Gott ist überflüssig

Wer sich im Sommer zum Evolutionsbiologen fortbilden will, findet bei John Dupré und Thomas P. Weber reichlich Material und Thesen

Die Evolutionslehre Charles Darwins bietet auch nach 150 Jahren offenbar noch reichlich Denkstoff. Dieses Jahr erschienen „Darwins Vermächtnis“ von John Dupré und „Darwin und die neuen Biowissenschaften“ von Thomas P. Weber. Dem Philosophen Dupré geht es in seinem rund 130 Seiten langen, sehr lesbaren Essay mit dem viel versprechenden Untertitel „Die Bedeutung der Evolution für die Gegenwart des Menschen“ vor allem um die Fragen: Was spricht nach Darwin noch für einen Gott. Und ist der Mensch evolutionär erklärbar?

Die erste Frage beantwortet Dupré schlüssig mit: „Nichts.“ Schritt für Schritt musste die Vorstellung von Gott als höherer Macht den Erklärungen der Physiker, Chemiker und Biologen wie Darwin weichen. Auch die letzten Glaubensrefugien enttarnt Dupré souverän: Dass die Wissenschaft den Anfang der Welt nicht erklären kann, ist kein Argument für einen Schöpfer, da er den Erklärungsnotstand nicht aufhebt, sondern nur aufschiebt. Schließlich bleibt offen, woher jener Weltgestalter stammt.

Überhaupt gibt es viele gute Belege für die Entstehung der Welt und des Lebens aus sich selbst, aber keinen einzigen Beleg für einen gottähnlichen Schöpfer. Laut Dupré ist Gott schlicht überflüssig: „Die Wissenschaft widerspricht der Religion nicht; aber sie macht es zunehmend unwahrscheinlicher, dass der religiöse Diskurs überhaupt einen Gegenstand hat.“

Weniger klar ist Duprés Haltung zum zweiten Aspekt seines Essays, der Frage nach dem Wesen des Menschen. Hier bleibt er vage. Bei der Lektüre des Buchs gewinnt man die wenig überraschende Erkenntnis, dass unsere Erbanlagen allein noch nicht erklären können, warum wir sind, wie wir sind. Dabei sind Gene, so Dupré, keineswegs die alleinigen Träger der Evolution. Es gibt vielmehr neben der überschätzten biologischen auch eine unterschätzte „kulturelle Evolution“. Er sagt dabei aber nicht, wie sich dieser kulturelle Niederschlag in Ei- und Samenzelle manifestiert, um sich von einer Generation auf die nächste zu vererben.

Duprés Argumentation wirkt wie ein Spiegelgefecht. So leuchtet natürlich ein, dass auch kulturelle Faktoren dazu beitragen, ob sich Menschen erfolgreich vermehren und damit ihre Gene weitergeben. Insofern nehmen auch soziologische Faktoren Einfluss auf den Lauf der Evolution. Auch prägt uns unser kulturelles Umfeld. Aber würde man ein beliebiges Baby von heute in die Steinzeit beamen, würde es keineswegs an der Rückständigkeit seiner Horde Anstoß nehmen und sich sogleich an die Erfindung des Rades machen. Genau hier bleibt Dupré im Uneigentlichen. Er wehrt sich dagegen, dass wir, wie Udo Lindenberg sang, mit „dem einem Bein im Marskanal, mit dem andern im Neandertal“ stehen.

Anders als Dupré hat Thomas P. Weber mit „Darwin und die neuen Biowissenschaften“ keinen Essay, sondern eher eine Chronik verfasst. Mit unfassbarer Belesenheit bettet der Biologe das Wirken Darwins in dessen Zeit ein. Den „neuen Biowissenschaften“ widmet er dagegen nur knapp 20 Seiten. Die Frage etwa, ob Gene Information tragen, versandet bei Weber in dem Versuch zu erklären, wie Information definiert wird.

Bezeichnend für seinen Stil ist der Schlusssatz dieses Kapitels: „Einen Informationsbegriff zu finden, der frei von Magie ist und trotzdem den unantastbaren Status der Gene als einzig wahre Ursache beibehält, erweist sich als recht schwierig.“ Nicht so süffig zu lesen wie Dupré, bietet Webers Buch dafür einen guten Überblick über die Bedingungen, unter denen Darwins Werk entstand, und auch über die Folgediskussionen, die sich aus seinen Theorien ergaben: etwa den Streit der Soziobiologen um Edward O. Wilson mit den evolutionären Psychologen.

Während Wilson und seine Gefolgsleute in jedem menschlichen Tun die Handschrift der Evolution zu erkennen glauben und selbst Vergewaltigung und Kindstötung durch Stiefväter als Mechanismen der Arterhaltung interpretieren, sehen die psychologisch orientierten Wissenschaftler den menschlichen Geist eher als Rohmasse, die erst von ihrer Umgebung geformt wird. Weber belässt es bei dieser Erklärung, ohne selbst Stellung zu beziehen. Anders Dupré: Er hat offenbar Angst vor der Wirkung der Soziobiologie. Man könnte ja versucht sein, heutige Verhaltensweisen mit dem Verweis auf ein genetisches Erbe, das aus einer Zeit stammt, in der es gegen Mammuts und nicht gegen Computerviren zu kämpfen galt, zu entschuldigen. Dabei wird allerdings nicht plausibel, wieso er kein Miteinander des Genetischen und Kulturellen akzeptiert: eine von der jungen menschlichen Kultur gezähmte alte genetische Grundausstattung.

Wer sich zum Evolutionsspezialisten weiterbilden möchte, findet bei Weber zusätzlich zur Faktenfülle einen „bibliographischen Essay“. CHRISTIAN WEYMAYR

John Dupré: „Darwins Vermächtnis. Die Bedeutung der Evolution für die Gegenwart des Menschen“, a. d. Engl. v. Eva Gilmer, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2005, 145 Seiten, 19,90 EuroThomas P. Weber: „Darwin und die neuen Biowissenschaften“, DuMont Verlag, Köln 2005, 270 Seiten, 12,90 Euro