Zur Strategiediskussion in den Untergrund

Im mexikanischen Chiapas erklären die Zapatisten, dass ihr Rückzug in den Untergrund keine Mobilmachung für den Guerillakrieg ist, sondern eine defensive Vorsichtsmaßnahme zum Schutz des internen Diskussionsprozesses

MEXIKO-STADT taz ■ Es war das Ende einer turbulenten Woche. „Wir von unserer Seite aus planen und beraten keine Wiederaufnahme offensiver militärischer Kämpfe“, informierte der Sprecher des Zapatistischen Befreiungsheeres (EZLN), Subcomandante Marcos, am letzten Freitag.

Wenige Tage zuvor hatten die indigenen Rebellen aus dem südlichen Bundesstaat Chiapas wissen lassen, alle Mitglieder seien in die militärischen Strukturen zurückberufen worden. Diese Entscheidung sorgte für Furore. Greifen die Zapatisten wieder zu den Waffen, nachdem sie sich seit Jahren dem Aufbau autonomer Strukturen in den von ihnen kontrollierten Gebieten widmen? Drohte eine Armeeoffensive, gegen die sich die EZLN hatte wappnen wollen?

Nein, die Zapatisten zögen sich zu internen Debatten zurück und wollten diese nicht ungeschützt führen, beruhigte Marcos letztlich die Gemüter. Trotzdem wirft die Aufregung ein Licht auf die angespannte Situation, in der sich die Armutsregion auch noch fast zwölf Jahre nach dem zapatistischen Aufstand befindet.

Obwohl die „militärische Gliederung“ der EZLN nach Marcos’ Worten seit der Rebellion von 1994 nur eine defensive Rolle spielte, nahm die Armeepräsenz in Chiapas bis heute kaum ab. In den letzten zwei Monaten machte das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de la Casas die „größten militärischen Bewegungen“ seit vier Jahren aus. Und andere Nichtregierungsorganisationen wiesen letzte Woche darauf hin, dass das Militär „paramilitärische Gruppen gebildet hat, um die zapatistischen Basen zu schwächen und eine Militarisierung zu legitimieren“. Die „Militarisierung“ dürfte auch der Kontrolle der Migration aus Zentralamerika und dem Kampf gegen die von dort kommenden Maras genannten Jugendbanden geschuldet sein.

Für Unruhe sorgte zudem eine Meldung des Verteidigungsministeriums. Man habe auf zapatistischem Gebiet 44 Marihuanafelder gefunden, hieß es etwa zeitgleich zur Mobilmachung der Rebellen. Da die Regierung derzeit medienwirksam gegen Teile der Drogenmafia vorgeht, stießen Schlagzeilen wie „Narco-Guerilla EZLN“ auf offene Ohren. Die Nachricht stellte sich jedoch als falsch heraus und Innenminister Carlos Abascal Carranza musste bestätigen, dass es keine Verbindung zwischen EZLN und Drogengeschäft gebe. Zudem lud Abascal die Zapatisten nach Abschluss ihrer internen Beratungen zur Wiederaufnahme des Dialogs mit der Regierung ein.

Dafür dürften die Rebellen kaum zu haben sein. Noch immer warten sie darauf, dass die Regierung das 1996 mit der EZLN ausgehandelte Abkommen von San Andrés umsetzt. Das soll der indigenen Bevölkerung grundlegende Rechte garantieren. Zudem plane die Regierung „eine Privatisierung des Bodens und damit ein Ende des Prinzips des kollektiven Eigentums“, kritisierte Carlos Dominguez, der Sprecher des unabhängigen Dachverbands indigener Organisationen CNI. Das sei eine schlechte Voraussetzung für einen Dialog.

Innerhalb der EZLN, dem wohl radikalsten Flügel der indigenen Bewegung Mexikos, ist die Stimmung gegenüber der „politischen Klasse“ auf dem Nullpunkt. Vorletzte Woche hatte Marcos in einem Schreiben gegen alle drei großen politischen Parteien gewettert. Auch die gemäßigt linke Partei der Demokratischen Revolution (PRD), die sich selbst gern in einer Reihe mit den Zapatisten sieht, wurde nicht verschont. Deren voraussichtlicher Präsidentschaftskandidat, der Hauptstadt-Bürgermeister Andrés Manuel López Obrador, verfolge eine „neoliberale Neuordnung“ des Landes. Zudem habe die EZLN die Kontakte mit der Landesregierung von Chiapas abgebrochen, weil diese selbst die wenigen Vereinbarungen nicht eingehalten habe, auf die man sich bereits geeinigt habe. Dennoch war kaum zu erwarten, dass die Guerilleros wieder die Waffen sprechen lassen.

Seit die Rebellen im August 2003 die Gründung von „Räten der guten Regierung“ verkündeten, sind sie vor allem damit beschäftigt, ihre Gebiete unabhängig vom Staat zu verwalten. Weitgehend geduldet von der Zentralregierung bauen sie eigene Schulen und Krankenhäuser auf und sorgen für Kontakte zur Außenwelt. Dies findet Anklang: In mehreren Bundesstaaten haben sich indigene Kommunen nach zapatistischem Muster für autonom erklärt.

Die ausschließliche Orientierung als indigene Organisation steht nun zur Disposition. Die EZLN samt Basis entscheidet in diesen Tagen, ob sie sich öffnet für „Bauern, Arbeiter, Studenten, Lehrer, Angestellte, Schwule und Lesben, Jugendliche, Frauen, Alte, Kinder“, wie es in einem Schreiben an „die nationale und internationale Zivilgesellschaft“ heißt. Die basisdemokratisch orientierten Konsultationen dauern gewöhnlich einige Wochen. Fest steht nur eins: Die Zapatisten, so der Chiapas-Experte der linken Tageszeitung La Jornada, Luis Hernández Navarro, „sagen, was sie machen, und machen, was sie sagen“.

WOLF-DIETER VOGEL