, in dem sie sich ihre liberalen kleinen Freiheiten in den letzten Jahren still und leise wieder erkämpft hatte. Selbst die konservativen Iraner sind pragmatisch genug, um zu wissen, dass sich das Rad der Geschichte nicht ohne weiteres zu den Zeiten Ajatollah Chomenis und dessen islamischem Totalitarismus zurückdrehen lässt. Bei seiner ersten Pressekonferenz am Sonntag sprach Ahmedinedschad von einer moderaten, friedlichen neuen Regierung, in der Extremismus nicht toleriert werde, ohne dies allerdings mit konkreten Inhalten zu füllen. Sein Sprecher, Nader Schariatmadari, hatte zuvor versucht, die Sorgen der Liberalen zu zerstreuen „Wir werden es nie verhindern, dass sich unsere Land vorwärts bewegt, wir werden nie einen Schritt zurück machen“, erklärte er und versprach, „die private Freiheit der Menschen zu respektieren“, allerdings mit der Einschränkung, „solange die Freiheit nicht den gesetzlichen Rahmen verlässt“.

Bleibt die Frage, warum die Iraner überhaupt dem Hardliner Ahmedinedschad mit solch überwältigender Mehrheit ihre Stimme gegeben haben, wenn der harte Kern der streng religiösen Konservativen auf nicht mehr als ein Fünftel der Bevölkerung geschätzt wird. Das hat wahrscheinlich weniger mit Ahmedinedschads strikten Positionen der islamischen Moral, als mit seinem zweiten Wahlkampfslogan zu tun, seinem Ruf nach sozialer Gerechtigkeit und Umverteilung des Ölreichtums.

Im Iran hat sich inzwischen bei einem großen Teil der Bevölkerung eine wirtschaftliche Frustration angehäuft, sodass die vom Westen und von Irans Reformern eingeklagten sozialen Freiheiten in den Hintergrund getreten sind. Arbeit, Lebensmittelpreise, eine Krankenversicherung waren die Themen, die die Wähler interessierten.

Ahmedinedschad hat dieses Gefühl im Wahlkampf wiederholt auf den Punkt gebracht. „Das wahre Problem des Landes sind die Arbeitslosigkeit und die Wohnungsnot, nicht die Frage, was ich an diesem Tag anziehen darf“, machte er sich über die Forderung der Reformer nach mehr persönlichen Freiheiten, etwa in der Kleiderordnung bei Frauen, lustig. Das Wahlkampferfolgsrezept des 49-jährigen Sohn eines Schmiedes ist relativ einfach: Die grundsätzlichen Werte der islamischen Revolution schützen und gleichzeitig die Ressourcen des Staates dazu verwenden, ein soziales Sicherungsnetz aufzubauen, das vor allem armen Familien dient. Und dabei immer wieder die Korruption anprangern, wie sein berühmter Schwur zeigt, „die Hände der Mafia abzuschneiden, die Irans Ölindustrie kontrolliert“, und die Einnahmen neu zu verteilen. Dabei gab er sich stets als Mann der kleinen Leute. „Ich bin stolz darauf, der kleine Bedienstete zu sein, der Straßenkehrer der iranischen Nation“, verkündete er bei seiner Stimmabgabe. Anders als sein Gegenkandidat, der Millionär Ali Akbar Haschemi Rafsandchani, hatte Ahmedinedschad sich im Wahllokal sogar geduldig in die Schlange der Wähler eingereiht.

Neben dem öffentlichen Zurschaustellen seiner Bescheidenheit geht Ahmedinedschad auch der Ruf der Ehrlichkeit voraus, den er in den letzten drei Jahren als Bürgermeister von Teheran gewonnen hat. Selbst liberale Teheraner schreiben ihm zu, die Bürokratie der Stadt verbessert zu haben. Während es die Stadt unter früheren Bürgermeistern etwa mit der Bezahlung von Rechnungen für Bauaufträge nicht so ganz ernst genommen hat und viele hohe Beamte aus ihrem privaten Reichtum keinen Hehl machten, zahlte die Verwaltung die Rechnungen pünktlich, seit Ahmedinedschad die Geschäfte führt.

Übrigens üben sich Irans Reformer, deren Präsidentschaftskandidat Mustafa Moin in der Vorrunde ausgeschieden war, bereits in Selbstkritik. Wie beispielsweise Muhammad Ali Abtahi, ehemaliger Vizepräsident und Chefberater des scheidenden Reformpräsidenten Mohammed Chatami, der im Internet schreibt, dass sich die Reformer ihre Niederlage selbst zuzuschreiben hätten. „Wir haben den Kontakt zu den kleinen Leuten verloren und uns zu sehr auf die Belange der Elite konzentriert“, schlussfolgert er.

Irans Wähler haben jedenfalls ihr Verdikt abgegeben: Nicht das Abnehmen des Tschadors, Livemusik und ein mullahfreies Leben sind ihre Priorität, sondern ein gesicherter Arbeitsplatz und ein den Lebensunterhalt sichernder gerechter Anteil an dem Ölreichtum. Und der islamische Sittenwächter Ahmedinedschad ist ihr neuer Robin Hood.

Was das Verhältnis zum Westen angeht, besteht die Sorge, Irans neuer Präsident könnte sich als eine Art „nichtlenkbarer Atomsprengkopf“ erweisen. Er hat angekündigt, das Verhältnis zum Westen verbessern zu wollen, und gab zu, dass es für den Iran unmöglich sei, sich international zu isolieren.