„Die SPD kann sich bei Lafontaine bedanken“

Wenn die Linkspartei satt über 5 Prozent kommt, wackelt nicht nur der schwarz-gelbe Sieg. Die gesamte Machtlogik im Parlament verändert sich. Die FDP rückt an den Rand, die SPD in die Mitte. Doch die SPD begreift das nicht

taz: Herr Walter, ist Oskar Lafontaine ein Rechtspopulist?

Franz Walter: Wenn er heute ein Rechtspopulist ist – bitte, dann hat die SPD 1990 einen Rechtspopulisten zum Kanzlerkandidaten und 1995 zum Parteivorsitzenden gemacht. Lafontaine hat immer schon ein Gespür gehabt, was das Wahlvolk will. Er war schon in den späten 80ern für ein restriktives Asylrecht. Im Frühjahr 1996 hat er Wahlkampf gegen Russlanddeutsche gemacht. Noch 1999 als Minister war er viel vorsichtiger bei der doppelten Staatsbürgerschaft als Schröder.

Also nicht Neues?

Nein. Er hat aber, anders als viele neumittige Politiker, noch einen Instinkt für jene Schichten, die die Sozialdemokratie gar nicht mehr kennt.

Die „Fremdarbeiter“, die deutsche Familien bedrohen – ist das kein Appell an latente Fremdenfeindlichkeit?

Der Historiker Ulrich Herbert hat vorgestern in der FAZ darauf hingewiesen, dass der Begriff vor 1933 völlig gebräuchlich war. Übrigens auch in der sächsischen Arbeiterbewegung, in der die Rumänen und Italiener immer so bezeichnet wurden. Ähnliches gilt für die Schicksalsgemeinschaft, von der Lafontaine spricht und die jetzt unter diffusen Naziverdacht gestellt wird. Schicksalsgemeinschaft ist aber der Kernbegriff des Staatsrechtlers Hermann Heller, der der Gegenspieler von Carl Schmitt war. Man findet den Begriff auch bei dem Austromarxisten Otto Bauer. Ich denke, dass Lafontaine durchaus in der Lage ist, mit Rückgriff auf solche Autoritäten, seine Begriffe zu legitimieren und in eine linksrepublikanische Tradition zu rücken.

Also kann man ihn nicht mit einer Figur wie Pim Fortyn vergleichen?

Vielleicht schon. Fortyn war ja auch kein männerbündischer Bierzelt-Populist, sondern modern, intellektuell, um republikanische Rechtfertigungen bemüht. Aber die Frage ist, was Vergleiche mit Fortyn oder Haider bringen – oder gar mit der NPD. Ich finde, nicht viel.

Warum?

Weil das Problem der Linken nicht ist, dass Teile ihrer Klientel zur DVU oder zur NPD abgewandert sind. Das große, ungelöste Problem der SPD ist, dass sie massiv Arbeiter an die Union verloren hat. Interessant ist nun, dass laut Meinungsumfragen die Union in den letzten Wochen fünf Prozent verloren hat – und die Linkspartei bei 11 Prozent steht. Die Linkspartei nimmt offenbar der Union genau jene Wähler ab, die früher SPD gewählt haben. Darum geht es – ein Prozent NPD-Wähler sind da völlig uninteressant. Umso seltsamer, dass Lafontaine nun immer mit NPD-Stimmen assoziiert wird.

Diese 11 Prozent Linksparteiwähler sind also das Echo auf den abgedichteten Reform-Diskurs der Eliten?

Klar. Populismus ist ja nur erfolgreich, wenn es ein Problem gibt, das die Etablierten nicht mehr wahrnehmen und artikulieren. Und die Eliten neigen zu einem hermetischen, abgehobenen Diskurs, einer Experten- und Sachverständigensprache, die viele ausschließt. Nun tritt einer wie Lafontaine auf, der nicht so redet, der sich derb und rüde ausdrückt – und das sollen wir jetzt gefährlich finden. Ich glaube aber, dass jene, die Lafontaine nun anspricht, unseren Expertendiskurs auch als gefährlich empfinden, weil sie dabei ausgeschlossen werden.

Manche halten Lafontaine trotzdem für ein U-Boot des Rechtspopulismus, der in der Bundesrepublik, wg. Faschismusverdacht, nur Erfolg haben kann, wenn er sich links kostümiert. Ist da was dran?

Nein, das ist doch verquer. Noch mal: Jene Arbeiter, die sich kulturell verwaist und nicht mehr von der SPD repräsentiert fühlen, sind bei den letzten Dutzend Landtagswahlen zur Union gewandert. Lafontaine versteht es, deren Ängste anzusprechen. Das ist legitim. Weniger legitim scheint mir der Versuch von Jörg Schönbohm zu sein, Lafontaine den Verfassungsschutz auf den Hals zu hetzen. Der Hintergrund ist doch offenkundig, dass Lafontaine dafür sorgen kann, Union und FDP um ihren schon sicher geglaubten Wahlsieg zu bringen.

Die SPD versucht Lafontaine so gut wie möglich zu ignorieren. Ist das souverän?

Nein. Die Sozialdemokratie kann froh sein, dass die Linkspartei in der Lage ist, dieses Klientel anzusprechen, zu der sie seit der Agenda 2010 jeden Draht verloren hat. Außerdem bedroht Lafontaine die schwarz-gelbe Mehrheit. Die SPD hat noch gar nicht begriffen, dass in einem Fünf-Parteien-System eine neue Logik regiert.

Inwiefern?

Weil es in einem Fünf-Parteien-Parlament nicht mehr so wichtig ist, ob die SPD 28 oder 31 Prozent bekommt. Wenn Schwarz-Gelb keine Mehrheit hat und es eine starke Linkspartei gibt, dann rutscht die SPD strategisch in die Mitte. Sie kann dann zwischen der großen Koalition und Rot-Rot-Grün wählen. Ohne erfolgreiche Linkspartei kann die SPD hingegen gar nichts mehr entscheiden, weil sie in jedem Fall in der Opposition landet.

In einem Fünf-Parteien-System wäre also die Koalitionsfähigkeit wichtiger als die Größe?

Ja, der Ort in diesem System wird entscheidender als die Frage, ob man ein paar Sitze mehr hat. Der Verlierer dieser Konstellation steht auch fest – die FDP…

weil sie zur Funktionspartei ohne Funktion wird …

… vorausgesetzt, es kommt zu keiner schwarz-gelben Mehrheit, büßt sie ihre Rolle als Mehrheitsbeschafferin ein. Das ist ein weiterer Grund, warum sich die SPD über jeden Prozentpunkt für die Linkspartei freuen müsste. Leute wie Herbert Wehner oder Alfred Nau hätten diese strategische Dimension sofort gesehen. Zugespitzt formuliert: Eigentlich müsste die SPD die Linkspartei klandestin finanzieren. Die SPD heute ist unfähig, ihre Interessen zu erkennen und wird von dem unpolitischen Affekt beherrscht, mit diesem Kerl nicht zusammenarbeiten zu wollen.

Überschätzen Sie die Stabilität der Linkspartei nicht? Die Proteststimmen, die Lafontaine jetzt gewinnt, sind doch ein höchst flüchtiges Phänomen …

Das glaube ich nicht. Proteststimmen klingt so amorph, diffus, nach Marginalisierung. Die Empirie spricht aber eine andere Sprache. Die Parteien, WASG und PDS, bestehen ja vor allem aus gut Ausgebildeten, kaum aus Marginalisierten. Das sind im Westen Leute, die in den 70er-Jahren sozialisiert worden sind und für die Sozialstaatlichkeit ganz oben steht. Was Alter, Bildung und politische Überzeugung angeht, haben wir es keineswegs mit einem diffusen Protestphänomen zu tun …

Sondern …

… mit einem kohärenten Milieu. Die Linkspartei versammelt ein Milieu, das früher sozialdemokratisch orientiert gewesen wäre, von dem sich die SPD aber wertemäßig entfernt hat. Die Linkspartei steht konsequent für Sozialstaat, kollektive Güter und Wohlfahrtsstaatlichkeit – und auch für die Interessen derjenigen im öffentlichen Dienst und jener, die älter als 45 sind. Damit besetzt sie einen vakanten Ort. Wo alle, zumindest rhetorisch, für Deregulierung sind, vertritt sie alle, die Regulierung wollen. Wenn sie das wie bisher ohne Chaos und Sektierertum schafft, dann kann sie ein stabiler Teil der Parteienlandschaft werden.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE