Liebemachen und Holzfällen

Robert Sedlacks freundlicher Roman über Eishockey, Männerfreundschaften, Bauern und Tiere: „Ein unvergessliches Jahr im Leben des Fred Pickle“

VON GUSTAV MECHLENBURG

„Sie geldgierige Schlange im Gras, Sie würde ich nicht einmal ins Haus lassen, wenn ich einen Mungo in der Küche hätte.“ Die Frage ist, ob man den so redenden Fred Pickle, seines Zeichens der schlagfertige Protagonist aus Robert Sedlacks zweitem Roman, reinließe?

Man kennt sie eben, die üblichen Verdächtigen. So wie Fred Pickle einer ist: Er hat eine halbseitige Lähmung und eine Hirnverletzung, ist aber bauernschlauer, als die Polizei erlaubt, und er wohnt auf der Schafsfarm seines Onkels, einem ehemaligen Cop. Dort spielt Sedlacks Roman über Eishockey, Männerfreundschaften, Bauernweisheiten und Tiere. Nach einem tragischen Unfall ist Fred Pickle mit einem beschädigten Leben davongekommen, sitzt herum, macht Bemerkungen zur Lage Kanadas im Angesicht des kapitalistischen Geldschweins Amerika und legt jeden Winter eine Eisbahn zum Hockeyspielen an.

Pickle ist nicht völlig verblödet, nur eben so, wie man das für Filme oder Romane gebrauchen kann. Es handelt sich um eine Art Brutkitsch. Nach der Devise: Kinder und Betrunkene sagen die Wahrheit. Oder: Lasset die Kindlein und die geistig Armen zu mir kommen! Die wahren Quellen des Lebens, besonders gut auf dem Lande zu erspüren, sind eben in fester Hand der Leute, die vom Leben gründlich abgeschnitten sind, oder, und das eben ist Kitsch, die für den Rezipienten wahrhaftige Mittler solcher Erfahrungen darstellen sollen. Es gibt berühmte Beispiele dafür: „Forrest Gump“ oder „Elling“ waren Erfolgsfilme, die ihren Drall durch Hirnbeschädigte gewannen. Zweifelhafte Kapauken sind das, rührend unrealistisch. Aber auch Dostojewskis Idiot, einer, der eben zwischen Geistes- und Menschheitsnacht zu erstaunlichen Vermittlungen in der Lage ist, zählt dazu.

Man muss nicht strenger sein als sonst, aber die in „Ein unvergessliches Jahr im Leben des Fred Pickle“ alle zehn Seiten wiederkehrenden Rührseligkeitsattacken sind schwer zu ertragen. Pickle betritt den Zwinger des wahnsinnig gewordenen Hunds und wird natürlich nicht gebissen. Oder, ein echter Feind, der sich nach Schlägereien doch so weit herablässt, auf Pickle zu hören, vollführt beim Eishockey im ausverkauften Stadion eine trickreiche Figur, die er von Pickle lernte. Es ist der schönste Männerroman-Blödsinn von wenig Worten, eindringlichen Gesten, Tierliebe, Sport und netten Frauen, und, ja, das Leben ist hart und ungerecht.

Sicher kann Robert Sedlack ironisch sein, das hat er mit seinem hervorragenden Erstling „Afrikasafari“ bewiesen. Aber wenn er in seinem neuen Roman sämtliche Brechungen der Testosteron-Tränendrüsigkeit dem lädierten Helden zuschanzt, gewinnt dieser nur noch stärkere Supererlöser-Züge, die diese Lektüre so unangenehm machen.

Fred Pickle hatte einst zu kühnsten Hoffnungen Anlass gegeben, er war ein angehender Eishockeystar, nun geht das nicht mehr. Sein Gedächtnis ist kaputt und seine Motorik auch, nicht aber seine Kombinationsgabe und sein gütiger Menschenverstand. Zu seinem Ärger wird sein ehemaliger Hockeyverein, sein Ein und Alles, in die USA verkauft. Es kommt im Laufe des Romans zu einer längeren Radtour über die Grenze, wo er den Verkauf mit nicht ganz legalen Mitteln zu verhindern versucht. Außerdem gibt es naturgemäß viele schafsmäßige Probleme auf einer Schaffarm. Also Geburten, denen Pickle mit Glück zu einem guten Ausgang verhilft, oder böse wildernde Pitbulls und Geldmangel. Aber auch Hütehunde, die den gestürzten Fred Pickle ohne sein Wissen wärmen und so vor dem Kältetod bewahren. Eine zu seinem Geburtstag gemietete Prostituierte, die den fünffachen Preis verlangt, weil Pickle zwar hinkt, aber nicht impotent ist, steht im Gegensatz zu seinem Gutmenschen von Onkel, dem früh verwitwet nur noch der altersschwache Kater die verwaiste Bettseite wärmt und der, um mit seiner attraktiven Nachbarin ins Gespräch zu kommen, keine bessere Idee hat, als mit ihr zum Holzfällen zu gehen.

Wem zum Himmel schreiender Irrealismus nichts ausmacht und wem nicht graut vor Platzwartphilosophie, der wird das Buch schnell und mit Vergnügen lesen können. Sedlack schreibt flüssig, ohne abzudriften, versteht Spannung aufzubauen, hat mit seinen Romanfiguren einen Stall voll Sympathen zur Hand plus ein paar kapitalistischer Bösewichte, gegen die man kämpfen kann. Aber im Ernst: Die Probleme im wirklichen Leben sind doch diffiziler. Und: Es ist schwer vorstellbar, dass ein ungewaschener und mit seltsamen Ticks gestrafter Mann alle möglichen fremden Frauen umarmen darf, nur weil er charmant quatschen kann und ein putziger Behinderter ist.

Robert Sedlack: „Ein unvergessliches Jahr im Leben des Fred Pickle“. Aus dem Amerikanischen von Ulrich Blumenbach. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2005, 446 Seiten, 22 Euro