Merkel probt in Paris den Staatsbesuch

Die deutsche Kanzlerkandidatin bemüht sich darum, in den Nachbarländern bekannter zu werden. In Frankreich beschwor sie dazu die Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen und gemeinsame Interessen in der Europäischen Union

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Es war ein Antrittsbesuch vor dem Amtsantritt: Angela Merkel traf gestern in Paris die wichtigsten drei Männer der französischen Republik. Hauptvorhaben der Kanzlerkandidatin: sich bekannt machen. Nacheinander versicherte sie dem Staatspräsidenten, dem Regierungschef und dem Chef der rechten UMP, dass die privilegierte Zweierbeziehung auch im Falle ihrer Wahl „fundamental“ bleibe. O-Ton Merkel: „Wir kommen alle aus der Schule von Adenauer, Charles de Gaulle und Schuman. Die deutsch-französischen Beziehungen bleiben im 21. Jahrhundert genauso wichtig wie im vorausgegangenen.“

Tags zuvor hatte das in dem konservativen Pariser Blatt Figaro ein wenig anders geklungen. Da hatte der CDU-Abgeordnete Friedbert Pflüger die jüngste Politik des deutsch-französischen Paares heftig kritisiert. Unter anderem weil es die EU angeblich dominiere, statt seine politischen Projekte auch mit den kleineren Ländern zu konzertieren, weil es die Konfrontation mit Washington gesucht habe, und weil es Dreiertreffen mit Moskau unter Ausschluss von Polen und anderen Anrainerstaaten organisiert habe. In Opposition zu Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac kritisierte Pflüger auch einen etwaigen EU-Beitritt der Türkei. Begründung: Die ohnehin krisengeschüttelte Union würde den nicht verkraften.

Merkels gestriges Gespräch mit Chirac verlief dennoch „sehr harmonisch“, so die Besucherin aus Berlin. Chirac hatte am frühen Morgen erst mit Kanzler Schröder telefoniert und anschließend dessen potenzielle Nachfolgerin im Élysée-Palast empfangen. Themen des Gesprächs: Europa und die deutsch-französischen Beziehungen. Die heikle Türkei-Frage sparten die beiden aus. Merkel: „Darüber hatten wir schon vor längerer Zeit gesprochen.“

Bei einer Pressekonferenz in der deutschen Botschaft in Paris benutzte die Kanzlerkandidatin zahlreiche seit Jahren verwendete Wortschablonen, um die Qualität der deutsch-französischen Beziehungen zu beschreiben. Unter anderem sprach sie von einer: „Säule“ und einem „Motor“ der EU. Ziel der Anstrengungen müsse es sein, Europa zu „einem der dynamischen Kontinente der Welt und zu einem der Gewinner der Globalisierung zu machen“. Das hörte sich fast so an, als meinte Merkel, Europa wäre gegenwärtig eher ein Globalisierungsverlierer. Zu konkreten Initiativen nach ihrem eventuellen Regierungsantritt wollte Merkel sich nicht äußern.

Am Nachmittag traf Merkel den UMP-Chef Nicolas Sarkozy, Mit dem rechten Politiker hatte sie schon zuvor die meisten Kontakte und teilt mit ihm zahlreiche politische Vorhaben. Bei Sarkozys Wahl zum Parteichef war Merkel eine der ausländischen Prominenten, die in seinem – parteiintern ausgestrahlten – Werbespot auftraten. Umgekehrt kam Sarkozy zu einer CDU-Präsidiumssitzung nach Deutschland. Der 50-jährige Sarkozy, der 2007 Präsident werden will, und die 51-jährige Merkel wollen beide die Beziehungen zu den USA verbessern und ihre Arbeitsmarktpolitik stärker am angelsächsischen Modell orientieren. Zu der von Sarkozy gewünschten Abkehr von der privilegierten deutsch-französischen Zweierbeziehung zugunsten eines größeren inneren Kreises in der EU, in dem vor allem London eine zentrale Rolle spielen soll, äußerte sich Merkel gestern nicht.

François Bayrou, den Chef der rechtsliberalen UDF, traf Merkel dagegen nicht. Der konservative Politiker ist ebenfalls Präsidentschaftskandidat und pflegte jahrelang engere Kontakte zur CDU als die Gaullisten.

Pariser Medien nutzten Merkels Besuch, um zahlreiche Porträts der in Frankreich weitgehend unbekannten Kandidatin zu veröffentlichen. Das Boulevardblatt Le Parisien nannte sie in Anspielung an Thatcher, die „eiserne Kandidatin“. Le Monde sprach von einem „Beinahe-Staatsbesuch“.

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