Die Rechte hat’s im Griff

Das konservative Lager fühlt sich schon lange vor den Neuwahlen als natürlicher Sieger. Nicht ohne Grund: Während die Linke aus Tradition ihre Leidenschaft in der Opposition auslebt, inszeniert sich die Rechte als selbstverständliche Regierungsmacht. Eine Lagertheorie

VON MICHAEL RUTSCHKY

Bald ist die Welt also wieder in Ordnung. Die Rechte regiert, und die Linke beschäftigt sich mit Opposition. Sie weist en detail nach, was die Rechte beim Regieren alles falsch macht und erklärt, wie sie eigentlich regieren müsste. Aber das bleibt ohne Folgen, denn als Opposition fehlt ihr ja die Regierungsmacht, ihre Vorschläge praktisch durchzusetzen. Ebenso wenig kann sie lernen, dass ihre Vorschläge womöglich unrealistisch sind.

Was rechts und links akzidentell oder substanziell seien, darüber wird hin und wieder innig gegrübelt. Die Unterscheidung selbst leitet man gern aus der Sitzverteilung im französischen Parlament her – der weise Sebastian Haffner hat vorgeschlagen, sie auf die Hände zu beziehen. Die rechte Hand greift zu und leitet bei der Arbeit an, die linke hält gegen, was erst die wohlorganisierte Arbeit ermöglicht. (Beim Linkshänder verhält es sich haargenau umgekehrt, was das Schema bekräftigt.)

Liebste Kritik: handwerkliche Fehler

Geht man so von den Händen aus, so wird gleich klar, weshalb die Linke, an die Regierung gewählt, sogleich scheitern muss. Versuchen Sie mal mit der linken Hand zu schreiben, die Haustür aufzuschließen oder dem Hund seinen Stock in den Teich zu werfen. Geht irgendwie; sieht aber blöd und ungeschickt aus und ist immer nahe am Misslingen – und liest man die Presseberichte nach, von denen die Regierung Schröder/Fischer seit 1998 begleitet wird, so ergibt sich als Basso continuo: Die können das nicht. Besonders beliebt machte sich als Kritikpunkt: handwerkliche Fehler. Das kommt halt dabei heraus, wenn einer mit der Linken auch nur einen Nagel in die Wand zu schlagen versucht. Der Nagel ist krumm, und in der Wand sind rundherum Löcher.

Rechts und links, das sind einfach die Hände – der Bürger der modernen Welt sträubt sich aber sofort gegen solche naturalistischen Zuschreibungen. Warum soll eine Frau, statt Hausfrau und Mutter, nicht Bundeskanzlerin werden? Warum soll die Linke, demokratisch gewählt und kontrolliert, nicht effizient regieren können? Schaut man in der Vergangenheit nach und stellt Listen auf, wird man Erfolge und Misserfolge rechter und linker Regierungen vermutlich ausgeglichen finden – was den handwerklichen Murks betrifft, so empfehle ich dringend einen Rückblick auf die ersten beiden Legislaturperioden von Dr. Helmut Kohl.

Was freilich seine Wiederwahl nie verhindert hat. Während Schröder/Fischer praktisch vom selben Zeitpunkt an abgewählt wurden, da man sie gewählt hatte. Ob ihre Entscheidungen Erfolge oder Misserfolge hervorbrachten, das zu beurteilen nahm sich niemand die Zeit, die eine Kontrolle benötigt hätte (wenn die Reform Anfang Januar implementiert wird, kann man Anfang Februar noch wenig sagen – aber wir wussten doch von vornherein, nicht wahr, dass es nicht klappen würde).

Wie selbstverständlich an der Macht

Die rechte und die linke Hand als politisches Schema, das ist offenkundig eine Metapher. Damit sie Sinn macht, müssen historische Erfahrungen hinzukommen. Ich denke mir die Geschichte so: Indem die Rechte wie selbstverständlich die Regierungsmacht beansprucht, weil sie ihr ja seit je zustehe, referiert sie auf Zeiten, da diese Macht gar nicht demokratisch gestiftet, sondern ge- und vererbt, gern auch mit Gewalt erobert wurde. Die Rechte ist der Herr im Haus, der aus dieser Position weder durch Söhne und Töchter noch durch Knechte und Mägde vertrieben werden kann – oder anders: Wenn ein Sohn oder eine Magd ihn vertreibt, ist halt dieser Sohn oder diese Magd der Herr im Haus; keine strukturellen Veränderungen. Das ist lang her, und in der Zwischenzeit haben die demokratischen Prozesse diese Verhältnisse gründlich aufgeweicht. Doch Traditionen sind zäh und wirken nach: Eben jener Gestus der Selbstsicherheit, mit der die Rechte die Regierungsmacht beansprucht, imaginiert den Herrn im Haus, der endlich (wieder) Ordnung schafft. Dann ist Schluss mit den Graffiti, in der Schule wird wieder gelernt statt gekuschelt, und der Arbeitslose nimmt seine Almosen in Demut entgegen, statt aufsässig die Beseitigung der Arbeitslosigkeit zu fordern.

Dies Phantasma eines durch Herrschaft wohlgeordneten Hauses, in das sie nicht bloß den Staat, sondern gleich die Gesellschaft zurückzuverwandeln vermögen, bildet eine der stärksten Energiequellen der Rechten. Dabei ist der nostalgische Bezug besonders fruchtbar: „Unter Adenauer hatte die Bundesrepublik noch Hoffnung auf eine besseres Leben …“ Es gab ihn einst, den (guten) Herrn, der das Haus in Ordnung brachte; in einem Gasthaus auf Rügen habe ich mal Bürger darüber schwadronieren hören, wie Schröder in kürzester Zeit die Errungenschaften von 250 Jahren deutscher Geschichte zerstört. Es blieb unklar, was der empörte Tourist meinte; vermutlich etwas mit Demut, Verzicht, Fleiß und Leistung, auf die der Herr im Haus einst selbstverständlich rechnen konnte.

Der nostalgische Charakter dieses Hauses, dass es auf immer in der Vergangenheit liegt, sorgt dafür, dass die politischen Maßnahmen der Schwarzen (wie mein alter Freund Theckel unerschütterlich sagt) in ihrem Lager und darüber hinaus nie solche schweren Enttäuschungen hervorrufen. Jeder weiß, dass der Idealzustand jenes Hauses unerreichbar ist in der Gegenwart, Gerhard Schröder, die Achtundsechziger, wer immer Sie wollen, hat einfach zu viel Unheil angerichtet. Wer nahm es Dr. Helmut Kohl wirklich übel, dass er als Bundeskanzler die geistik-moraliche Wende der Gesellschaft, die er versprochen hatte, nicht zustande brachte?

Dass das zentrale konservative Phantasma in der Vergangenheit ruht, wo es unerreichbar bleibt, schafft der Regierung erweiterte Handlungsmöglichkeiten. Sie kann sparen oder verschwenden, sie kann Modernisierung oder Konservierung, Individualisierung oder Zucht und Ordnung fördern – und sie kann alle Maßnahmen im Hinblick auf das große Ziel ausweisen, das prinzipiell unerreichbar ist. So konnte Dr. Kohl seine Wende in die von Egon Krenz verwandeln, und Dr. Kohl konnte daraus das Ziel machen, das er die ganze Zeit verfolgt habe – dass sich das vereinigte Deutschland dann so ganz und gar nicht als das wohlgeordnete Haus organisieren wollte, trug gewiss zu seiner Abwahl bei, wenn das auch nicht die Hauptsache war (es war einfach der Überdruss an dem dicken Herrn).

Die Selbstgewissheit, mit der sich die Rechte als angestammte Regierungsmacht inszeniert, muss aber mit der Linken und ihren Phantasmen zusammengedacht werden. Gewiss geistert auch hier das wohlgeordnete Haus umher (in dem der Herr jeden nach seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten angemessen versorgt: Oskar Lafontaine und Gregor Gysi schwelgen ja gerade in der Darstellung ihrer diesbezüglichen Gerechtigkeitsgefühle).

Die Hauptsache aber ist – wie sich im Augenblick so deutlich zeigt – ,dass die Linke die Regierungsmacht im Grund gar nicht ausüben möchte. Opposition lautet das Zauberwort; dass die kuriose neue Linkspartei ausschließlich der Opposition im Bundestag sich widmen soll, verkündet sie, als wäre das ein Wundermittel.

Linke Verachtung der Macht

Diese Leidenschaft für die Opposition, die Verachtung der Regierungsmacht reicht tief hinein in unsere Kreise, die Intelligenzija. War er nicht immer ein wenig, wenn nicht sogar äußerst peinlich, Gerhard Schröder: dass er Bundeskanzler ausdrücklich werden wollte?

Kein moralisch integrer und intellektuell anspruchsvoller Mensch strebt ein Regierungsamt an – die Wut und Verachtung, die unsere Kreise dem Kanzler (und schon gar dem Vizekanzler) bei jeder Gelegenheit entgegenbrachten, war in dieser Hinsicht signifikant. Im Grunde hätten sie jeden passenden Anlass zum Rücktritt nutzen sollen – spätestens den Kosovokrieg. Nach einer frechen Formulierung des amerikanischen Schriftstellers Gilbert Sorrentino denkt es sich der Knabe so, dass Vater und Mutter nur ein paar Mal und wie aus Versehen gefickt haben – so ähnlich sollten unsere Leute, träumt man in unseren Kreisen, es auch mit Regierungsämtern halten. Man trägt sie ihnen an; die sie nur widerstrebend akzeptieren; um so rasch wie möglich zu verzichten.

Die Regierungsmacht korrumpiert, weiß man in unseren Kreisen, und wer möchte sich schon korrupt nennen lassen? Dagegen hält Opposition rein – jeden Tag darf man beweisen, wie viel korrekter man die Lage sieht und welche Maßnahmen bei weitem adäquater wären, sie zu verbessern. Die Rechthaberei, die praktisch folgenlos bleiben darf, die bloß eine Arena braucht, bildet das Leitmedium für diese Art von Opposition. Für Lafontaine und Gysi, schimpft unsere Freundin Jutta, ist Politik die Fortsetzung von Christiansen mit anderen Mitteln; insofern sind sie die wahren Nachfolger von Schröder und Fischer.

Aber sieht man mal von unseren Kreisen ab: auch in der SPD, sogar unter ihrer traditionellen Klientel scheint sich Freude auf die Opposition zu verbreiten. Sie hätten so gern den Wohlfahrtsstaat – die linke Version des wohlgeordneten Hauses – erweitert. Stattdessen mussten sie ihn rückbauen. Und ernten dafür bloß Tadel und Empörung.

Den werden auch die Traditionsfraktionen des linken Lagers dann mit weit mehr Gusto einer schwarzen Regierung zukommen lassen. Die Opposition ist von der Verantwortung entlastet. Tag für Tag darf sie wiederholen, was in dem Haus, das die Regierung verwaltet, alles schief läuft, wie Unordnung und Leid fortlaufend zunehmen. Anscheinend lebt es sich weit angenehmer und bequemer, wenn man dafür grundsätzlich unzuständig ist.