Rigoros idealistisch

Eine lesenswerte Biografie über Alexandra Ramm-Pfemfert, die Ehefrau des legendären Gründers der Zeitschrift „Die Aktion“

Der Name Pfemfert wird in aller Regel mit Franz Pfemfert in Verbindung gebracht. Als Herausgeber der expressionistisch- anarchistischen Zeitschrift Die Aktion stellte er von 1911 bis 1932 wöchentlich das politische System Deutschlands in Frage und bot jungen, expressionistischen Schriftstellern und Künstlern ein Forum. Doch auch seine Ehefrau Alexandra Ramm-Pfemfert war intellektuell äußerst rege, wie die Kulturwissenschaftlerin Julijana Ranc mit ihrer Biografie „Ein Gegenleben“ belegt.

Ranc beschreibt nicht irgendeine „starke Frau hinter Franz Pfemfert“. Sondern vielmehr räumt sie der 1883 als viertes von neun Kindern einer jüdischen Familie im zaristischen Russland geborenen Alexandra einen wichtigen Platz in der Geschichte der kulturrevolutionären Entwicklung zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein und charakterisiert sie als bedeutende literarische und politische Vermittlerin zwischen Russland und Deutschland. Wegen der Judenpogrome in Russland seit 1901 in Berlin beheimatet, kontaktiert Ramm-Pfemfert nach der Übertragung einiger literarischer Titel und Lenin-Texte ins Deutsche im März 1929 den auf der türkischen Insel Prinkipo im Exil lebenden Leo Trotzki.

Als Befürworterin der Oktoberrevolution und scharfe Kritikerin von Stalins repressiver Politik will sie Trotzkis Bücher ins Deutsche übersetzen. Bisher seien sie „schlecht übersetzt (bisweilen skandalös schlecht)“ worden, bemerkt Ramm-Pfemfert in ihrem ersten Brief an Trotzki und fügt hinzu: „Ich übersetze ganz gut.“ Trotzki ist begeistert und schickt ihr die Kapitel seiner Autobiografie „Mein Leben“ und auch die zur Geschichte der russischen Revolution.

Die Korrespondenz verdeutlicht, dass Ramm-Pfemfert als „Literaturagentin“ Trotzkis maßgeblichen Anteil am Zustandekommen einer Publikation seiner Autobiografie hatte. Abgesehen von Alexandras hartnäckigen Verhandlungen mit dem Verleger Samuel Fischer und seinem Schwiegersohn Gottfried Bermann sowie übersetzungstechnischen Fragen, schreiben sie sich bald auch Privates: Alexandra kümmert sich um die Kinder Trotzkis, Sina und Lew, die selbst in Berlin in Furcht vor stalinistischen Agenten leben, und sie schickt ihm Bücher, Zeitschriften und einmal auch eine Angelschnur.

Der Briefwechsel beider ist spannend zu lesen und verleiht tiefe Einblicke gerade in Ramm-Pfemferts „intransigenten“, entschlossenen und eigenwilligen Charakter. Sie besitzt die Fähigkeit, in wenigen Worten zu schreiben, was sie will, und sie versteht es zuzupacken. Sie organisiert Krankenhausaufenthalte und die besten Ärzte für Sina, die schwer an Lunge und Seele erkrankt ist, und stellt ihre Adresse für die klandestinen Kontakte zwischen Trotzki und seinen Genossen in der Sowjetunion zur Verfügung. Doch sie verteilt auch ordentlich Seitenhiebe auf die deutschsprachige Literatur- und Medienlandschaft, nennt etwa den Malik-Verlag „Nutznießer einer verlorenen Revolution“ oder die Zeitschrift Die Weltbühne „radikal bürgerlich“.

Julijana Ranc hat akribisch recherchiert und präsentiert eine sehr faktenreiche, gut strukturierte Arbeit, schreibt aber trocken und wissenschaftlich. Obwohl Ranc vehement die Eigenständigkeit Alexandras gegenüber ihrem Mann betont, räumt sie Franz in der Biografie seiner Frau trotzdem viel Platz ein. Denn nicht zu leugnen ist es, dass viele von Ramm-Pfemferts kulturellen und politischen Unternehmungen nicht von denen ihres Mannes zu trennen sind. Umgekehrt aber genauso wenig. Beide waren nicht nur Liebende, sie waren loyale „Gefährten“, politische „Genossen“ und Kollegen: Sie veröffentlichte regelmäßig in der Aktion und eröffnete im November 1917 ihre „Aktions-Buch- und Kunsthandlung“, für deren Sortiment Pfemferts Magazin wiederum warb.

Ging es um die Durchsetzung ihrer Ideale, waren beide rigoros – wenn es das ist, was ein „Gegenleben“ ausmacht, so lebten sie eines, von 1903, als sie sich kennen lernten, bis zum Tod Pfemferts 1954. Gemeinsam wurden sie als Kämpfer für die Räterepublik am Tag der Hinrichtung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts verhaftet, flohen 1933 vor den Nazis und durchlebten die Entbehrungen des Exils. Als Alexandra 1955 nach Berlin zurückkehrt, kümmert sie sich um das Vermächtnis ihres Mannes. Zwei Jahre vor ihrem Tod hilft sie noch mit, als Paul Raabe 1961 ein Reprint der ersten Aktions-Ausgaben besorgt. Auch um eine Neuauflage von Trotzkis „Mein Leben“ bemüht sie sich noch.

Übrigens hatte sie Trotzki einst dringend von diesem Titel abgeraten. Ihre Vorschläge beinhalteten Wörter wie „Kampf“ oder „Revolutionär“. Attribute, die nicht jedes Leben ausmachen, aber wohl jedes Gegenleben. KATRIN SORKO

Julijana Ranc: „Alexandra Ramm-Pfemfert. Ein Gegenleben“. Edition Nautilus, Hamburg 2004, 574 Seiten, 44 Euro