Wäschetrommeln werden zu Hockern

Ein Recyclingzentrum als Quelle von Design und neuen Formen der Zusammenarbeit: In Österreich bringen „sozialökonomische Betriebe“ die Leute mit hoher Erfolgsquote wieder in den Arbeitsmarkt – und sparen dabei

Nichts sei schlimmer gewesen, als „in der Früh aufzuwachen und nichts zu tun zu haben“, sagt James. Die Morgendepression ist er los

Kiste auf Kiste, Container auf Container ist in der Werkshalle gestapelt. Aus den einen blicken hohläugige Kadaver von Staubsaugern und Plastikverschalungen von Stereoanlagen. Andere sind mit Metallschrott gefüllt oder mit elektronischen Kleinteilen. Drei Lkw-Lieferungen Elektroaltgeräte werden jede Woche angeliefert. Was nicht repariert werden kann, wird zerlegt. Brauchbare Ersatzteile bleiben da, der getrennte Sondermüll wird der Entsorgung zugeführt.

Das Demontage- und Recycling-Zentrum, kurz D. R. Z., in Wien zerlegt aber nicht nur Sachen, es ist auch kreativ: Zum Trashdesign veredelt, finden sich da Wäschetrommeln, die mit Leder überzogen zu Hockern werden, oder Ohrgehänge aus bunten Plastikteilchen, die einem Radio oder Computer entstammen. Apparate, die noch repariert werden können, landen ums Eck im Reparatur- und Service-Zentrum, RUSZ, wo sie jedermann günstig kaufen kann.

„Vier Jahre war ich arbeitslos“, erzählt Anton Stengeli, der als Lehrling in einem großen Elektronikbetrieb angefangen hatte und dort zuletzt für 120 Mitarbeiter verantwortlich war: „Ich war überzeugt, dass ich dort bis zu Pension bleiben würde.“ Dann schloss der Betrieb plötzlich. Anton stand auf der Straße und musste schnell erfahren, dass seine Erfahrung nicht mehr zählte. „Zu alt“, hieß es. Schließlich vermittelte ihn der Arbeitsmarktservice (AMS), wie das ehemalige Arbeitsamt jetzt heißt, an das D. R. Z. Dort fungiert er jetzt als Controller.

Auch der Elektromonteur James Fadayomi aus Westafrika hat nach fast sechs verzweifelten Jahren hier einen Job gefunden. Nichts sei schlimmer gewesen, als „in der Früh aufzuwachen und nichts zu tun zu haben“, sagt James. Die Beschäftigung im D. R. Z bedeute nicht nur sinnvolle Arbeit, sondern auch, „unter Leuten zu sein und praktisch etwas dazuzulernen“. Die Morgendepression ist er jetzt los.

D. R. Z. und RUSZ sind sozialökonomische Betriebe, das heißt, sie werden von der öffentlichen Hand gefördert. Die wirtschaftliche Rentabilität steht nicht im Vordergrund. Man nimmt auch behinderte, kranke, haftentlasse Menschen oder solche, die eine Entziehungskur hinter sich haben. 1,4 Millionen Euro schießt das AMS jährlich zum Gesamtbudget des RUSZ von 2,5 Millionen zu. Einkommen wird durch Verkauf des getrennten Mülls an Recyclinganlagen erzielt.

Ein Jahr lang werden die Leute hier für den Arbeitsmarkt fit gemacht. Dann müssen sie einen Job suchen. Den meisten gelingt das. Neue Fertigkeiten und das aufgemöbelte Selbstwertgefühl helfen bei jeder Bewerbung. Geschäftsführer Sepp Eisenriegler berichtet von einer Erfolgsquote von 71 Prozent. Außerdem habe das RUSZ durch die Übernahme von Reparaturarbeiten bereits mehrere kleinere Reparaturbetriebe vor dem Bankrott bewahrt. Zumindest eine erfolgreiche Betriebsgründung ist bereits aus dem RUSZ hervorgegangen.

Das RUSZ wurde 1999 vom Verband der Wiener Volksbildung als EU-Projekt mit Förderungen des AMS, des Europäischen Sozialfonds und der Stadt Wien gegründet: mit zwölf Auszubildenden. Mittlerweile sind es 46 und 17 so genannte Schlüsselkräfte. Die waren auch arbeitslos, dürfen aber bleiben. Im D. R. Z, vor zwei Jahren als Pilotprojekt zur Demontage von Elektrogeräten und Schadstoffentfrachtung entstanden, sind es 39 Arbeiter und 15 Schlüsselkräfte.

Claudia Goldmann ist so eine Schlüsselkraft. Die ehemalige Druckereiarbeiterin fand nach der Kinderpause keinen Job, weil man bei ihr multiple Sklerose diagnostiziert hatte. Jetzt registriert sie alle Geräte und Teile, die von drei Wiener Sondermülldeponien abgeholt werden. Seit sie arbeitet, fühlt sie sich gesünder. Phasen der Arbeitsunfähigkeit kämen jetzt so selten, dass sie sie kaum behinderten.

Geschäftsführer Eisenriegler zitiert den SPÖ-Finanzsprecher Christoph Matznetter, der die Kosten pro Arbeitslosen mit 43.000 Euro jährlich errechnet hat. „Dagegen kostet ein Transitarbeitsplatz bei uns inklusive aller Nebenkosten 35.000 Euro“, rechnet er vor. „Dazu kommt, dass die ehemals Langzeitarbeitslosen bei uns zu aktiven Steuerzahlern werden.“ Die Projekte, so Eisenriegler, ließen sich in jede Stadt mit einem Einzugsgebiet von mindestens 50.000 Einwohnern und entsprechenden Mülldeponien transferieren.

RALF LEONHARDT

Leonhardt ist taz-Korrespondent in Wien