Aufbruch in eine neue Kultur

Die Menschen wissen, wie und was sie eigentlich verbrauchen sollten. Doch intellektuelle Argumente erreichen sie nicht. Gemeinschaftliche Projekte können über das Rauschen im Kanal hinweghelfen. Wie aber den Leuten einen Zugang schaffen?

VON DIETER HALBACH

„Wir müssen selbst die Veränderung sein, die wir in der Welt sehen wollen“ (Mahatma Gandhi).

Die Suche nach einem anderen, besseren Leben durchzieht unsere ganze Gesellschaft: Da gibt es die Globalisierungskritiker mit „Eine andere Welt ist möglich“, das „Simplify your life“ (dein Leben vereinfachen) des Psychobooms oder das „Gut leben statt viel haben“ in der Umweltbewegung. Eine Studie aus Amerika spricht bereits von insgesamt 25 Prozent der Bevölkerung, den so genannten Kulturell-Kreativen, die diese anderen Werte verfolgen (Paul Ray). In Deutschland ermittelte das Umweltbundesamt, dass 92 Prozent der Deutschen die Umwelt schützen wollen. Aber nur 3 Prozent kaufen Biolebensmittel.

Es klafft also eine riesige Lücke zwischen Wissen und Handeln. „Wir Verbraucher versagen. Und: Wir lügen. Fragt man uns nach unserem Verhalten, antworten wir brav, was der Fragende hören will“, so die taz vom 15. März dieses Jahres, dem Weltverbrauchertag. Der taz-Redakteur schlägt einen „Benimmkurs“ für Verbraucher vor: „Wir sollten Verzicht üben. […] Warum sollten wir das tun? Ganz einfach: Weil es richtig ist.“

Doch immer weniger Menschen sind mit solch intellektuellen Argumenten zu erreichen. Sie winken müde ab: „Das weiß ich doch alles schon.“ Sie verstehen solche Sätze eher als Bevormundung. Da es sich jedoch um eine gerechte Sache handelt, stimmen sie zu – und leben weiter wie bisher. Diese häufigste Form des Widerstands gegen Veränderung – gerade auch in „politisch korrekten“ Kreisen verbreitet – nennt man in der Gestalttherapie „Introjektion“: Anpassung an Leitwerte durch ein Schlucken, ohne zu verdauen.

Private Fragen müssten zum Thema werden

Was aber steckt hinter dem Widerstand: Gewohnheit, Bequemlichkeit und Doppelmoral? Unaufgearbeitete Muster der Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit in der eigenen Lebensgeschichte? Solche und andere „private“ Fragen müssten in den sozialen Bewegungen zum Thema eines Prozesses der Selbstverständigung werden. Denn wenn wir selbst nicht überzeugend leben, wovon wir reden, wird unsere Botschaft bei anderen nur ein Rauschen im Kanal erzeugen. Es ist ein große Chance, dass das erste Sozialforum in Deutschland dieses Thema aufgegriffen hat. In den Worten des Mitinitiators Heiko Lietz: „Ohne die Veränderung des persönlichen Lebensstils wird es auch keine umfassende Veränderung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse geben.“

Der Mensch ist anders, er will als ganzer Mensch wahrgenommen werden. Unsere politische Kultur braucht die Ergänzung durch einen lebensweltlichen Ansatz, eine ganzheitliche Dimension. Wir finden sie in den Beispielen sozialökologischer Gemeinschaftsprojekte, in Lebensstilinitiativen, in der Tiefenökologie oder in kulturellen Initiativen wieder. So formuliert zum Beispiel die amerikanische Lebensstilinitiative „Seeds of simplicity“: „Wir dürfen Menschen nie zu einem ES machen, sie müssen immer ein DU bleiben. […] Wir wissen, dass ein einfacheres Leben viele Probleme der Menschen und der Welt lösen würde. Aber wir würden das Prinzip von ICH und DU verletzen, wenn wir versuchen würden, Menschen davon zu überzeugen, dass sie einfacher leben sollen.“ Wie auch in der deutschen Initiative „Aufbruch – anders besser leben“ sind Gesprächskreise im ganzen Land die Basis: Die Beziehung trägt die Arbeit der Veränderung. Diese Herangehensweise ist auch der Kern der vielfältigen Gemeinschaftsprojekte, die eine selbstbestimmte und ganzheitliche Lebensweise praktizieren.

Projekte verbrauchen weniger Umwelt

Ihr nachweisbar niedrigerer Umweltverbrauch gegenüber dem Normalverbrauch (auch in ökologischen Haushalten) wird in einer Studie der Uni Kassel belegt. Dies wird allerdings nicht als Konsumverzicht, sondern als Qualitätszuwachs gesehen. Andere Werte – wie solidarisches Verhalten, soziale Bezüge, politisches Engagement, künstlerische Aktivitäten – haben Vorrang, und die Gemeinschaft macht es möglich, diese anderen Werte „alltäglich“ zu leben.

Wenn gemeinschaftliche Lebenszusammenhänge neue Erfahrungsräume darstellen, wie können wir dann mehr Menschen Zugang zu solchen Erfahrungen ermöglichen, wie gestalten wir menschliche Begegnung? Einen möglichen Zugang bietet die dialogische Nutzung verschiedener Kunstformen. Teresa Heidegger, die Regisseurin des auf dem Sozialforum zu sehenden Theaterstückes „Global Player“, fragt sich: „Wie kommen wir aus dieser Kritik am Bestehenden in eine Hoffnung, eine Vision eines anderen Lebens? Das Theater vermag die Antwort darauf nicht zu geben. Es vermag jedoch einen emotionalen Raum der Berührung zu kreieren.“

Dieser Vereinigung von Herz und Intellekt, von persönlichem und politischem Wandel einen gesellschaftlichen Raum zu geben ist eine der zentralen Aufgaben des Sozialforums. Es braucht eine Art „Selbsthilfebewegung der sozialen Bewegungen“, die uns hilft, entsprechend unseren Idealen zu leben. Früher sollte der „neue Mensch“ (um)erzogen werden. Heute sollten wir lieber nach einer sanfteren Pädagogik des Dialogs suchen. Doch ohne diese Selbstentdeckung des „revolutionären Subjekts“ wird die Revolution auch diesmal ausfallen. Eine andere Welt ist möglich – wenn wir anders leben!

Der Autor wohnt im Ökodorf Sieben Linden und ist Musiker, Seminarleiter und Redakteur der Kurskontakte/Eurotopia