Mirenas strittiger Siegeszug

Schering verweist auf zufriedene Kundinnen – in Internetforen berichten Frauen von Problemen

VON KATHARINA KOUFEN

Wenn Frauen verhüten, freut sich nicht nur der Liebhaber, sondern auch Hubertus Erlen. Der Mann ist Vorstandschef von Schering. Der Pharmariese ist Weltmarktführer bei der Herstellung von Verhütungsmitteln.

Im vergangenen Jahr hat die Firma Schering, ein Global Player mit über 140 Tochtergesellschaften, einen neuen Rekordgewinn eingestrichen: 500 Millionen Euro, gut 10 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Aktie des Unternehmens legte um 37 Prozent zu.

Solche Zahlen verdanken Erlen, seine weltweit über 25.000 Angestellten und seine Aktionäre vor allem zwei Verhütungsmitteln, die sich zum wahren Verkaufsschlager entwickelt haben: Yasmin und Mirena. Yasmin ist eine Mikropille, weltweit die Nummer eins unter den oralen Kontrazeptiva. 429 Millionen Euro brachte sie dem Konzern im vergangenen Jahr ein.

Mirena ist eine Hormonspirale – „die“ Hormonspirale. Der Name ist zum Synonym für Hormonspirale geworden, so wie Maggi für Gewürzmischung. Fast 200 Millionen Euro nahm Schering 2004 durch den Verkauf von Mirena ein – um mehr als 20 Prozent wuchs der Umsatz gegenüber dem Vorjahr. Eine Million Frauen in Deutschland verhüten mit Mirena, weltweit sind es sechseinhalb Millionen. Mirena ist mittlerweile in 102 Ländern zugelassen.

Scherings Hormonspirale ist in gewisser Weise eine Kreuzung aus Pille und Spirale. Sie kombiniert ein T-förmiges Kunststoffteil mit einem kleinen Zylinder, der kontinuierlich Gelbkörperhormone abgibt. Der Empfängnisschutz dauert fünf Jahre.

Doch Mirena ist mehr als einfach nur ein Verhütungsmittel. Über die Hormonspirale gehen mittlerweile die Meinungen auseinander. Für die einen bedeutet Mirena wegen ihrer Vorteile mehr Lebensqualität. Für die anderen steht der Name Mirena für einen oft jahrelangen und überflüssigen Leidensweg.

Die Mirena-Fans führen zunächst den Kostenfaktor an: Das Einsetzen einer solchen Spirale kostet um die 350 Euro. Zum Vergleich: Für die Pille werden pro Monat in etwa 10 Euro fällig, das sind in fünf Jahren 600 Euro. Ökonomisch gesehen ist die Spirale also sinnvoll.

Für Mirena spricht auch, dass sie mit hoher Sicherheit vor einer Schwangerschaft schützt: Nur 1 von 1.000 Frauen, die ein Jahr lang mit Mirena verhüten, wird ungewollt schwanger. Bei der Pille sind es immerhin bis zu 9 von 1.000 Frauen, je nach Hormondosierung. Außerdem fällt das tägliche „An-die-Verhütung-Denken“ weg.

Für viele Frauen ist das schlagende Argument aber ein anderes: Mirena unterdrückt in vielen Fällen die monatliche Blutung, bei jeder fünften Frau bleibt sie ganz weg. Und das liegt im Trend. Laut einer Umfrage der Uniklinik Frankfurt würden drei von vier Frauen zumindest zeitweise auf ihre Tage verzichten. Fast jede zweite Frau wäre ihre Monatsblutung sogar gern für immer los.

Ein Trend, den Wolfgang Würfel, Professor für Gynäkologie in München und Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin, bestätigen kann. „Frauen, die Hormonpräparate einnehmen, wollen heute oft, dass die Regel wegbleibt“, sagt Würfel. Dies werde auch von der Pharmaindustrie ganz bewusst so beworben: Die Menstruation ist ein Hygieneproblem, das man auf diese Weise umgehen kann.

Als reines Verhütungsmittel habe die Spirale ihre große Zeit dagegen schon hinter sich, meint Würfel. „Die war in den 80er-Jahren.“ Heute dächten die meisten Frauen kritischer darüber nach, wie sie eine ungewollte Empfängnis verhindern können. Die Nebenwirkungen der herkömmlichen Kupferspirale, etwa Unterleibsentzündungen, seien präsenter als früher. Für viele kommt ein Fremdkörper in der Gebärmutter nicht infrage. Nach einer Umfrage von Schering verhüten in Deutschland nur 6 Prozent der Frauen mit einer Spirale. Und: Mittlerweile herrscht weitgehend Konsens darüber, dass Verhütung nicht mehr nur Sache der Frau ist, sondern Männer genauso angeht. In der Schering-Befragung gaben immerhin 27 Prozent der Frauen als Verhütungsmittel „Kondome“ an.

So preist Schering Mirena gerne auch als Mittel für einen „harmonischen Übergang in die Wechseljahre“. Denn, erklärt der Hersteller, bei vielen Frauen um die 40 gerieten die Hormone aus dem Gleichgewicht, da die Eierstöcke langsam Ihre Funktion einstellten. Verstärkte Blutungen können dafür ein erstes Zeichen sein. „Diese in den Wechseljahren oft massiven Blutungsstörungen lassen sich durch die Hormonspirale besonders effektiv vermeiden.“

Auch Experte Würfel hält Mirena vor allem für Frauen „ab einem gewissen Alter“ für empfehlenswert. Ab Mitte dreißig nehmen bestimmte Beschwerden zu, etwa Myome, eine Verdickung der Gebärmutter oder Endometriose, eine chronische Gewebeansammlung im Unterleib. Die Perioden werden oft schmerzhafter, unregelmäßiger und stärker. „Dagegen wirkt Mirena.“ Auch sei von Vorteil, wenn eine Frau bereits Kinder hat, weil dann das Einlegen der Spirale weniger schmerzhaft ist.

Eigentlich ist die große Zeit der Spirale vorbei. Aber Mirena wird nun vor allem Frauen um die 40 empfohlen

Trotzdem raten Frauenärzte auch jüngeren, kinderlosen Patientinnen immer wieder, sich die Hormonspirale einsetzen zu lassen. „In Einzelfällen kann das durchaus sinnvoll sein“, räumt die Ärztin Sabine Földi ein, die als Beraterin für Pro Familia arbeitet. Dann nämlich, wenn junge Frauen die Pille nicht nehmen möchten und trotzdem sicher verhüten wollen oder auch bei starker Monatsblutung. Pro Familia weist Frauen aber immer auch auf mögliche Nebenwirkungen hin.

Die sind nach Angaben von Schering selten: Die „überwältigende Mehrheit von 96 Prozent der Anwenderinnen“ bestätigen laut Hersteller, dass sie mit der Hormonspirale „zufrieden beziehungsweise sehr zufrieden“ sind. 41 Prozent hätten „überhaupt keine Probleme“. Als nachteilig werde, wenn überhaupt, vor allem der Schmerz beim Legen der Spirale empfunden, sagt Schering-Sprecherin Petra Fox-Kuchenbecker.

Klickt man dagegen im Internet die zahlreichen Frauen- und Gesundheitsforen an, ist der Eindruck ein ganz anderer: In hunderten von Mails wird vor der Folgen gewarnt, beschreiben Frauen, wie es ihnen mit Mirena ergangen ist. So schreibt „Barbara“ auf „gyn.de“: „Habe nach 2 Jahren die Mirena entfernen lassen und fühle mich jetzt viel besser. Nach dem sehr schmerzhaften Einlegen der Mirena hatte ich ständig einen Druck auf der Blase, musste jede Nacht aufstehen und zur Toilette. Danach ging es weiter mit Depressionen, extrem trockener Haut, Juckreiz, Schweißausbrüchen, zehn Kilo Gewichtszunahme und einer Zyste in der Brust. Nie wieder Mirena.“ Eine andere Frau schreibt: „Was mich total verunsichert, ist, dass ich nur noch schlecht gelaunt und ständig gereizt bin. Ich reagiere auf alles total sensibel und kenne mich selber nicht mehr wieder. Wirke schon depressiv.“ Vor allem über Schmerzen im Unterleib, Schmierblutungen, Gereiztheit, Migräne, depressive Verstimmung und Lustlosigkeit beim Sex klagen die Frauen.

Das Frauengesundheitszentrum Berlin hat daher „ganz klar eine negative Meinung“ zu Mirena. Immer wieder kämen Frauen mit Beschwerden zu ihnen, erzählt eine Mitarbeiterin. Gynäkologen hätten die Spirale in manchen Fällen wider besseres Wissen empfohlen, zum Beispiel bei einer Patientin mit Hepatitis. Die Beraterinnen vermuten, dass es sich viele Frauenärzte mit der Spirale leicht machten: Da müsse man nicht lange die Handhabung erklären, wie etwa beim Diaphragma. Einmal gelegt ist gelegt. Auch werde die Mirena massiv von den Vertretern des Pharmakonzerns beworben, nimmt man im Frauenzentrum an. „Da kommt der Vertreter mit dem Köfferchen in die Praxis und beschwatzt den Arzt.“

Schering-Sprecherin Fox-Kuchenbecker nennt so etwas lieber „Informationsbesuch eines Außendienstmitarbeiters“. Natürlich betreibe das Unternehmen Marketing für die Spirale, aber nicht mehr oder weniger als für andere Präparate auch. Und die Zeiten, in denen Ärzte auf Kongresse in Sankt Moritz oder Saint Tropez eingeladen wurden, seien für die deutschen Pharmahersteller eh vorbei, seit sie sich 2004 der Selbstverpflichtung des Verbands forschender Arzneimittelhersteller unterworfen haben. Darin steht, wie viel Sterne ein Kongresshotel haben darf und wie viele Reisekosten anfallen dürfen.

Im Übrigen ist das für Schering-Chef Hubertus Erlen und seine Leute gar nicht so wichtig. Denn die hohen Wachstumsraten bei Mirena fährt der Pharmakonzern in letzter Zeit sowieso im Ausland ein. Hauptsache, die Frauen anderswo steigen auf die Verhütung mit Mirena um.