Ein zweifelhafter Freund

In Edinburgh erwartete ein ungewohnter Verbündeter zweihunderttausend Globalisierungskritiker: Pünktlich zum G-8-Gipfel inszeniert sich ausgerechnet Tony Blair als Bono unter den Regierungschefs

AUS EDINBURGH FELIX LEE

So kann globalisierungskritischer Protest also auch laufen: Am Bahnhof geben Polizisten ortsfremden Demonstranten ein freundliches Geleit, die Stadt Edinburgh bietet allen Teilnehmern kostenlose Busfahrten in die Innenstadt, aufmunternd prangen riesige Banner mit der Aufschrift „Make poverty history“ auf dem schottischen Parlament und dem Holyrood House, der offiziellen schottischen Residenz der Queen. Und am Ende des Tages erhalten alle Demonstranten auch noch Bestätigung und Dank von der britischen Regierung. Die Armut in Afrika sei eine „Wunde im Gewissen der Welt“, sagt Premierminister Tony Blair: „Wir danken euch.“

Vier Tage vor dem offiziellen Beginn des G-8-Gipfels im schottischen Gleneagles haben am Samstag in Edinburgh mehr als 200.000 Demonstranten die Staatschefs der acht führenden Industrienationen aufgefordert, die Armut in Afrika zu lindern.

Keine Konfrontation

Aber anders als bei den Protesten gegen den G-8-Gipfel 2001 in Genua war das Protestbild in der schottischen Hauptstadt nicht konfrontativ. Die gesamte Altstadt war in Weiß getaucht: 200.000 weiß gekleidete Menschen, die sich Punkt 15 Uhr die Hände reichten, um schweigend eine riesige Kette zu bilden. Ausnahmsweise freuten sich die Demonstranten über die Hubschrauber – sich selbst nämlich würden sie in den Spätnachrichten verfolgen können.

Weiß, die Farbe der Antiarmutskampagne. Auf Tony Blair bezogen passt vielleicht auch: die Farbe der Unschuld. Darin hat der britische Premierminister seine Hände tief eingetaucht – um sie reinzuwaschen. Seit dem Aufflammen der globalisierungskritischen Proteste vor fünf Jahren ist es keinem Staatschef der acht führenden Industriestaaten gelungen, den Protest so medienwirksam für sich zu vereinnahmen. Trotz der weltweiten „Live 8“-Konzerte und der Ankündigung nicht nur vereinzelter Popstars, sondern auch tausender Aktivisten ab Mitte der Woche ins schottische Gleneagles zu reisen, um bereits zu Beginn des G-8-Gipfels die Zufahrtsstraßen zu blockieren, stellt sich Blair auf die Seite des Protestierer und präsentiert sich als „Retter des vergessenen Kontinents“. Nun hat er den Blockierern auch noch versprochen, sie bis 500 Meter vor dem Tagungsgebäude des Golfressorts Gleneagles vor zu lassen – nach den gewaltsamen Protesten in Seattle und Genua ein kaum mehr vorstellbares Zugeständnis der Sicherheitsbehörden.

Und in der Tat fällt es den großen Nichtregierungsorganisationen schwer, Blair und US-Präsident George W. Bush noch in ein und dieselbe Schublade zu stecken. Um Blairs Vereinnahmungstaktik wenigstens auf der Demo selbst nicht zur Schau zu stellen, einigten sich die 350 Organisationen im Vorbereitungsbündnis wenigstens auf ein Parteilogo-Verbot auf Fahnen und Transparenten.

Nicht radikal, bitte!

Die Entwicklungsorganisation Oxfam jedoch, größter Akteur im Bündnis, macht keinen Hehl mehr aus der Unterstützung durch die britische Regierung. Konnten Blairs Fundamentalkritiker noch auf jeder linken Demo aus voller Kehle brüllen: „Who let the bombs out – Bush, Bush and Blair“, gab es am Samstag gerade in den vorderen Reihen viele Teilnehmer, die solche Parolen für fehl am Platze hielten.

Doch Blair sollte sich nicht zu früh freuen. Als „Sonntagsprotestierer“ bezeichnet ein Vertreter der trotzkistischen Socialist Worker jene „gemäßigten Demonstranten“: „Die kommen in Bussen an, zeigen für einen Tag, dass sie Afrika noch nicht vergessen haben, verkennen jedoch, dass auch Großbritannien weit von dem UN-Ziel entfernt ist, mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe auszugeben.“

Busse mit den radikaleren Kritikern würden sich erst jetzt auf den Weg machen, sagt Nick Glover vom linksradikalen „Dissent Network“: „Ich mache mir keine Sorgen, dass es dann auch Edinburgh mit Seattle, Prag und Genua aufnehmen kann.“