DIE ACHSE DES TECHNO VON TOBIAS RAPP
: Ganz großer Afro-Futurismus

Auch das gibt es: Techno, der sich in fast nichts an das erinnert, was gegenwärtig als Techno gehandelt wird. Und doch genau das ist tief verankert in der maschinenverliebten Loop-Ästhetik des Techno. Alan Abrahams alias Portable kommt aus Johannesburg in Südafrika und lebt seit acht Jahren in London, und „Version“, darum geht es hier, ist sein zweites Album.

Wie auch immer man sich die Entstehung dieser Musik vorstellen muss – Abrahams sagt in Interviews, er würde Feldaufnahmen alter afrikanischer Rhythmen so lange filtern, drehen und wenden, bis er aus dem Material herausdestilliert habe, was ihn interessiere: Sie klingt weder nach dem Tribal House New Yorker Bauart, der immer versuchte, mit afrikanischen Elementen das Gefühl rituellen Pathos zu verstärken, noch atmet sie ein wie auch immer geartetes Gefühl von Weltmusik. Bei Portable kommt man weder mit realer noch gefühlter Authentizität weiter.

Abrahams übersetzt die afrikanischen Polyrhythmen in einen Technokontext, buchstabiert sie in der Soundsprache der elektronischen Musik nach, ohne ihnen aber irgendetwas von ihrer Eleganz und Komplexität zu nehmen und ohne außermusikalische Referenzen mitzunehmen. Mit dem Dubtechno, wie man ihn in verschiedensten Varianten vom Berliner Scape-Label kennt, hat das wenig bis gar nichts zu tun – wenn der überstrapazierte Begriff des Afro-Futurismus irgendeinen Sinn macht, dann hier.

Portable: „Version“ (Scape/ Indigo)

Ganz großer Psychedelic-Futurismus

Er ist der Schlaumeier unter den Techno-Produzenten. Als Christian Vogel Mitte der Neunziger seine ersten Platten veröffentlichte, ließ er kaum ein Interview verstreichen, ohne sich irgendwann auf Adorno oder Deleuze zu beziehen. Stichworte, die ihre Wirkung ausgerechnet da entfalteten, wo Vogel sich allerdings nie sehen ließ, in dem so genannten Intelligent Techno, jener Unterabteilung des Genres, wo man nicht mehr tanzen wollte.

Doch so unterschiedlich Vogels Projekte über die Jahre waren – er war die eine Hälfte des Technofreefunk-Duos Supercollider, der eine Chicks-On-Speed-Platte produziert –, sie mögen vergrübelt entstanden sein, sie hörten sich aber nie so an. Das großartige „Station 55“ macht da keine Ausnahme. Es ist sein mittlerweile zehntes Album und wenn es sich vom sinfonischen „On The Line“ über das Acidpunkrockstück „1968, Holes“ bis zum dunklen „Neon Underground“ wie ein Schnelldurchlauf durch die verschiedenen Phasen von Vogels bisherigem Tun anhört, so hat er seine Musik bei dieser Neusichtung mit mächtig Psychedelic aufgeladen. Das mag an den Stimmen liegen, die Vogel unter anderem von Kevin Blechdom und dem Young-Gods-Sänger Franz Teichler einsingen lässt, oder an der düster-farbigen Anlage des Ganzen.

Kaum ein Technoproduzent schafft es je bis zu einem zehnten Album. In Vogels mühelosem Manipulieren seiner Trackstrukturen scheint auf, was in der Technohochmoderne noch alles möglich sein könnte.

Christian Vogel: „Station 55“ (Novamute/Neuton/EMI)

Ganz großer Retro-Futurismus

Ein wenig ist er eine tragische Figur, der Wiener Techno-Produzent Christopher Just. Im Grunde wäre er zu Höherem berufen, eine Chart-toppende Mischung aus intelligentem Großravesound, Pop-Sensensibilität, Sample-Wahnsinn und kunsthochschulausgebildetes Gefühl für die grafische Oberfläche des Ganzen gehen bei ihm eine Verbindung ein, die ein ganz neues Genre hätte kreieren können, wenn – nun ja, wenn Techno ein Thema für die Charts wäre oder die Charts überhaupt noch ein Thema wären.

Das ist nicht der Fall, und so stößt Just mit seinem zweiten Album „Roland Flick Fairmont Princess #1527“ mit großer Geste in einen fast leeren kulturellen Raum vor. Die von einer wild gewordenen Klaviertastatur strangulierte Schönheit auf dem Cover erinnert an Roxy Music, das Intro könnte auch einem Hongkong-Action-Film als Begleitung für eine Liebesszene dienen.

Doch wenn für den Popentwurf gerade der nötige Rahmen fehlt, die augenblickliche Offenheit der elektronischen Musik dürfte für den Technoentwurf wunderbaren Platz haben. Just arbeitet sich durch diverse Momente der Technogeschichte, um besonders gerne bei jenen hängen zu bleiben, die heute einigermaßen in den Hintergrund gedrängt scheinen und doch einmal hegemonialen Status hatte: Jeff Mills und Robert Hood und ihr Sound der frühen Neunziger. Nur verrückter, weil zerschossener und außerdem mit Humor.

Christopher Just: „Roland Flick Fairmont Princess #1527“ (Combinatio/Alive)