Schub durch Politik

Die Organisation in Erfurt lief erst schleppend, legt nun aber einen Endspurt hin:5.000 werden erwartet

von FELIX LEE

Das hören die InitiatorInnen sicherlich nicht gerne. Aber erst die Ankündigung der vorgezogenen Bundestagswahl und die Debatte um eine neue Linkspartei könnten dem ersten Sozialforum in Deutschland (SFiD) in Erfurt doch noch zu dem Erfolg verhelfen, den sich die InitiatorInnen gewünscht haben – zumindest, was die Teilnehmerzahl betrifft.

Noch vor einem halben Jahr war das allgemeine Interesse nämlich eher mau. Zu schleppend war der Vorlauf, zu vage, was denn mit einem deutschlandweiten Sozialforum überhaupt bezweckt werden soll. Sowohl etablierte Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften als auch viele linke Basisinitiativen ließen sich Zeit, bis sie sich zur Teilnahme durchrangen. Sie befürchteten: wieder einmal eine Veranstaltung, auf der nur geplaudert wird und wenig Konkretes herauskommt.

„Bereits im Januar habe ich allen Skeptikern gesagt: Wir wissen gar nicht, wie die politische Situation nach den NRW-Wahlen aussieht“, berichtet Lena Bröckl vom Attac-Koordinierungskreis, die für das globalisierungskritische Netzwerk von Beginn an im Vorbereitungsbündnis für das SFiD sitzt. Das habe sich nun bewahrheitet. Nun stellten sich sowohl für die parlamentarische als auch für die außerparlamentarische Linke gleichermaßen die Fragen: Wie ist das Verhältnis zur Linkspartei? Wo gibt es nach einem wahrscheinlichen Regierungswechsel gemeinsame Anknüpfungspunkte für die sozialen Bewegungen?

Mit so rapiden politischen Veränderungen hatte vor einem Jahr noch keiner der InitiatorInnen gerechnet. Die montäglichen Hartz-IV-Proteste hatten noch nicht so recht begonnen, da beschlossen etwa ein Dutzend VertreterInnen vor allem aus dem globalisierungskritischen Spektrum auf einem Treffen in Frankfurt/Main, den Geist der Europäischen und Weltsozialforen von Florenz und Porto Alegre endlich auch nach Deutschland zu holen. Ein „Verbindungsglied zu aktuellen sozialen Kämpfen“ wolle man schaffen, mit „allen gesellschaftlichen Bereichen, die von der kapitalistischen Globalisierung betroffen sind“, lauteten die gemeinsamen Zielvorstellungen.

Einzelne lokale und regionale Sozialforen gab es zu der Zeit bereits. Aber erst nachdem Jürgen Zerull vom Thüringer Sozialforum auf dem Frankfurter Treffen zu einem deutschlandweiten Forum nach Erfurt eingeladen hatte, kam die Maschine langsam ins Rollen. Der DGB vor Ort unterstützte das Anliegen, doch es mussten noch einmal neun Monate vergehen, bis das Interesse auch bei den Basisinitiativen angekommen war.

Inzwischen sind fast sämtliche Einzelgewerkschaften aufgesprungen. Friedensgruppen, die evangelische Landeskirche und die Rosa-Luxemburg-Stiftung beteiligen sich. Gelder für das etwa 250.000 Euro teure Event gibt es auch von Greenpeace und dem BUND. Und selbst die CDU-geführte Stadt Erfurt will das Sozialforum unterstützen. Mit etwa 600 Veranstaltungen und 5.000 TeilnehmerInnen rechnet Zerull.

Die PDS und die WASG dürfen zwar nicht offiziell teilnehmen. Denn angelehnt an die so genannte „Charta von Porto Alegre“ haben politische Parteien auf einem Treffen der sozialen Bewegungen nichts zu suchen (was in Porto Alegre aber auch nicht durchgehalten wurde). Dennoch ist Erfurt für beider Parteien vor allem ein Stimmungsbarometer für die Bundestagswahlen im Herbst. Außerparlamentarisch orientierte AktivistInnen fürchten hingegen, dass die bevorstehende Bundestagswahl andere Themen in den Hintergrund drängen könnte: Proteste gegen den G-8-Gipfel, der 2007 in Heiligendamm stattfinden wird, die Diskussion um eine alternative EU-Verfassung von unten, Herbstkampagnen gegen Sozialabbau, alternative Lebens- und Wohnformen und die bei Vernetzungsfragen von sozialen Bewegungen immer wiederkehrende Frage, wie eine nachhaltige Vernetzung optimiert werden kann.

Genau diese Vernetzung werde vom Sozialforum in Erfurt nicht ausgehen, glaubt Jörg Bergstedt von der Projektwerkstatt Saaßen. Der Graswurzelbewegte hatte sich bereits vor einem Jahr enttäuscht aus den Vorbereitungen herausgezogen. Das SFiD wolle an Porto Alegre und Florenz anknüpfen, doch im Unterschied zu Brasilien oder Italien bestehe in Deutschland kein Bedarf an weiteren überregionalen Vernetzungsstrukturen. Bundesweite Verbandsstrukturen und Dachorganisationen mit Hauptamtlichen gebe es zur Genüge, so Bergstedt: „Was fehlt, ist eine breite Basis.“ Mit einem Forum als Vernetzungsprozess der AktivistInnen von unten hat er gerechnet, nicht aber mit einem Promiaufgebot.

Daraus wird nun nichts. Ver.di-Gewerkschaftschef Frank Bsirske ist eingeladen, ebenso die Schriftstellerin und ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Daniela Dahn.

Es gebe ein legitimes Interesse, dass alle ihre Positionen darstellen können, hält der Thüringer Zerull Kritikern entgegen. „Auch das zieht doch neue Leute.“

Felix Lee istMitarbeiter der taz