„Heilbehandlung“ mit der Magensonde

Zwangsernährung von Asylbewerbern löst bei Österreichs Sozialdemokraten Streit über neues Asylgesetz aus

WIEN taz ■ Dürfen Asylbewerber, die sich durch Hungerstreik aus der Schubhaft befreien wollen, zwangsernährt werden? An dieser Frage scheiden sich die Geister nicht nur zwischen Regierung auf der einen und Menschenrechtsorganisationen, Opposition sowie Ärzteschaft auf der anderen Seite. Auch in der SPÖ tobt eine Debatte, die im Auszug einiger Abgeordneter aus dem Plenum gipfeln könnte, wenn die Vorlage übermorgen beschlossen werden soll.

SPÖ-Generalsekretär Norbert Darabos gab letzte Woche eine Einigung mit den Regierungsparteien über das Fremden- und Asylpaket bekannt. Man habe in wichtigen Punkten Verbesserungen erreicht, sekundierte Fraktionschef Josef Cap. Doch die Regierungsverhandler Reinhold Lopatka, ÖVP, und Uwe Scheuch, BZÖ, gönnten der SPÖ keine Freude. Durch deren Mitwirkung habe sich am ursprünglichen Entwurf nichts geändert.

Allgemein als positiv anerkannt wird, dass die Asylverfahren durch eine Aufstockung des Personals beschleunigt werden sollen. Doch die Maßnahmen, die sich vorgeblich gegen Asylmissbrauch richten, werfen schwer wiegende menschenrechtliche Bedenken auf. So droht auch Traumatisierten, wenn sie über EU-Staaten, Norwegen oder Island einreisen, die Abschiebung. Und hungerstreikende Schubhäftlinge dürfen zwangsernährt werden.

Um das unschöne Bild einer Sonde, die einem Gefesselten durch die Nase in den Magen gerammt wird, zu verschleiern, hat die ÖVP den Terminus „Zwangsernährung“ durch „Heilbehandlung“ ersetzt. Die Scharfmacher von Haiders BZÖ gaben sich zufrieden. Norbert Darabos rechtfertigte seine Zustimmung damit, dass vom Gesetz her niemand gegen seinen Willen zwangsernährt werden dürfe. Die Ärzte würden sich also weigern. Die unterschiedlichen Interpretationen ergeben sich daraus, dass das Asylgesetz keine Zwangsernährung vorsieht, Schubhäftlinge aber bei Gesundheitsgefährdung in Strafhaft überstellt werden können, wo eine Behandlung gegen ihren Willen möglich wäre.

Grünen-Chef Alexander van der Bellen zeigt sich entrüstet: So einer Bestimmung zuzustimmen „und zu hoffen, dass kein Arzt sich findet, der das durchführt, halte ich für verlogen“. Er fordert die SPÖ auf, ihre Haltung bis zur Nationalratsabstimmung zu überdenken. Einige rote Abgeordneten tun das bereits. Allen voran Menschenrechtssprecher Werner Posch und Ex-Innenminister Caspar Einem, der seinen Widerspruch in einem Zeitungskommentar so begründete: „Ja, die Regierungsparteien wollten eine noch problematischere Gesetzeslösung und würden sie allenfalls – allein gelassen – auch wieder aus dem Hut ziehen. Aber für die Lösung müssten sie dann alleine geradestehen. Und das ist durchaus eine Diskussion wert.“

SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer hoffte gestern im Ö1-Radio auf die Einsicht der Dissidenten. „Ich glaube, dass in einer offenen und solidarischen Diskussion im Parlamentsklub alle einsehen werden, dass dieses Gesetz ein vernünftiger Schritt ist.“ Meinungsforscher Peter Hajek sieht die Begründung für den Kurs der SPÖ in den Umfragedaten, wonach 70 Prozent der Österreicher meinen, die Asylwerber würden gar nicht verfolgt. Knapp die Hälfte befürwortet die Zwangsernährung. RALF LEONHARD