Revoltensehnsucht

„Sweet Sixteen“: Die Schriftstellerin Birgit Vandebeke möchte noch einmal Teil einer Jugendbewegung sein

Um es leicht abgewandelt mit der inzwischen auch nicht mehr so jugendlichen deutschen Rockband Tocotronic zu sagen: Die Idee von Birgit Vanderbeke ist gut, doch die Jugend nicht bereit. Oder, um es etwas härter zu formulieren: Die Idee ist gut, doch mehr auch nicht. Birgit Vanderbeke, Jahrgang 1956, Bachmannpreisträgerin des Jahres 1990 und leidlich erfolgreiche Autorin, hat – leider vergeblich – versucht, mit „Sweet Sixteen“ einen Roman über die Jugend von heute zu schreiben, über eine aus dem Ruder laufende Konfrontation dieser Jugend mit den Eltern, mit Institutionen wie der Schule und dem Staat – und nicht zuletzt auch mit den Medien.

Dafür hatte sie in der Tat eine schöne Idee: Genau an ihrem 16. Geburtstag verschwinden in verschiedenen Städten Deutschlands Mädchen und Jungs, einfach so, ohne Nachrichten zu hinterlassen, ohne Opfer von Gewaltverbrechen geworden zu sein. Die einzige Spur, die sie hinterlassen, sind ihre Handys, die sie an Unbekannte schicken oder wegwerfen, und klar ist, warum: Sie wollen nicht aufgespürt werden. Bald stellt sich heraus, dass ihre Zahl zunimmt, dass sie eine Art Jugendbewegung bilden, die über das Internet kommuniziert, dass diese Jugendlichen nicht mehr denen ihr Spiel spielen wollen: „Free Your Mind – Sweet Sixteen“ heißt ihr Kampfruf, der auf hellblauen T-Shirts in Umlauf kommt.

Doch spätestens hier wird klar, dass Vanderbeke keine krachig-provokative oder gar irre Rebellionsgeschichte erzählen will, dass sie nicht vorhat, sich mit den Motiven der Jugendlichen genauer und über eine leerlaufende Sloganhaftigkeit hinaus auseinander zu setzen. Anstatt nun die Geschichte einiger 16-Jähriger zu erzählen, kommt die Gegenseite ins Spiel, die Alten. Zuerst in Form einer Ich-Erzählerin, die für Woodstock noch zu jung war, wie sie am Beispiel ihrer rebellionsgestählten älteren Schwester nicht müde wird zu erläutern. Diese Erzählerin ist ein Zaungast, eine 78erin, um mal mit Reinhard Mohr zu sprechen, vermutlich Vanderbekes Alter Ego. Sie wiederum ist bekannt mit einem frischgebackenen 40-jährigen Familienvater und einer 25-Jahre alten Kollegin, die sich um ihren gleichfalls bald 16 Jahre alten Bruder sorgt.

So überflüssig penibel Vanderbeke die Generationen mischt, so ratlos lässt sie diese den Prozess verfolgen: Hier die 16-Jährigen, die ein paar Pamphletchen schreiben („Wir haben genug von der Verarschung“, „Wir sind viele. Allein, aber nicht einsam“) und schließlich rührende Anschläge auf den Geruchssinn der Gesellschaft verüben (Anchovis in Lüftungsschächten!). Dort die Medien und der Staat, die diskutieren, was zu unternehmen ist: Gesetze, die Jugendliche von den Straßen bringen sollen, elektronische Kinderfinder (Kifis!) etc. Lässt sich der Jargon der Jugend, den Vanderbeke rührend versucht zu imitieren, der der iPod-, Computerclub-, Fight-Club- und Sonstwas-Generation, noch ertragen, etwa dass sie „durch die Gegend rappten“; und auch Vanderbekes Glauben, in Abkürzungen schwelgen zu müssen, oder dass sie meint, Japan als das Sehnsuchts- und Lifestyleselbstbedienungsland ihrer süßen 16-Jährigen darzustellen; so ist dann aber die Substanzlosigkeit ihrer „skurrilen und phantastischen Geschichte“ (Verlagswerbung) geradezu hanebüchen, um nicht zu sagen: empörend bemitleidenswert. Vanderbeke verwurstet lediglich einen aktuellen Mediendiskurs nach dem anderen: Krieg der Generationen, die Kinder der 68er gegen ihre Eltern, demografische Entwicklung der Gesellschaft, die Sicherheitsdebatte etc.

„Ihr Herz schlägt auf der Seite der Ausreißer“, heißt es im Klappentext, und tatsächlich lässt die Ich-Erzählerin keinen Zweifel daran. Das aber wirkt so, als sei die Sehnsucht nach einer Jugendrevolte bei Vanderbeke viel ausgeprägter als bei der Jugend selbst, (was übrigens auch für einen Regisseur wie Hans Weingartner und seinen Film „Die fetten Jahre sind vorbei“ gilt oder für Uwe Tellkamp und seinen „Eisvogel“), zumal Vanderbeke wohl nie selbst Teil einer Jugendbewegung war. „Sweet Sixteen“ liest sich so, als projiziere da jemand sein Unbehagen an dieser Gesellschaft, als sollte da eine Jugend die Eisen aus dem Feuer holen, an denen sich die ewig jugendlichen 78er (wahlweise 89er, Golf, Nutella und der ganze Quatsch) nie richtig verbrennen wollten und nicht mehr verbrennen wollen.

Nur gut, dass „die Jugend“ realiter doch komplexer ist als von Vanderbeke imaginiert und vielleicht sogar schläfriger und letzten Endes gar einverstandener. Sollen doch ruhig noch mal die Altvordern ran – denn wo steht geschrieben, dass Jugend und Revolte automatisch zusammengehören? GERRIT BARTELS

Birgit Vanderbeke: „Sweet Sixteen“. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005, 140 Seiten, 16,99 €