Gipfelstürmer und Helden der Highlands

Über fünftausend Demonstranten werden heute in Schottland beim G-8-Treffen gegen die Politik der acht mächtigsten Männer der Welt protestieren. Die einen wollen den Staatschefs möglichst dicht auf die Pelle rücken, die anderen ihnen aus der Ferne, von den Hügeln herab, zeigen, dass sie nicht willkommen sind

AUS EDINBURGH UND STERLING FELIX LEE

So beschwerlich hat sich Megan den Weg nach Gleneagles dann doch nicht vorgestellt. Ihr Blick schweift über die Ochil Hills, ein gewaltiges Gebirgsmassiv, das wie ein bedrohlicher Schatten über den hunderten von bunten Zelten des Widerstandscamps liegt. „Neun Kilometer die Hügel rauf und sieben Kilometer die Hügel wieder runter“, rechnet Megan vor. Ihre zu roten Rastazöpfen verklebten Haare rutschen ihr ins Gesicht. Alles in allem mehr als zehn Stunden Fußmarsch von hier entfernt, erst dort befindet sich der G-8-Tagungsort.

„Da haben uns die Mächtigen der Welt doch vor größere Probleme gestellt, als wir vermutet haben“, gesteht die 26-Jährige. Aus Bristol kommt sie, studiert Philosophie und ist seit vier Jahren aktiv im globalisierungskritischen Widerstand. Erst hat sie sich umweltpolitisch bei einer lokalen Tierschutzgruppe engagiert, jetzt ist sie im linksradikalen „Dissent-Network“ aktiv. Natürlich sei sie im Urlaub schon häufig in den Highlands von Schottland gewesen. Aber mit so viel Fußmarsch hat sie dann doch nicht gerechnet. „Ein zweites Seattle wird uns hier nicht gelingen“, gesteht Megan. „Dafür sind wir viel zu weit vom Tagungsort entfernt.“

Wie ein mittelalterliches Spukschloss ragt das Schloss von Sterling hinter den Zeltdächern des „Eco-Village“, des Ökodorfs, das die AktivistInnen nach langem Streit mit der Stadtregierung von Sterling neben einem Industriegebiet aufbauen durften. 5.260 AktivistInnen hätten sich bis zum späten Montagabend im „Eco“ registriert, sagt die Frau am Campeingang, 25 Kilometer südöstlich vom G-8-Tagungsort. Neben Iren und Engländern seien auch Spanier, Skandinavier, Deutsche, Franzosen und Amerikaner da. „Nur die Genossen aus Italien fehlen noch.“

Rooibostee und Bio-Toiletten

Wie ein Provisorium wirkt das Lager nicht. Seit einer Woche werkeln Leute vom Dissent-Network am Camp. Ökoaktivisten, die seit mehr als einem Jahrzehnt hier in den Bergen leben und sich mit Wagenburgen und Platzbesetzungen gegen den Bau von Autobahnen wehren, hätten den Großteil der Infrastruktur gestellt, erzählt Megan. Es riecht nach scharfem Curry, Rooibostee, frisch gemähtem Heu und süßlichem Patschuli. Dutzende von Hunden toben zwischen den Zelten herum. Einige Aktivisten haben auch ihre Kinder mitgebracht. Es gibt ein Manchester-Barrio, eins mit dem Namen Lancaster, einen Zeltplatz von Iren. Die Sambagruppe aus Berlin hat ihr eigenes Lager aufgeschlagen, und UmweltaktivistInnen von „People and Planet“ verwalten ihr eigenes Zeltlager. Bio-Toiletten wurden in den sumpfigen Boden gegraben, Küchenwagen aufgebaut, Cafés, eine Teestube, ein „Beer & Ale“-Verkauf und eine Fahrradwerkstatt. Unten am Platzeingang spielt ein Musiker Dudelsack und wird rhythmisch begleitet von einem Bongotrommler. Während handwerklich geschulte AktivistInnen noch dabei sind, dicke Baumstämme für das Großtipi und zwei weitere Festzelte hochzustemmen, kauern mehrere hundert Kleingruppen zwischen ihren Zelten und studieren die Wanderkarten. Ein langer Fußmarsch steht ihnen bevor. Selbst Gipfelprotest-erprobte Aktivisten begreifen: Der Weg nach Gleneagles wird schwierig.

Gleneagles – das ist eigentlich ein Ferienresort für Golfer, mitten in einem idyllischen Tal, umringt von den steilen Hügeln der schottischen Lowlands. Angeblich hat George W. Bush das Hotel von Gleneagles mit seiner Gefolgschaft bereits komplett belegt. Die anderen Staatschefs werden mit ihren Delegationen aus den umliegenden Städten Perth, Glasgow und Edinburgh angefahren. Darin sehen die Aktivisten ihre Chance. Sie haben Blockaden aller Zufahrtsstraßen geplant.

Am Vormittag wurde im „Eco“ den Aktivisten ein selbst gedrehter Videoclip vom Ort des Geschehens vorgeführt: Ein acht Kilometer langer und zwei Meter hoher Stahlzaun, Wachtürme, ein dichtes Netz von Überwachungskameras, zwei Hubschrauber, die permanent die umliegenden Berge umkreisen. Die letzten regulären Gäste hätten das Fünf-Sterne-Hotel bereits am Sonntag verlassen, erzählt Megan. Seit Montag ist auch die nahe liegende Ortschaft Auchterader dicht.

Von offizieller Seite werden folgende Zahlen durchgegeben: 10.600 Polizisten, die in Alarmbereitschaft sind, ungefähr genauso viele Metallgitter und eine Flugverbotszone für das gesamte südöstliche Schottland. Achtzehn Monate habe Polizeichef John Vine damit verbracht, Schottlands Südosten für das große Gipfeltreffen zu wappnen. Sowohl der britische Geheimdienst MI 5 als auch die demoerprobte Londoner Polizei seien beteiligt. Einige von ihnen waren bereits im vergangenen Jahr beim G-8-Gipfel auf der US-Insel Sea Island dabei und durften dort ihren amerikanischen Kollegen über die Schulter schauen. Vines „Operation Sorbus“ ist nach der Frucht der Eberesche benannt, die nach dem Volksglauben böse Geister abwehren soll. Der Zaun soll dabei nicht nur Hindernis, sondern auch Demarkationslinie sein: Demonstranten, die versuchen, darüber zu klettern, würden sofort festgenommen werden. Gummiknüppel und Wasserwerfer soll es möglichst nicht geben. Dass es der Polizeichef aber ernst nimmt mit der Sicherheit, zeigen die geschätzten Kosten von umgerechnet 150 Millionen Euro. 40 Prozent mehr, als der Gipfel 2001 in Genua gekostet hat.

Und in der Öffentlichkeit heißt es über die Demonstranten: Antikapitalisten, die dem anarchistischen „schwarzen Block“ angehören, einer Aktionsform, die ihre Wurzeln in Deutschland und Skandinavien habe und bereits bei früheren G-8-Treffen für die Randale verantwortlich war – so wird ein ranghoher Polizeieinsatzleiter in Edinburgh in einer schottischen Boulevardzeitung zitiert. Er rechne mit zehntausend gewaltbereiten Globalisierungsgegnern, die den dreitägigen Gipfel mit Protestaktionen stören wollen. Seine Strategie: Die bösen von den guten Demonstranten trennen. Und ein Tipp: Geschäfte und Banken sollten doch zumindest ihre Glasflächen mit Holzbrettern absichern – wenn sie schon nicht imstande sind, für ein paar Tage die Türen ganz dicht zu machen.

Scharmützel für die Zeitung

Und dann kommt es am Montag, zwei Tage vor dem offiziellen Beginn des G-8-Gipfels, tatsächlich zum ersten Handgemenge. Aber nicht, wie zuvor befürchtet, ausgelöst von schwarz gekleideten Autonomen und Anarchisten. „Erschreckend gekleidete Clowns“ seien es gewesen, schreibt The Scotsman und übertitelt ihre Ausgabe am nächsten Tag mit „Anarchy in Edinburgh“.

Mehrere hundert Demonstranten hätten sich Straßenkämpfe mit der Polizei geliefert. Verletzt wurde auf der Demo niemand. Die wenigen Scharmützel zwischen Polizei und Demonstranten genügten jedoch, um die zu diesen Titeln passenden Bilder zu liefern. Die Polizei nahm vierzig Clowns fest.

Bilder, von denen der 53-jährige Rich Wright aus Yorkshire nichts wissen will. Auch er will heute in Gleneagles protestieren. Auch er sitzt vor einem Zelt und studiert die Wanderkarte. Aber sein Zelt steht nicht im Ökocamp in Sterling, sondern auf einem von der Stadtregierung gesponserten Campingplatz am Stadtrand von Edinburgh. „Socialist Worker“ sei er. Konfrontativ müsse man bei den „G-8-Heuchlern“ sein, sagt er. Aber Gewalt lehnt er ab. Mit Blick auf die Zeitungsbilder sagt er: „Während die ihren Spaß auf der Straße haben, sind wir seit vier Uhr morgens unterwegs.“ Rich war unter den 500 Demonstranten, die am Montagmorgen für einen Tag den Militärstützpunkt Faslane blockiert hatten. Das Busticket zur offiziellen Demo in Gleneagles steckt in seiner rechten Brusttasche. 4.500 Demonstranten wollen die Sicherheitskräfte bis 500 Meter vor das Tagungshaus lassen. Rich will einer von ihnen sein.

Megan hingegen will sich den Hillwalkers anschließen, den Gipfelstürmern. Nur mit Schlafsäcken auf dem Rücken, großen blauen Tüten und ein paar Holzscheiten im Gepäck machen sie sich in den Mittagsstunden auf den Weg in die Berge. Gegen Mitternacht wollen sie die Bergspitzen der Ochill Hills erreicht haben und Beacons of Dissent entzünden, Leuchtfeuer, die vom Tagungsort zu erkennen sind und den Mächtigen dieser Welt mitteilen sollen: Ihr seid hier nicht willkommen.

Nicht nur diese Leuchtfeuer wecken Erinnerungen an Heldenepen wie „Herr der Ringe“. Kann es ein Zufall sein, dass die Globalisierungskritiker ihr Widerstandscamp ausgerechnet an der Stelle aufbauen durften, an der im Jahr 1297 die rebellischen Schotten unter Führung ihres Nationalhelden William Wallace, besser bekannt als „Braveheart“, die Engländer siegreich gen Süden schlugen? Auch damals besiegten die Schotten die Besatzer, weil sie wichtige Zufahrtsstraßen und Versorgungswege blockierten. Erzählt man sich so. Im Widerstandscamp.