Für den Anfang 1.000 Dollar

AUS KINSHASADOMINIC JOHNSON

Papa Moke könnte ein Idealkandidat für Kapitalgeber sein. Angestellter einer Brauerei im Kongo ist er, Inhaber eines Sägewerks, Getränkehändler – der stattliche Mittvierziger ist vielseitig und dynamisch. Wenn er so in der Mittagspause aus der Firma herausstürmt, platzt er vor Energie. „Ich brauche Kapital“, sagt er, während er in großen Schritten durch den chaotischen Verkehr eilt. „Dann geht alles.“

Die Procredit-Bank in Kinshasa könnte wie geschaffen sein für Leute wie Papa Moke. Als neueste Filiale einer revolutionären Initiative der Frankfurter Internationale Projekt Consult (IPC) will sie im Kongo etwas aufbauen, was es dort so bisher nicht gab: eine ganz normale Bank, wo ganz normale Leute ganz normale Konten halten und Kredite aufnehmen können. So wie bereits in 18 weiteren Ländern in Osteuropa, Lateinamerika und Afrika.

Die Eröffnung steht kurz bevor, die Wände werden gerade in Weiß und mit dem typischen Regenbogenmotiv von Procredit gemalert, eifrige Angestellte sitzen an Computern, die Stimmung ist locker. „Als ich anfing, haben mich alle für bekloppt erklärt“, erzählt der deutsche Procredit-Chef Oliver Meisenberg in seinem offenen Büro. „Jetzt sind alle begeistert.“

Land ohne Arbeit

Der G-8-Gipfel diese Woche in Schottland soll Schritte zur Armutsbekämpfung in Afrika beschließen. Für die Demokratische Republik Kongo ist das sehr wichtig. Von Misswirtschaft, Plünderungen und Krieg zerstört, erwirtschaftet das 60 Millionen Einwohner zählende Land heute ein Pro-Kopf-Einkommen von unter 100 US-Dollar im Jahr.

21 Millionen Menschen im arbeitsfähigen Alter gibt es im Kongo. Aber das Land zählt ganze 59.405 Steuern zahlende Unternehmen und 565.000 bezahlte Arbeitsplätze im formellen Sektor. Das hat eine von Procredit in Auftrag gegebene Studie ergeben – eine Erwerbstätigenquote von 2,7 Prozent, wohl Welt-Negativrekord. Der überwiegende Teil der Bevölkerung lebt in der unsicheren Schattenwirtschaft.

Bei Umfragen unter Afrikanern darüber, wie Armut zu bekämpfen wäre, ist die häufigste Antwort entlarvend einfach: Geld verdienen. Ein Arbeitsplatz, ein Gehalt: Die Wünsche sind im Kongo nicht anders als in Deutschland. Keiner setzt auf Entwicklungshelfer. Jeder setzt auf sich selbst.

Papa Moke arbeitet in der Brauerei, die Kongos beliebte Biermarke „Skol“ herstellt. Die „Bracongo“ liegt an einer Industriestraße Kinshasas in Hafennähe, umgeben von überwucherten Bahngleisen. Brauereien sind in Kongos Krise die stabilsten Arbeitgeber, denn betrinken will man sich immer. Aber die Bracongo reicht dem Familienvater nicht. Er sei Firmenchef, verkündet er auf dem Weg nach Masina, wo er Arlette, der Prüferin von Procredit, sein Sägewerk zeigen will.

Masina mit über einer Million Einwohnern ist einer der aufsässigsten Vororte der Sechs-Millionen-Stadt Kinshasa, ein Hexenkessel aus Wut und Armut. Masina hat den größten Markt der Metropole, den Freiheitsmarkt – Marché de la Liberté –, mit viel blau-gelben Nationalfarben. Wie auf allen Märkten Afrikas herrscht hier, obwohl es so aussieht, kein kunterbuntes Gewusel. Sondern eine strenge Ordnung: Stoffhändler hier, Metallhändler dort, Holzkohlehändler hinten rechts, Holzhändler vorne rechts. Jeder kennt seinen Platz, jeder Kunde kennt den Ort jeder Ware, jeder Händler zahlt seine Gebühren. So gut funktioniert Afrika, wenn sich Afrikaner selbstbestimmt darum kümmern.

Vorne rechts liegt also Papa Mokes Sägewerk. Eigentlich ist es gar kein Sägewerk, sondern einfach eine Säge – eine Motorsäge, aufgestellt zwischen großen Haufen Sägespänen auf einer Parzelle unter freiem Himmel, mit genau gleichen Parzellen mit genau gleichen Motorsägen links und rechts. Papa Moke strahlt und zeigt stolz auf seine sechs Arbeiter, die mit seiner Motorsäge aus riesigen Holzbalken Kanthölzer schneiden: zehn mal zehn Zentimeter, fünf Meter lang.

Mokes Rechnung ist ganz einfach. Die Säge kostete 1.000 Dollar. Zehn Dollar Wartungskosten pro Monat muss er rechnen, dazu 50 für Strom und Standgebühr. Für einen zersägten Balken kriegt er 1.200 Kongolesische Franc, knapp drei Dollar. Zwanzig verarbeiten seine sechs Leute am Tag. Aber er muss das Holz ja erst mal einkaufen, da bleibt nicht viel Gewinn übrig. Mehr als 10.000 Franc, 20 Dollar, am Tag sind es nicht, oft viel weniger. Seine sechs Arbeiter kriegen 30 Prozent des Tagesverdienstes, egal wie hoch der ist. Sie können froh sein, wenn da für jeden ein Dollar pro Tag bleibt – für eine anstrengende Arbeit in der tropischen Sonne. So lebt es sich in Kinshasa, wo Lebensmittelpreise europäisches Niveau haben.

Banken ohne Kredit

„Wenn ich noch eine zweite Säge hätte“, sagt Papa Moke, und sein Blick verklärt sich in der dunstigen Mittagshitze, „könnte ich doppelt so viele Holzlatten verkaufen.“ Dafür braucht er einen Kredit. Denn 1.000 Dollar hat er nicht flüssig. Im Kongo verkauft niemand eine Ware ohne sofortige Barzahlung – das allgemeine Misstrauen ist zu groß.

Procredit-Prüferin Arlette ist skeptisch. Klein und forsch, im roten Kleid, blickt sie von ihrem Fragebogen auf und sieht nicht Papa Moke, sondern Mama Biki, groß und finster in einem gelben Umhang, der allmählich die Farbe der Sägespäne annimmt.

Mama Biki ist die eigentliche Chefin hier. Die Markthändlerin verkauft Papa Moke das Holz und kauft ihm die Kanthölzer wieder ab. Sie bestimmt die Preise. Sie dirigiert seine Arbeiter mit knappen Befehlen. Sie schaut Papa Moke mitleidig an und schweigt vielsagend. Kein Wunder, dass Papa Moke Geld sucht, um sich zu emanzipieren.

Zwei Millionen Kleinunternehmer gibt es in Kinshasa. Kongos Finanzsystem ist für sie untauglich. Banken im Kongo dienen fast ausschließlich Devisengeschäften. Es gibt horrende Mindesteinlagen – bis zu 5.000 Dollar – und Wuchergebühren. Auf 60 Millionen Kongolesen kommen daher ganze 35.000 Kontoinhaber.

„In diesem Umfeld kommen wir und sagen: Es ist nicht die Hauptaufgabe einer Bank, an Gebühren zu verdienen, sondern an Krediten“, erklärt Procredit-Chef Meisenberg. „Wir sind eine Bank, von der die Kunden nicht nur Kredite kriegen, sondern auch alle anderen Bankleistungen.“

Für die traditionelle Entwicklungshilfe ist das Neuland. Längst haben Helfer zwar das Konzept der „Mikrokredite“ entdeckt: In Spargemeinschaften legen Leute ihr Geld zusammen und können daraus Kleinkredite ziehen, die unter Aufsicht der Spargemeinschaft verwendet und zurückgezahlt werden. Im Kongo sind das die einzigen Spar- und Kreditmöglichkeiten. Der von der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit geförderte Mikrokredit-Dachverband Rifidec zählte 2003 in Kinshasa 23.028 Einleger mit Durchschnittsguthaben von umgerechnet 32 Dollar. Seine Mitglieder vergaben 3.203 Kredite über insgesamt knapp 239.000 Dollar. Rifidec deckt nur einen Bruchteil des Sektors ab, aber die Zahlen sind typisch.

Für Leute wie Papa Moke ist das zu wenig. Die Mikrokreditsysteme mobilisieren nur das Geld, das schon da ist – zur Vermehrung des Kapitals sind sie untauglich. Das soll sich nun ändern. Einer der kongolesischen Procredit-Angestellten erklärt: „Wer etwas leistet, sollte Unterstützung kriegen. Im Staatssektor gibt es Unternehmen, die keine Gehälter zahlen. Aber sie kriegen Staatsgeld, während im informellen Sektor Unternehmer bezahlte Arbeitsplätze schaffen, von denen jeder eine Familie unterstützt, und denen hilft keiner. Die kleinen und mittelständischen Unternehmen sind die Quelle der Entwicklung.“

Procredit-Banken wollen die Förderung des Kleinunternehmertums in Afrika auf eine neue Stufe stellen. Als Erstes lenken sie internationales Kapital in den Sektor. Aufgebaut wurde Procredit-Congo mit drei Millionen Dollar Eigenkapital aus der Procredit-Holding – in der unter anderem die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau einen Anteil hält – und 1,1 Millionen Dollar technischer Hilfe von der Weltbank und anderen Gebern.

Papa Moke ohne Zusage

Mit diesen relativ kleinen Beträgen ist Procredit-Congo schon vor der Eröffnung zweitgrößte Bank des Landes. Als Modell gilt Kosovo, wo Procredit einen Marktanteil von 80 Prozent hat. Im Kongo aufgewachsen und mit dem Land bestens vertraut, kontert der Deutsche Meisenberg mit solchen Zielen Pessimisten, die meinen, hier gehe doch sowieso nichts.

Als Nächstes wird Procredit Kleinkredite an Unternehmer vergeben, in einer Spanne von 150 bis 15.000 Dollar – viel mehr als die Mikrokreditinstitute. Kreditwürdig sind nur Einzelpersonen, die seit mindestens sechs Monaten ihrem Geschäft nachgehen und strenge Kriterien erfüllen: keine Kinderarbeit, kein Handel mit Diamanten, Waffen, Alkohol, illegalen Hölzern. Prüfer der Bank befragen seit Wochen potenzielle Kunden.

Papa Moke kommt ins Schwitzen, als Prüferin Arlette neben ihm steht und seine Säge anguckt. Er weiß ja auch nicht genau, wo Mama Biki das Holz herhat, das seine Leute da zersägen. Vielleicht kommt es ja aus illegalem Einschlag? Als Kunde von Procredit kommt Papa Moke unter ökologischen Kriterien schon mal nicht in Frage.

Das ist nicht der einzige Grund. „Das ist doch ein Angeber“, sagt Arlette auf der Rückfahrt. „Mit seinen paar Dollar am Tag kann er keinen Kredit abzahlen, und mit einer zweiten Säge hat er noch lange kein höheres Einkommen sicher.“ Die Prüfung fällt kurz aus. Die Prüferin hat noch andere, bessere Kunden.