Gesucht: Brückenbauer an der Schule

Migrantenkinder tun sich schwer mit Schule, und ihre Eltern verstehen die deutsche Penne nicht. In Berlin arbeiten engagierte MigrantInnen mit Schulen und Eltern zusammen. Mit Erfolg. Sie bringen zu Stande, was Sozialwissenschaftler fordern: interkulturelle Kompetenz statt gleichgültiger Toleranz

VON EDITH KRESTA

Eine Schule in Berlin-Neukölln. Abi-Streich. An der Tür zum Lehrerzimmer hängen Hoden von Schafen, am Boden ein Schafskopf, um die Türklinke schlingen sich Tiereingeweide. Ein archaisch-aggressiver Akt der Verachtung gegenüber den „Schwänzen“ – gemeint sind die Lehrer. Eine Palästina- und eine große Türkeifahne sind an die Wand gesprüht. Sie bekennen die Autorenschaft für die drastische „Operation Schwanz“.

Der Berliner Sozialstrukturatlas bestätigt, was sich seit der Wende in einigen Kiezen der Hauptstadt abspielt: 47,2 Prozent Arbeitslose gibt es unter der ausländischen Bevölkerung Berlins. Auch die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss ist unter MigrantInnen signifikant hoch: Ein Viertel von ihnen verlässt die Schule ohne Abschluss. Eine ganze Generation wird in der sozialen Verelendung groß. Die Lehrer fühlen sich mit den Auswüchsen sozialer Desintegration an der Schule allein gelassen. Das wird in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen – dafür wird umso mehr über den störrischen Islam diskutiert: Die Schwierigkeiten der MigrantInnen werden auf ein religiös-kulturelles Problem reduziert.

Es besteht Nachholbedarf für die Integrationspolitik, vor allem aber für die Bildungspolitik. Doch an den Schulen, selbst an denen in den Brennpunkten, gibt es keine Sozialarbeiter, Dolmetscher oder ausreichend türkische LehrerInnen. Es finden sich keine Modelle, die den Perspektivwechsel aufzeigen. Die Politik, die sich unter Rot-Grün verstärkt der Problematik angenommen hat, gibt zwar einige Antworten; finanziell unterfüttert sind sie nicht. Der Ausländerbeauftragte Berlins, Günter Piening, fordert beispielsweise frühkindliche Sprachförderung, Verzahnung mit den Kitas, interkulturelle Kompetenz in der Lehrerausbildung und bei der Ausbildung des Kitapersonals. Er betont die Bedeutung von Elternarbeit aus den Migrantengruppen heraus.

Aber es gibt zarte Ansätze, die von unten versuchen, was von oben aus Spargründen und mangelndem politischen Willen nicht zu Stande kommt. Eine Gruppe von zehn Arabisch sprechenden Sozialarbeitern zum Beispiel, Psychologen und Familienhelfer, hat sich in Berlin zu einem „Netzwerk Arabisch sprechender Fachkräfte“ zusammengeschlossen. Das Netzwerk will sich um die Probleme der arabischen MigrantInnen kümmern. Langfristig hoffen sie auf öffentliche Finanzierung ihres Einsatzes. „Wir treffen uns aus Interesse für unsere Leute, denn es gibt so viele Vorurteile gegenüber den Arabern“, sagt eine der Initiatorinnen, die Syrerin Lina Ganama. An einer Gesamtschule in Berlin-Kreuzberg unterstützt sie bereits im Sinne des Netzwerks aktiv die Elternarbeit.

Lina Ganama will den arabischen Eltern die Scheu vor der Schule nehmen, damit sie selbst initiativ werden. „In unseren Ländern hat der Lehrer was zu sagen, nicht die Eltern, und deshalb geben sie die Erziehung ab. Die Lehrer hier sind ihnen zu weich, zu locker“, erklärt Ganama. Die deutsche Gesellschaft blieb den Eltern fremd. „Viele arabische Haushalte sehen nur noch arabische Sender. Das isoliert sie immer mehr. Sie sprechen die deutsche Sprache immer schlechter“, bedauert Ganama. Dabei sei die Sprache so wichtig „wie ein Pass“.

Das Netzwerk aus Arabisch sprechenden Mitarbeitern will Brückenbauer zwischen den Institutionen wie Schulen oder Behörden und den hier lebenden Menschen arabischer Herkunft sein. Sie wollen als interkulturelle Vermittler arbeiten, die bestehende Probleme analysieren und konstruktive Lösungsmöglichkeiten erarbeiten. Die Vernetzung mit unterschiedlichen Organisationen, Vereinen, Institutionen, Behörden, Medien, Moscheen, Kitas und Schulen ist ein Hauptziel ihrer Arbeit.

„Wir haben über 50 Prozent Schüler nichtdeutscher Herkunft, an die wir kaum herankommen und zu deren Eltern wir keinen Kontakt haben“, berichtet Anke Maier [Name von der Redaktion geändert], Lehrerin einer Kreuzberger Gesamtschule. Bis auf wenige Ausnahmen sind alle Schüler Unterschichtkinder. „Es ist unglaublich schwierig, die Schüler für irgendetwas zu begeistern“, sagt die Lehrerin. Das liegt auch an den mangelnden Zukunftsperspektiven von Hauptschülern. Früher brachte ein qualifizierender Abschluss etwas, manchmal. „Aber das ist schon lange vorbei. Sie brauchen nur die Zeitung zu lesen: Koch gesucht, Abitur, gute Noten. Da können unsere Schüler einpacken“, weiß Anke Maier.

„Wenn wir diese Generation nicht verlieren wollen, müssen wir den Migrantengruppen mehr Aufmerksamkeit und Achtsamkeit schenken“, meint der Ausländerbeauftragte Piening. Nicht nur das Ergebnis der Pisa-Studie – in keinem anderen Land besteht eine so starke Verbindung zwischen sozialer Herkunft und Bildung – gibt zu denken. MigrantInnen sind überall das Schlusslicht.

Ihre Loser-Karriere fängt an der Schule an. Aufgrund ihrer Unkenntnis stehen die Eltern von Migrantenkindern der Schule häufig reserviert gegenüber. „Sie haben Angst, dass die Kinder in der Schule von der deutschen Kultur überrollt werden“, sagt Ganama, „wenn sie beispielsweise Sexualkundeunterricht haben oder auf Klassenfahrt gehen.“ Ganama lädt deshalb arabische Eltern persönlich ein. Sie dolmetscht auch Elternabende. Mit Erfolg. Die Eltern wagen sich ins fremde Terrain Schule, fast alle Schülerinnen durften mit auf Klassenfahrt. „Wir könnten Lina Ganama voll beschäftigen, sagt die Lehrerin Anke Maier, „aber wir haben Scheu, sie immer wieder völlig unentgeltlich zu bemühen.“

Initiativen wie die der arabischen Familienhelfer und Sozialarbeiter sollten nicht nur im Ermessen einer Schule oder dem zufälligen Engagement einer Gruppe liegen. Sie müssten institutionalisiert werden. Um solche Ansätze in der Bildungspolitik finanzieren zu können, wird die Stadt um einen innerstädtischen Solidarpakt nicht herumkommen. „Bezirke, in denen sich die Probleme häufen, werden das aus eigener Kraft nicht schaffen“, sagt Ausländerbeauftragter Piening, „man muss neu darüber nachdenken, die reichen Bezirke in die Pflicht zu nehmen.“