Ach du dickes Schwein

Die Berliner ziehen ins Umland, dafür wandern die Tiere in die Stadt. In vielen Bezirken gibt es Wildschweinplagen und Fuchs-Communities. Geändertes Jagdgesetz soll Fütterung verbieten

VON KATHI PREPPNER

Die arme Sau. Da läuft sie durch die Straßen und wühlt mit dem Rüssel die Vorgärten auf. Berlins Wildschweine haben Hunger, glauben so manche Beobachter dieser Szene. Sie kochen dann einen extra großen Berg Vollkornnudeln und tragen sie in Plastiktaschen ins Freie, um die Borstentiere zu füttern. Doch denen geht es eigentlich viel zu gut, sagt Ingrid Cloos von der Stadtentwicklungsverwaltung.

So wie es in Berlin an jeder Ecke Döner und Currywurst gibt, so gleicht die Stadt mit Komposthaufen in den Privatgärten, überquellenden Mülltonnen und leckeren Picknickresten im Park für wilde Tiere einem wahren Schlaraffenland. An der Spree oder an Bahngleisen entlang finden Wildschweine, Füchse, Marder, Waschbären und Wildkaninchen ihren Weg in die Metropole. Wilde Schweine werden zu Stadtschweinen. Ihre Populationsdichte steigt. Andreas Jarfe, Landesgeschäftsführer vom Umweltverband BUND, spricht gar von einer Wildschweinplage. So niedlich gestreifte Frischlinge oder kleine Waschbären auch sind, die Städter fühlen sich geplagt. Selbst Krawallregisseur Claus Peymann, sonst eher interviewscheu, lamentierte schon öfter in Boulevardblättern über die Wildsau in seinem Garten.

„Pro Monat bekommen wir bis zu 400 Anrufe. Die Leute sind nicht gut drauf, wenn ihr Garten zum dritten Mal durchwühlt wurde oder sie wegen des Marders auf dem Dachboden kein Auge zutun konnten“, sagt Ingrid Cloos. Darum hofft sie, dass die kürzlich vom Senat beschlossene Änderung des Jagdgesetzes nach der Sommerpause verabschiedet wird. 5 bis 5.000 Euro Bußgeldstrafe soll danach auf die Fütterung all jener Tiere stehen, die dem Jagdrecht unterliegen.

Natürlich würden die Tiere dadurch nicht aus der Fressmeile Stadt verschwinden. Aber die unnatürlich hohe Population der Wildtiere würde zumindest nicht weiter begünstigt. So leben in Berlin mittlerweile 40-mal so viele Füchse wie im Wald, sagt Derk Ehlert von der Berliner Jagdbehörde. Das resultiert aus dem extrem hohen Nahrungsangebot. „Die Tiere finden hier so viel Essen, dass sie sich sogar besser vermehren. Eine Bache wirft bis zu neun Frischlinge auf einmal. Eigentlich sind es nur fünf bis sechs“, sagt Ingrid Cloos. „Das ist wie in Hochleistungsschweineställen“, meint auch Andreas Jarfe. „Tiere sind Teile des Ökosystems, doch das ist hier aus dem Gleichgewicht geraten.“

Die Wildschweine bevorzugen eher periphere Gebiete, wie Köpenick, Grunewald oder den Spandauer Forst. Aber sie dringen auch durchaus bis in die Innenstadt vor. Dort lernen sie schnell, wo sie ihr Futter finden. „Wildtiere sind extrem anpassungsfähig. Sie gewöhnen sich schnell an die Nähe zum Menschen“, sagt Jarfe.

Manchmal kommt es aber auch zu Irritationen – auf beiden Seiten. So wollte der Keiler, der vor einem Jahr ein Ehepaar beim Kaffeetrinken störte, eigentlich nur seinen üblichen Weg zurücklegen. Der war ihm aber durch einen neuen Zaun versperrt worden. Da auch der Boden gefroren war, sah er als Ausweg nur die nahe Terrassentür – und landete direkt im Wohnzimmer.

Zwar verschwand der Keiler von allein wieder, in manchen Fällen muss aber auch die Jagdbehörde gerufen werden. „In der Stadt wird normalerweise nicht gejagt“, sagt Jagdreferent Ehlert. Trotzdem müsse fast täglich ein Tier erlegt werden, erzählt er. Zumeist handele es sich dabei um kranke oder angefahrene Tiere. Aber auch aus Rotten, die sich auffällig verhielten, würden manchmal einzelne Tiere von den Stadtjägern, die alle ehrenamtlich arbeiten, erschossen. Nur so könne man Tiere, die beispielsweise Straßen blockieren, wieder vertreiben. „Da fragt man sich manchmal, wem die Stadt eigentlich gehört“, sinniert Ehlert. „Die Tiere haben sich auf jeden Fall ihren Platz erobert.“