Reichtum macht ein wenig unglücklich

Erfurter Sozialforum debattiert, wie sich „anders besser leben“ lässt. Eine Lösung: freiwillige Selbstbeschränkung

ERFURT taz ■ Eine andere Welt ist möglich – so lautete die Vision des Weltsozialforums von Porto Alegre. Dem wollen die Veranstalter des ersten deutschen Sozialforums in Erfurt nicht nachstehen. Gleich zum Auftakt ging es gestern ums Ganze: „Anders besser leben“ hieß die Veranstaltung am Morgen. Manfred Linz vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie etwa fragte: „Wie können wir so leben und wirtschaften, dass wir nicht mehr in Anspruch nehmen, als uns zusteht?“

Knapp ein Drittel der Weltbevölkerung beansprucht momentan mehr als zwei Drittel aller Rohstoffe, erklärte der Wuppertaler Wissenschaftler. Zwar würden einige Länder des Südens und Ostens wirtschaftlich aufholen. Doch dabei orientierten auch sie sich an den Maßstäben der Industrieländer. Die Grenzen des Wachstums seien abzusehen, wenn die Weltbevölkerung in den kommenden Jahren um ein weiteres Drittel auf 8 bis 10 Milliarden wachsen werde. „Zu viele Güter mindern die Befriedigung“, konstatierte Linz.

Tatsächlich belegen empirische Untersuchungen, dass oberhalb einer mittleren Einkommensgrenze das Glücksempfinden nicht mehr wächst. Im Gegenteil: Es geht zurück. Linz plädierte deshalb dafür, die Bedürfnisse mehr auf Selbsterfüllung, soziale Beziehungen und das Allgemeinwohl zu richten: „Meine Sicherheit hat etwas mit sozialem Gerechtigkeitsempfinden zu tun.“

Weltweit existieren bereits Beispiele für die bewusste Selbstbeschränkung. In einer matriarchalisch geprägten Gegend in Südmexiko wirtschaftet die überwiegend indigene Bevölkerung primär fürs sich selbst. Veronika Bennholdt-Thomsen vom Institut für Theorie und Praxis der Subsistenz berichtete: „Gegen den Trend der neoliberalen Globalisierung produzieren und handeln sie vor allem mit Waren, die sie selbst benötigen.“ Damit werde die Hausarbeit von Frauen aufgewertet. Sie sei wirtschaftlich anerkannt. „Armut ist diesen Menschen fremd.“

Barbara Stützel von „Global Ecovillage Network“ berichtet von hunderten von Projekten auch in Industrieländern, die ökologisches und sozial nachhaltiges Wirtschaften in ihrem Umfeld längst umgesetzt haben.

Um die Suche nach einer alternativen Lebensweise, Gerechtigkeit, Frieden und der Bewahrung der Natur soll es bis Sonntag auch noch auf den anstehenden rund 200 Veranstaltungen gehen. Bisher kamen etwa 1.500 Besucher zum Sozialforum. Insgesamt werden in Erfurt rund 5.000 Gäste erwartet. Veranstalter sind unter anderem attac, amnesty international, die Kirchen und Greenpeace. Wie konkret die politischen Vorschläge bis Sonntag werden, das ist noch offen. FELIX LEE

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