Stunde der Schürfer

AUS LUBUMBASHI DOMINIC JOHNSON

Es ist ein müdes Land. Braune Savanne erstreckt sich bis an den Horizont, durchbrochen lediglich von baumbewachsenen Termitenhügeln. Halb nackte Kinder spielen neben Lehmhütten. Neben ihnen donnern Lastwagen eine Teerstraße entlang. Hinter ihnen verläuft eine Hochspannungstrasse. Die Straße ist privat. Der Strom, Produkt eines fernen Wasserkraftwerks, wird nach Südafrika exportiert.

Willkommen in Katanga, dem reichsten Bergbaurevier der Welt. Kobalt, Kupfer, Germanium, Uran – unzählige Mineralien schlummern hier im südkongolesischen Hochland in weltweit einmaligen Konzentrationen. Aber die Katangesen haben davon so gut wie nichts. In Katanga wird klar, warum die Menschen im Kongo trotz Friedensprozess so enttäuscht sind und warum jetzt Aufstände drohen.

Mobutus Bergbaufirma

Hunderte von Kilometern weit ist Katangas Süden Eigentum von Kongos staatlicher Bergbaufirma Gécamines. Die Gécamines baute einst Städte, wies die Bewohner zu, organisierte Schulen und Krankenhäuser. Dann wurde sie von Diktator Mobutu ausgeplündert und von seinen Nachfolgern, Vater und Sohn Kabila, zur Kriegsführung ausgeschlachtet. Heute sind die Arbeiter entlassen oder kriegen keinen Lohn mehr. Mineralien fördern Schürfer per Handarbeit. Schon wenige tausend Tonnen Kupfer im Jahr gelten da als Erfolg – früher waren es eine halbe Million.

Die Frage, wer genau an der Misswirtschaft verdient, zielt ins Herz der kriminalisierten Staatswirtschaft. „Die Präsidentenfamilie“, lautet oft die Antwort: Joseph Kabila und sein Clan.

Viele Investoren haben sich durch politische Verbindungen Filetstücke der Gécamines gesichert: der weiße Simbabwer Billy Rautenbach; der in Katanga ansässige Belgier George Forrest mit seinem Konzern „Malta Forrest“; dazu Südafrikaner, Asiaten. Aber, klagt der Gécamines-Finanzangestellte Germain Kalenge: „Die meisten Firmen investieren überhaupt nichts. Sie profitieren von der kostenlosen Arbeit der Schürfer.“

Lubumbashi, die Provinzhauptstadt, ist Katangas Tor zur Welt, mit verfallenen Villenstraßen und schattenspendenden Bäumen. Der Schnellimbiss an der Tankstelle heißt KFC (Katanga Fried Chicken), es gibt Direktflüge nach Johannesburg. Von hier exportieren die großen Lizenzhalter zollfrei nach Sambia. Kupfer erzielt heute dank der Nachfrage aus China Rekordpreise – 3.369 US-Dollar pro Tonne waren es Mitte Juni. Katanga ist wieder interessant.

Doch der Boom hat Kehrseiten. Etwa hinter Mauern am Stadtrand, wo sich ein gigantischer schwarzer Berg erhebt, mit Kränen und Förderbändern drum herum. Hier, in den Überresten früheren Bergbaus, sucht das Konsortium STL (Société de Traitement du Terril de Lubumbashi) nach Edelmetallen, das mehrheitlich der finnischen OM Group und ansonsten Gécamines und Forrest gehört. Ab 19 Uhr, erzählen die Leute, steigt giftiger Rauch aus der Fabrik auf. Einige Kilometer weiter im Busch betreibt die von Indern gegründete Somika (Société Minière du Katanga) eine Erzveredelungsfabrik mitten auf Lubumbashis wichtigster Trinkwasserquelle.

Die Provinzregierung hat die Somika-Fabrik zum Umziehen verdonnert. Aber sie ist noch da. Der Taxifahrer, der sie zeigt, weigert sich anzuhalten und traut sich nicht einmal, direkt vor ihrem Gelände zu wenden und zurückzufahren. Er macht erst ein paar Kilometer weiter kehrt.

Zivilgesellschaftliche Gruppen in Lubumbashi werden bedroht. Sie wünschen sich unabhängige Umweltprüfungen und eine Prüfung der Gécamines-Verträge. „Wenn hier die Gesetze gälten, würden manche dieser Situationen verschwinden“, urteilt Jean-Claude Katende, Chef der Menschenrechtsorganisation Asadho. „Aber die lokalen Behörden stecken mit drin oder Einzelpersonen in den nationalen Behörden.“

Um zum Ursprung des Kupfers von Lubumbashi zu kommen, muss man nach Westen fahren. Stundenlang geht es durch hügelige Savanne ins Herz des Bergbaureviers: Likasi, Kambove – Gécamines-Geisterstädte auf dem reichsten Boden der Welt.

In Likasi gibt es für eine Tonne Kupfer 200 US-Dollar. Im Vergleich zum Weltmarktpreis ist das nichts, für die Leute ist es ein Vermögen. Manche Bewohner der Region graben einfach die Erde auf und verkaufen sie, denn irgendwas ist sicher drin. „Heterogenit“ nennen sie das Produkt, was bloß bedeutet, dass es „heterogen“ ist, also alles enthalten kann. In so manchem Hinterhof stapeln sich Zementsäcke davon und warten auf den Händler mit seinem Lastwagen. An jeder Stadtausfahrt lauern Sicherheitskräfte, die ihren Anteil wollen.

„Die Kinder der früheren Gécamines-Angestellten gehen nicht mehr zur Schule, weil das Geld kostet“, erzählt Gertrude Mwambo, Leiterin einer Frauen-Selbsthilfegruppe in Likasi, vor deren Tür hungrige Straßenkinder warten und sich bald erbittert um eine halb volle Plastikflasche Wasser streiten werden. „Ab elf, zwölf Jahren werden sie Schürfer oder Träger in den Minen. Die Bergleute im Tagebau setzen ihre Söhne als Träger ein. Die Minen sind weit weg von den Städten, also gibt es dort keine Schulen. Auch die Töchter gehen dorthin und verkaufen Erdnüsse oder Maniok, oder sich selbst. Wenn sie zwölf sind, werden sie Marktfrauen.“

An der Straße aus Likasi hinaus reihen sich Firmentore mit seltsamen Namen aneinander. Africom. Mega Metals. Afridex, der einstige Gécamines-Sprengstoffhersteller, der während des Kongokrieges für Kabila Bomben baute. Und dahinter die Berge, hinter denen das geheimnisumwitterte Shinkolobwe liegt: die Uranmine, aus der der Stoff der Hiroschima-Bombe kam. Immer noch arbeiten dort Schürfer. Man erzählt, manche Kinder aus Shinkolobwe seien so verstrahlt, dass der Fernseher ausgeht, wenn sie sich nähern.

Zitronenbonbons als Zoll

Die Polizisten, die hinter Likasi den Weg versperren, lassen sich immerhin mit Zitronenbonbons gnädig stimmen. Misstrauischer sind die Kontrollen in Kambove 30 Kilometer weiter westlich, einer reinen Minenstadt mit Fabrik und viel Staub. Weil Katangas Bergwerke für Ausländer gesperrt sind, muss der Verwaltungschef der Stadt den Besuch erlauben, per Handbewegung auf dem Ledersofa seines klimatisierten Büros. Dann ruft er den Polizeichef an. Der beordert einen Einsatzleiter herbei. Der Einsatzleiter setzt einen jungen Beamten vorne ins Auto. Nach sieben Kilometern durch den Busch gibt der das Kommando an den lokalen Minenpolizeichef ab. Hundert Meter weiter kommt der lokale Sicherheitschef an die Reihe. Dann ist man angekommen, in Kanfondwa, eine ausgebaggerte graue Steinwüste, wo schmale Pfade zwischen Löchern und Schuttbergen zu den Bergleuten führen.

„Keine Frauen, keine Frauen!“, brüllen die Bergleute, als das Auto anhält. „Frauen reduzieren den Mineraliengehalt des Bodens“, sagt der Polizist und tut so, als ob er es glaubt. Nur die Männer dürfen weiter, die Frauen bleiben zurück.

Tief unten schütteln ein Mann und ein Junge sorgfältig graues Geröll mit grünen Streifen durch ein Sieb, unter einer sengenden Sonne. Ringsum ragen sandige Hänge steil in die Höhe, hier und da klafft ein tiefes mannsbreites Loch: Dort wird nach Erz gegraben. Wenn ein Stein grün ist, erklärt Sicherheitschef François Kakunda, enthält er mindestens 40 Prozent reines Kupfer. Die grünen und auch die weniger grünen Steine landen in weißen 50-Kilo-Säcken. Die werden neben dem Sieb gestapelt.

Oben auf den Säcken sitzt Edouard „der Tiger“. Der 30-jährige Familienvater, breitbeinig und staubbedeckt, hat rosa Nagellack an Fingern und Zehen, auf dem Kopf trägt er eine sechszipflige rot-grüne Mütze. „Wir ernähren unsere Familien“, erklärt er und fügt hinzu: „Na ja, manchmal.“

Ein verschuldeter Tiger

Edouard kam vor drei Jahren nach Kanfondwa, zusammen mit anderen Schürfern. Die Idee kam von ehemaligen Gécamines-Angestellten, entlassen im Rahmen eines Weltbank-Sanierungsprogramms. Sie wussten, wo die guten Erze sind, und machten auf eigene Rechnung weiter.

Ganze Familien sind in die stillgelegten Bergwerke rings um Kambove gezogen, an deren Zufahrtsstraßen noch Teile von Fördermaschinen vor sich hin rosten. Kanfondwa zählt 5.000 Einwohner. Sie leben in Hütten aus Stroh und Lumpen. Es gibt ein paar Kneipen und Marktstände.

Kanfondwa macht den Eindruck von Wildwuchs, aber wie überall in Kongos informeller Wirtschaft verbirgt sich dahinter eine straffe Ordnung. Edouard „der Tiger“ musste sich bei einem Zwischenhändler verschulden, um mitgraben zu dürfen. Dieser, Déo Kenga, steht neben ihm im blauen Hemd wie ein Schichtführer neben seinem Arbeiter und verkündet: „Wir geben den Bergleuten Lebensmittel und helfen ihnen, wenn sie krank werden. Wir strecken ihnen Geld vor und ziehen es wieder ab, wenn sie etwas verdient haben.“

Edouard präzisiert: Einen Monat musste er umsonst arbeiten, um seinen Kredit abzuzahlen. Der 50-Kilo-Sack Erz bringt in der Grube 2.000 kongolesische Franc – 4 US-Dollar, also 80 Dollar pro Tonne. Pro Tag füllt das Team rund 1 Tonne ab. Der Händler bringt das Zeug nach Kambove und kriegt dort 50 Prozent Aufschlag. Keine schlechten Preise: Da müssen noch wertvollere Metalle als Kupfer drin sein.

Katangas informelle Minen sind Kerne von Selbstorganisation. Je weiter man die Kette vom Export bis zur Grube zurückverfolgt, desto weniger entrechtet erscheint die Bevölkerung gegenüber Staats- und Konzernmacht. Die größten Probleme bekommen skrupellose Investoren daher dort, wo sie direkt mit den Schürfern zu tun haben. „Vor wenigen Wochen gab es eine Konfrontation zwischen Schürfern und der indisch-pakistanischen Firma Chemaf“, berichtet in Lubumbashi Placide Muheko vom Entwicklungswerk der katholischen Kirche. „Chemaf hatte eine Grubenkonzession erworben und kam mit der Polizei, um die Schürfer hinauszuwerfen. Ihr Chef, Bruder eines Politikers, sagte ihnen hinterher: Ich erlaube euch, in die Mine zurückzukehren. Also kamen sie am nächsten Tag zurück, mit Waffen. Polizei und Militär zogen ab.“

Arbeiter gegen Unternehmer – Katangas Politik ist eigentlich ganz modern. Der Bergbau, so stellen es sich die Entwicklungsplaner in der Hauptstadt Kinshasa vor, ist der Schlüssel zum Wiederaufbau des Kongo. Aber innerhalb des Bergbaus bleibt die Machtfrage ungeklärt.