Geliebte Garage

Melodie des Scheiterns: Das interdisziplinäre Leipziger Kunstprojekt „Heimat Moderne Experimentale 1“ ist am Augustusplatz angekommen

VON NINA APIN

Schön ist er nicht, der Leipziger Augustusplatz. Am Südende wirft das kopflastige Gewandhaus seinen Schatten, dahinter ragt glatt und steil der MDR-Turm in die Höhe. Gegenüber thront die neoklassizistische Oper. Eine Straßenbahnlinie trennt den Platz in zwei Hälften, auf die sich lustlos zwei Brunnen und ein gläsernes Ensemble aus Café, Parkhauseinfahrt und Kiosk verteilen. Die weiß leuchtende Garage am Mendebrunnen wirkt wie eine weitere ästhetische Zumutung.

„Meine Garage“ steht auf einem handgemalten Plakat, der Rest der Blechwände ist mit Graffiti und Aufklebern bedeckt. Durchs Fenster sieht man einen lädierten Wagen mit offenem Kofferraum. Hier ist die Moderne zu Hause. „Die Garage ist das ideale Symbol für uns“, erklärt Katja Heineke, Mitkuratorin des Kunstprojekts „Heimat Moderne“. „Sie ist funktional wie die Architektur der Moderne. Sie erinnert aber auch an den privaten Rückzug ins Eigenheim. Und sie ist ein moderner Mythos: In ihr wurden Firmen aufgebaut und Bands gegründet.“ Doch warum das kaputte Auto? „Es ist angeschlagen, aber es fährt noch“, lautet die Antwort. „Die Moderne galt lange als gescheitert, aber sie besitzt auch heute noch große Anziehungskraft.“

Die Moderne diskutieren, befragen und erforschen, das wollen die Teilnehmer des interdisziplinären Kunstprojekts „Heimat Moderne“, das sieben Monate lang durch Leipzig zieht. Nach der ersten Station im Musikviertel ist die Garage, und damit der thematische Schwerpunkt, auf dem Augustusplatz angekommen. Eigentlich hätte Katja Heineke gerne ein paar Veranstaltungen in der Hauptpost gemacht. Die Perle der sozialistischen Moderne, Baujahr 1964, dämmert ungenutzt am Rande des Platzes vor sich hin. Doch Telekom und Wohnungsbaugesellschaft stellten sich quer. „Man hat Angst davor, dieses Gebäude in die öffentliche Aufmerksamkeit zu bringen“, glaubt Heineke. Das Gebäude von Kurt Nowotny solle lieber in aller Stille abgerissen werden. „Angst vor der Öffentlichkeit hat in Leipzig Tradition. Aber darüber können Ihnen General Panel mehr erzählen.“

Silke Steets, Reinhard Krehl und Jan Wenzel von General Panel verkaufen neben der Garage kleine graue Bücher aus einem Bauchladen. Der „Leipziger Protestatlas“ kommt frisch aus der Druckerei. In aufwändig gestalteten 143 Seiten wird Leipzig neu kartografiert und gelesen: als Ort des Widerstands einer bürgerlichen Öffentlichkeit. Reinhard Krehl, Publizist und Autor der Ereignischronik im Buch, faltet eine der zahlreichen Karten auf: „Der Augustusplatz“, erzählt er, „ist ein traditioneller Ort für Bürgerversammlungen und Proteste.“ Ob gegen den Ersten Weltkrieg oder die Sprengung der Universitätskirche 1968 – stets nahmen Demonstrationen am größten zentralen Platz Leipzigs ihren Anfang. „Die Versammlungsfläche ist durch die Bebauung dramatisch geschrumpft“, ergänzt die Soziologin Silke Steets, „das ist politisch so gewollt.“ General Panel, die sich nach Walter Gropius’ Firma für Fertigbauteile benannt haben, sehen in der Moderne vor allem eine aufklärerische Wissensmoderne: „Mit dem Protestatlas wollen wir den Bürgern der Stadt ein Stück Wissenshoheit zurückgeben“, sagt Krehl, „Leipzig ist nicht nur die Stadt der Montagsdemos, sondern auch der Lebensmittelkrawalle, Frauenbildungsvereine und Hausbesetzungen.“

Im Zentrum, unweit von der „Speiseanstalt für Frauen und Mädchen“, die laut Protestatlas zwischen 1883 und 1886 von Arbeitern betrieben wurde, warten drei Zeitzeugen der sozialistischen Moderne auf ihren Untergang. Die Wohnscheiben am Brühl mit der freundlichen Dachbeschriftung „Willkommen in Leipzig“ sollen weg. Mit ihnen soll auch das ehemalige Kaufhaus Horten, im Volksmund „Blechbüchse“ genannt, aus dem Stadtbild verschwinden. „Heimat Moderne“ hat die Leipziger zu einem – freilich folgenlosen –Gedankenspiel eingeladen und einen Modellwettbewerb für die Umgestaltung ausgeschrieben. Eine Ausstellung in der Galerie für Zeitgenössische Kunst zeigt die eingegangenen 14 Modelle. Das originellste ist ganz aus Süßwaren hergestellt, ein maritimer Traum aus schwebenden Keksscheiben und Algengärten aus grünen Gummibärchen. Natürlich werden Entwürfe wie dieser die Gebäude nicht retten. Doch auch das Vergebliche kann schön anzusehen sein.

„Schöner scheitern“ nennt Regisseur Ulrich Hüni seinen „szenischen Essay“, der nebenan, im Altbau der Galerie für Zeitgenössische Kunst, uraufgeführt wird. Im hyperrealistischen Bühnenbild mit echtem Rasen, Apfelbaum und Gartenlaube wird eine Kleingartenidylle gezeigt, die so furios scheitert, dass selbst Don Quijote, Ritter von der traurigen Gestalt, als Erlöser daherkommt.

Auf dem abendlichen Augustusplatz mit seinen schlafenden Repräsentationsbauten entfaltet die Melodie des Scheiterns ihre ganze Faszination. Passanten strömen auf die Garage zu, aus der Vertrautes klingt: „Auferstanden aus Ruinen / Und der Zukunft zugewandt / Lass uns dir zum Guten dienen / Deutschland, einig Vaterland“. Inbrünstig schmettert ein Chor die Nationalhymne der DDR, das Publikum lauscht befremdet, ergriffen. Sonst vergisst man in Leipzig gerne, dass der moderne Komponist und Linke Hanns Eisler Sohn der Stadt ist. Doch an der Garage fühlen sich die Leipziger in ihrer Moderne zu Hause. „Alte Not gilt es zu zwingen / Und wir zwingen sie vereint / Denn es muss uns doch gelingen / Dass die Sonne schön wie nie / Über Deutschland scheint“.

„Heimat Moderne Experimentale 1“ in Leipzig, noch bis zum 15. September