Pisa liegt in Bayern

Im Lernen wie im Veröffentlichen von Pisa ist Bayern unschlagbar: Das gestutzte Länderranking ist da

VON CHRISTIAN FÜLLER

Die Sensation lief kurz vor Mitternacht über die Nachrichtenticker. Am Mittwoch, 23.46 Uhr, stieg die deklassierte Nation in den Kreis der Satisfaktionsfähigen auf, genauer: ihr besonderer, ihr bayerischer Teilstaat. Dass Bayern beim Bundesländervergleich des Programme of International Students Assessment (Pisa) wieder Deutschlands Klassenstreber sein würde, erwarteten ohnehin alle. Aber nun findet Bayern auch noch Anschluss an die Weltspitze: Auf Platz 5 liegen die 15-jährigen Südstaatler, gleich hinter der Mathematikernation Japan und nur 11 Pünktchen von den famosen Finnen entfernt. Damit hatte niemand gerechnet.

Die Präsidentin der KultusministerInnen, Johanna Wanka (CDU) aus Brandenburg, erklärte den Pisa-gedemütigten Deutschen gestern, was das bedeutet. „Bisher“, sagte sie leicht errötend, „stand Pisa für Defizite und Versagen. Damit ist es jetzt vorbei.“ In der Tat, schenkt man den Tabellen des Kieler Pisa-Forschers Manfred Prenzel Glauben, sind die Deutschen wieder wer. Alle Bundesländer haben sich zwischen der Erhebung 2000 und der aus dem Jahr 2003 verbessert. Sachsen-Anhalt ist um knapp ein Lernjahr (25 Pisa-Punkte) nach oben geschnellt, selbst das viel beklagte Schlusslicht Bremen legte um 19 Zähler zu. Und, selbstverständlich, die Bayern. Sie haben jetzt einen Durchschnittswert von 533 Punkten.

Interessierte, Lehrer, Eltern reiben sich nun die Augen: Wie konnte das geschehen? Das ist der mirakulöse Teil des nationalen Vergleichs der Pisa-Werte. Denn: Nichts Genaues weiß man nicht. Selbst der eloquente Bildungsminister Sachsen-Anhalts, Jan-Hendrik Olbertz, zuckte mit den Schultern. An den Maßnahmen der Kultusministerkonferenz (KMK) könne es wohl nicht liegen, druckst er herum. „Ich führe das auf einen Wechsel des Lernklimas und eine allgemeine Aufbruchstimmung zurück“, flüchtete sich der Minister ins Floskelhafte. Kein Wunder: Die KMK beschloss ihre Pisa-Maßnahmen im Dezember 2001, also nur 15 Monate bevor die Forscher ihre Fragebögen für die Erhebung 2003 in den Schulen austeilten. In dieser Zeit konnte Bildungspolitik mit verbesserten Kindergärten oder veränderter Lehrerbildung unmöglich die SchülerInnen des Testjahrs 2003 erreichen.

Pisa 2003 wird, nur so viel ist sicher, als ein bayerisches Meisterstück in die Geschichte eingehen – schulisch, politisch und publizistisch. Dem neuen bayerischen Bildungsminister Siegfried Schneider (CSU) und seinem einflussreichen KMK-Amtschef ist es gelungen, eine verschlankte Version der Pisa-Ergebnisse durchzusetzen und den meinungsführenden Medien anzudienen. Der voluminöse Ergebnisband von über 400 Seiten erscheint erst im November. Mit Hilfe der Unionsmehrheit in der KMK wurde dieses vor der Bundestagswahl herauszugebende Destillat immer konzentrierter – bis es das jeden Erklärungswerts entkleidete Format der Bundesligatabelle erreicht hatte.

Der vorläufige Ländervergleich Pisa 2003 gibt nur noch Auskunft über abstrahierte Mittelwerte von Kompetenzen. Und die kann kein Lehrer, Schüler oder besorgtes Elternpaar verstehen. Alle aussagekräftigen Daten bleiben bis zum Spätherbst in der Schublade. Etwa: Wie groß ist die Gruppe der so genannten Risikoschüler? Welchen Einfluss hat die soziale Herkunft auf den Lernerfolg? Wie viel größer ist die Chance für einen Arztsohn im Vergleich zu einem Arbeiterkind, das Gymnasium zu erreichen? Kümmern sich die Lehrer inzwischen intensiver um die Schüler? Manfred Prenzel weigerte sich beharrlich, die Werte dafür zu benennen. „Warten Sie bis November“, vertröstete er, „wir haben noch viel mehr Zahlen.“ Immerhin: Dass es eine „große Leistungsstreuung“ zwischen Schülern und Schulen gibt, dass es weiter „relativ große Probleme im unteren Leistungsbereich gibt“, stritt Prenzel nicht ab. Verschleiert aber hat er gestern die Dimension des eigentlichen deutschen Pisa-Skandals: dass in keinem getesteten Land der Welt der Lernerfolg so stark vom Sozial- und Bildungsstatus der Eltern abhängt wie in Deutschland.

„Wir stochern total im Nebel“, ärgerte sich Marianne Demmer, schulpolitische Sprecherin der GEW, über den Erklärungswert der neuesten Studie. Bundeselternsprecher Winfried Steinert wies ernüchtert auf einen anderen übersehenen Punkt hin: „Bei der Lesekompetenz hat sich fast nichts verbessert“, sagte er. Und fragte an die Adresse der Kultusminister: „Wie gleicht die Politik denn die Defizite von Schülern sozial schwacher Elternhäuser aus?“

An Eltern, Schüler und Lehrer richtet sich der Ländervergleich Pisa 2003 gar nicht. Er spricht WählerInnen an. Mit einer sehr einfachen, sehr gut verständlichen Botschaft: Bayern für Deutschland, die Schwarzen für Deutschland.