„Auch Afrika darf sich schützen“

Die EU will sich mit Freihandelsabkommen einen privilegierten Zugang zu den afrikanischen Märkten sichern. Das gilt es zu verhindern, fordert Aminata Traoré aus Mali, die Afrikas Gegengipfel zum G-8-Treffen in Edinburgh organisiert

taz: Frau Traoré, Sie haben zuletzt durch eine Kampagne gegen die anvisierten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den AKP-Staaten von sich reden gemacht. Was haben Sie gegen diese Abkommen?

Aminata Traoré: Diese Abkommen zielen darauf, unsere Märkte für europäische Importe zu öffnen. Unsere Kleinunternehmer sollen überschwemmt werden. Das ist unverantwortlich! Es geht vor allem um die Landwirtschaft und den Dienstleistungssektor. Seit 50 Jahren Unabhängigkeit und seit 30 Jahren Strukturanpassung hören wir immer dasselbe: „Schafft gute Rahmenbedingungen, wir kommen! Baut die richtigen Institutionen auf, damit wir uns bei euch wie zu Hause fühlen und damit die Investitionsrendite stimmt!“ Und dann wundern sich die Europäer, dass unsere Männer und Frauen, mittellos, verarmt und verzweifelt, auf Wanderung gehen? Ihr schickt uns doch zugleich eure Fernsehbilder, um uns zu zeigen, wie man gut lebt.

Was wäre denn die Alternative?

Europa wird sich schon noch wundern. Europa zittert doch schon. Europa verlangt von uns Wettbewerbsfähigkeit, aber mit China erfährt es Wettbewerbsfähigkeit am eigenen Leib und kriegt die Panik. Europa schickt uns seine Hühnerbeine, seine Gebrauchtwagen, seine abgelaufenen Medikamente und seine ausgelatschten Schuhe, und weil eure Reste unsere Märkte überschwemmen, gehen unsere Handwerker und Bauern unter. Jetzt schickt China seine Produkte nach Europa, und zwar nicht einmal Reste, sondern saubere, wettbewerbsfähige Waren. Und was tut Europa? Es diskutiert Zölle. Also sage ich: Auch Afrika darf sich schützen. Europa kann doch nicht vor China Panik kriegen und zugleich von Afrika Öffnung verlangen.

Aber die Führer Afrikas werden sich wohl doch mit der EU auf die neuen Freihandelsabkommen einigen. Was machen Sie dann?

Für uns sind diese Abkommen die Massenvernichtungswaffen Europas. Wir müssen ein afrikanisches Bewusstsein darüber bilden. Also als Erstes: eine mündige öffentliche Meinung. Dann müssen wir von unseren Politikern verlangen, diese Meinung zu vertreten. Das ist Demokratie. Hören wir doch auf mit transparenten Wahlurnen und öffentlichen Wählerlisten, darum geht es nicht. Es geht um einen wirklichen Dialog zwischen Bürgern und Politikern, um eine verantwortungsbewusste, fordernde Zivilgesellschaft. Ganz wichtig ist der Schulterschluss mit der öffentlichen Meinung des Nordens. Deswegen habe ich mich auch in die französische Referendumskampagne zur EU-Verfassung eingemischt. Man kann doch nicht über Europa reden und zugleich die afrikanischen Länder ignorieren, mittels derer die einstigen Kolonialmächte ihr Kapital aufgebaut haben.

In den bestehenden Kooperationsabkommen von Cotonou zwischen der EU und den AKP-Staaten ist der Dialog mit der Zivilgesellschaft bereits vorgesehen. Das müsste also auch bei Freihandelsverhandlungen gelten. Waren Sie beteiligt oder überhaupt eingeladen?

Für so was wird von den Politikern eine eigene Zivilgesellschaft maßgeschneidert. Kleine Gruppen von Leuten bilden einen Verein, und solche Vereine werden dann bevorzugt, um die wahre Zivilgesellschaft zu umgehen, die weiter am Bettelstab geht.

Sie suchen das Bündnis mit Europas Globalisierungskritikern. Wenn diese jedoch Afrikas Regierungen kritisieren, wirft man ihnen schnell Paternalismus vor.

Ich weiß. Als wir die globalisierungskritische Bewegung gründeten, zeigte man auf uns mit dem Finger: Die sind rückschrittlich, die wollen keinen Fortschritt, kein Genfood und so weiter. Man wollte keine freie Diskussion. Und wenn jemand im Norden unsere Forderungen aufgreift, nennt man sie paternalistisch. Sicherlich gibt es da auch Paternalisten. Aber es gibt auch wahre Verbündete, die uns respektieren. Wir wollen wahre Verbündete, denn die Folgen liberaler Politik sind überall gleich. Heute merken das die Leute im Norden allmählich. Je weiter Europa sich integriert, desto stärker spüren die Menschen dort die Entmachtung, die wir hier bereits leben. Europa hat das Glück, dass seine sozialen Bewegungen viel organisierter sind als unsere.

Man sagt: Es gibt keine Alternative zum Freihandel.

Dann darf man sich nicht wundern, wenn die Menschen bei uns keine Alternative zu Auswanderung sehen, zu Krieg, zu Armut.

Wenn Sie so reden, setzen Sie sich der Kritik aus, demagogisch zu sein.

Nein. Diese Kritiker sind Karrieristen. Ich brauche nicht demagogisch zu sein, ich bin keine Politikerin, ich habe daran nichts zu gewinnen und nichts zu verlieren. Ich sage nur, dass die Bürokraten in Nord und Süd heiße Luft von sich geben.

INTERVIEW: FRANÇOIS MISSER