Abwesender „Tiger“ feiert Erfolg in Dortmund

Viswanathan Anand verzichtete auf die Teilnahme bei den Dortmunder Schachtagen und gab am Samstag in seiner Heimat lieber eine Wohltätigkeitspartie zugunsten indischer Kinder – trotzdem gehörte er zu den Siegern des Turniers

DORTMUND taz ■ Zwei Sieger bei den Dortmunder Schachtagen haben bereits gestern vor den letzten Zügen (nach Redaktionsschluss) festgestanden: Zum einen der 19-jährige Lokalmatador Arkadij Naiditsch, zum anderen Viswanathan Anand. Und das, obwohl der „Tiger von Madras“ erst gar nicht bei dem zu den vier wichtigsten Turnieren des Jahres zählenden Wettbewerb antrat. Der Vorjahressieger schätzt Dortmund nicht, weil er sich auf dem Terrain der Schachtage-Dauerbrenner Wladimir Kramnik (Russland) und Peter Leko (Ungarn) unwohl fühlt. Stattdessen bereitet sich Anand lieber auf „sein deutsches Turnier“ im August, die Chess Classic Mainz, vor und gab am Samstag in seiner Heimat ein Wohltätigkeitssimultan zugunsten indischer Kinder.

Nebenbei durfte sich der 35-Jährige freuen, ohne eigene Denkanstrengung in der Weltrangliste einen Vorsprung bekommen zu haben. Der Kronprinz, der nach dem Rücktritt von Garri Kasparow die Nummer Eins ist, musste sich mit Wesselin Topalow den Platz an der Sonne teilen. Der Bulgare verliert jedoch ebenso wie der Weltranglistendritte Leko Ratingpunkte. Dass die beiden Asse nach acht Runden lediglich 4:4 Zähler aufwiesen, ist unter anderem ein Verdienst von Naiditsch. Der Dortmunder trumpfte sensationell auf und führte vor seinem letzten Duell gegen Peter Swidler das zehnköpfige Weltklassefeld mit 5:3 Punkten an. Der Russe konnte gestern die deutsche Nummer vier noch mit einem Sieg überflügeln. Das galt auch für Weltmeister Kramnik – vor seiner langen Formkrise Seriensieger beim Sparkassen-Chess-Meeting – und den Niederländer van Wely.

Aber selbst wenn Naiditsch mit den schwarzen Steinen kein Remis und den Turniersieg geschafft haben sollte, bedeutet dieses Resultat für den 19-Jährigen den internationalen Durchbruch. In der Weltrangliste katapultiert sich die größte deutsche Nachwuchshoffnung auf jeden Fall von Platz 112 in die Top 100. Tosenden Applaus erntete das Talent von den SF Dortmund-Brackel, wo noch immer seine drei jüngeren Schwestern Irina, Jevgenija und Marija spielen, in der siebten Runde im Schauspielhaus. Nach fast sechs Stunden und 58 Zügen hatte der Lokalmatador den Dänen Peter Heine Nielsen in die Knie gezwungen und die Spitze erobert. Zuvor hatte der 16. der Junioren-Weltrangliste den Israeli Emil Sutowski und vor allem überraschend Vizeweltmeister Leko geschlagen. Als einziger konnte der Co-Weltranglistenerste Topalow den Außenseiter bezwingen.

Naiditsch, der bereits mit 15 Jahren den Großmeister-Titel errungen hat, erhielt bis dato nur in seiner Heimatstadt die Gelegenheit, sich in einem Rundenturnier mit den Stars der Szene zu messen. Bei seiner ersten von drei Teilnahmen hatte er den letzten Platz bei den Schachtagen 2003 belegt, aber im Brustton der Überzeugung verkündet: „Ich brauche mehr solcher Turniere.“ Der damals 17-Jährige ließ sich vom Unterricht seiner Gesamtschule freistellen und kehrte nicht mehr zurück. Ein guter Schüler sei er ohnehin nie gewesen. „Wenn man zwei Stunden Eröffnungen paukt, hat man anschließend keine Lust mehr auf Spanisch-Vokabeln“, erklärte der Hobby-Fußballer. Der gebürtige Rigaer wurde im Vorjahr schon Fünfter in Dortmund, diesmal gelang ihm sein Meisterstück. Im Schauspielhaus waren fünf der acht weltbesten Großmeister vertreten. Solche Profis muss Naiditsch auch regelmäßig in Schach halten, will er sein Ziel verwirklichen: „Nur als Top-Ten-Spieler kann man gut vom Schach leben. Alles andere ist zu wenig“, sagt Naiditsch.

HARTMUT METZ