Linnunkakka

Faxe aus Finnland (3): Die Gunst der Jahreszeit zu nutzen, kann ziemlich laut und anstrengend werden in Finnland

Das Wichtigste hierzulande ist im Moment die Sonne. Die Monate, in denen sie im zweitnördlichsten Land der Welt Mangelware ist, sind in der Überzahl, und so muss sie in vollen Zügen genossen werden. In der Top-50- Liste „Beste Dinge im Sommer“ der Trendzeitschrift Image liegt sie auf Platz eins, gefolgt von Helsinki auf Platz zwei und Sex auf Platz drei. Weiter hinten Dinge wie Eisessen, neue Kartoffeln und warmer Regen. Platz eins und drei hängen laut Image wie folgt zusammen: „Wenn überall nackte, duftende Haut zu sehen ist, ist eine Hand auf der Schulter schon eine Art Vorspiel. Helle Sommernächte sind das goldene Sex-Zeitalter.“ Das Thema beginnt schon auf der Straße.

Im ganzen Land hängen Riesenplakate einer Kampagne für jedermanns Erektionssicherheit und das Selbstvertrauen zu stärken hilft auch die Seite www.erektiovarmuus.fi. Auf einer Vernissage mit dem Thema „Körper heute“ höre ich folgenden Dialog zwischen einer hübschen Dunkelhäutigen und einem Elvis-gestylten Finnen. Sie: „… yes, listen, but I just arrived and I hardly know you.“ Er: „Of course you don’t want to come to my place tonight; you’re suffering from culture-shock and you need time.“ „Can we look at these pictures now?“ „Sure. But let me say one thing: If you have settled down in Helsinki and if you feel like it, just call me and we can make love in any position you like. Really, we can try every position!“ Wahrscheinlich liest der Elvis die Stadtzeitung City, die in jeder Ausgabe auf Seite vier eine so genannte Stellung abbildet.

Ein freundlicher älterer Mann in der Tram scheint auf anderem Wege zum Ziel kommen zu wollen: „Junge Frau, darf ich fragen, wie Sie heißen?“ „Elina.“ Scheinbar ergriffen nimmt er seinen Hut ab. „So ein schöner Name. Man könnte Sie glatt heute Abend noch zum Altar führen.“ An der nächsten Haltestelle muss ich raus.

Für Menschen, die die Gunst der Jahreszeit nicht auf die Schnelle im Museum oder im Personennahverkehr testen wollen, bietet dieses Land zwischen Mai und September gleich 66 Rockfestivals – für fünf Millionen Finnen! Die Auswahl reicht vom Roggen-Rock in Turku über Kranich-Rock in Helsinki bis zum Rückenwind-Rock in Vantaa. Es gibt aber auch weniger hippieverdächtige Veranstaltungen wie das hauptstädtische Dark-Festival „Schmerz“ oder das „Sauna Open Air Metal Festival“ in Turku. Wer es ruhiger mag, kann zwischen 50 Klassik-, 28 Ethno- und 25 Jazzfestivals wählen. Karaokesingen geht übrigens an jeder vierten Ecke.

Für mich beginnen die letzten hellen Nächte in der Hauptstadt. Als ich in meinem Domizil noch einmal die Waschmaschine fülle, sehe ich mir die Waschmittelpackung genauer an. Das Pulver hilft gegen allerhand Flecken, unter anderem gegen Lidschatten, Brei, Cidre, Pflaume, Druckerschwärze und Eigelb. Ehrlich gesagt wundert es mich, dass ausgerechnet hier die Körpersäfte nicht vorkommen. Dafür steht drauf: Linnunkakka, Vogelschiet. Möwen gibt es natürlich noch viel mehr in Helsinki als Festivals. ELINA KRITZOKAT