Ein vorschnelles Urteil

Ab sofort können Betreiber von Tauschbörsen im Internet haftbar gemacht werden, wenn ihre Nutzer gegen das Urheberrecht verstoßen – trotz alternativer Lösungen und wider die Logik des Netzes

VON PHILIPP DUDEK

Freier Datenaustausch ist der Grundgedanke des Internets. Über vernetzte Computer lassen sich, ungeachtet von Ländergrenzen, politischen Systemen und Weltanschauungen, Texte, Bilder, Videos und Musik austauschen. Der Wunsch nach Information, nicht nach Profit und Konsum hat das Internet in den Anfangsjahren geprägt. Bis heute lässt sich deshalb im Netz nur schwer Geld verdienen – schließlich sind die meisten Daten nach wie vor frei zugänglich. Der kaum kontrollierbare private Austausch von Daten ist festes Bestandteil des Internets.

Nichtkommerzielle Filesharing-Programme wie Kazaa und WinMx sind die konsequente Weiterentwicklung dieses Internet-Grundgedankens. Vor allem Musikdateien und Filme werden in den Tauschbörsen angeboten. Seit Jahren führt die Unterhaltungsindustrie deshalb einen Kampf gegen diese Online-Tauschbörsen. Die Branche sieht im kostenlosen Herunterladen von Musik- und Videodateien über das Internet eine der größten Bedrohungen.

Für die Plattenbosse ist das Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA ein wichtiger Sieg im Kampf gegen Raubkopierer.

Betreiber von Tauschbörsen können ab sofort für die Verstöße ihrer Nutzer gegen das Urheberrecht haftbar gemacht werden. Die drohende Klagewelle ist vermutlich das vorläufige Ende der Tauschangebote.

Das Urteil ermöglicht Großkonzernen, das Internet zu kommerzialisieren. Verhindert wird seine sinnvolle Weiterentwicklung. Nur durch den freien Datenaustausch hat es sich in den letzten zehn Jahren zu dem vielgenutzten Medium entwickelt, das es heute ist – und von dem letztendlich auch die Unterhaltungsindustrie profitieren könnte. Den Kampf gegen die Tauschbörsen hat die Branche schließlich nur deshalb aufgenommen, weil sie selbst die Entwicklung im Netz verschlafen hat. Viel zu spät haben die Musikkonzerne den legalen Verkauf von Musik im Internet vorangetrieben. Selbst der mittlerweile erfolgreiche Onlinedienst iTunes des Computerherstellers Apple hat seit seinem Start vor rund zwei Jahren nur etwa 300 Millionen Titel verkauft. In offenen Netzwerken werden nach Branchenschätzungen dagegen mehr als 1 Milliarde Musikstücke getauscht – im Monat.

Da die Verkaufszahlen von Tonträgern seit rund fünf Jahren kontinuierlich zurückgehen, war der Schutz der Urheberrechte für die Plattenbosse ein willkommener Vorwand, um gegen die Online-Tauschbörsen zu klagen. Mittelfristig haben sich die Plattenbosse damit allerdings ans eigene Bein gepinkelt. Die Musikproduzenten hetzen ihren besten Kunden die Staatsanwälte auf den Hals. Um die Urheberrechte der Künstler zu wahren, müssen keineswegs Online-Tauschbörsen geschlossen werden. In Deutschland kommt ab 2007 die GEZ-Gebühr für Internet-PCs. Wer Kopiergeräte und CD-Brenner kauft, zahlt bei uns schon heute automatisch eine Abgabe an Verwertungsgesellschaften, die die Künstler ausbezahlen. Eine vergleichbare Urheberabgabe könnte es künftig auch für PCs geben.

Dass die Unterhaltungsindustrie jeden Fortschrittsgedanken über Bord wirft, sobald sie ihre Einnahmen bedroht sieht, zeigte sich bereits im Jahr 1984. Damals sollte der Sony-Betamax-Videorekorder vom Markt gedrängt werden. In dem Rechtsstreit entschied der Oberste Gerichtshof der USA damals allerdings, dass die Firma Sony nicht für Raubkopien haftbar gemacht werden könne, die mit ihrem Videorekorder hergestellt werden. Auch wenn dieses Mal zugunsten der Unterhaltungsindustrie entschieden wurde: Viel Spaß werden die Herrschaften aus der Plattenbranche mit dem Urteil nicht haben.

Die Internetgemeinde ist ziemlich nachtragend. Dass musste schon die Heavy-Metall-Band Metallica feststellen. Im Jahr 2000 forderte die Band von der mittlerweile eingegangenen Tauschbörse Napster, mehr als 300.000 Fans aus dem System auszusperren, die Metallica-Song-Dateien angeboten hatten. Dem Ruf der Band hat das gar nicht gut getan.

Bis heute ist so ziemlich jeder Versuch, das Internet zu regulieren oder zu zentralisieren, gründlich in die Hose gegangen. Die Entwickler wird’s freuen. Ursprünglich wurde das Internet vom US-Militär als dezentrales Computernetzwerk erschaffen. Im Falle eines Militärschlags sollte so die Armeeführung weiterhin einsatzbereit sein.

Erst als 1990 der Informatiker Tim Berners-Lee die Nutzeroberfläche World Wide Web erfand, wurde das Netz auch für jeden Laien brauchbar. Dezentral angelegt ist das Internet bis heute. Im Falle eines Gerichtsurteils ist es weiterhin einsatzbereit.