Wo Staat und Stadt auf Distanz zueinander gehen

In kaum einer anderen Hauptstadt Europas geht es im Regierungsviertel so leger zu wie in Berlin. Das liegt auch an der Spree und ihren Ufern, auf denen sich Radfahrer, Jogger und Sonnenhungrige tummeln. Der neue Spreebogenpark zwischen Kanzleramt und Hauptbahnhof setzt nun einen Kontrapunkt

VON UWE RADA

Berlin und das Wasser – das hat die Fantasien seit je beflügelt. Kurt Tucholsky träumte sich an einen imaginären Ort, an dem „vorne die Friedrichstraße, hinten die Ostsee“ liege, die Marketingleute reden gerne von den vielen Brücken in der Stadt (mehr als in Venedig), die trendige Alternativszene aalt sich in ihren Strandbars, und auch die Architekten und Stadtplaner werden seit der Wende nicht müde, die „Hinwendung der Stadt zum Wasser“ zu propagieren. In Zeiten der Krise scheint allein die Nähe zum kühlen Nass eine gewisse Behaglichkeit zu verströmen – auch wenn die Projekte, die daraus entstanden sind, „Wasserstadt Spandau“ heißen oder „Rummelsburger Bucht“ und oft nicht mehr als Architektur von der Stange bieten.

Tucholskys Traum von der Friedrichstraße allerdings ist seiner Realisierung ein Stück näher gerückt, nur dass die Ostsee hier Spree heißt und der Sandstrand allenfalls per Lkw herangekarrt wurde. Und dennoch: Was sich an Stadt- und Flusslandschaft zwischen Friedrichstraße und Tiergarten entwickelt hat, kann sich sehen lassen. In ihrer Mitte ist die Stadt tatsächlich an den Fluss gerückt, und Touristen wie Berliner bestaunen die Symbiose zu tausenden auf den Oberdecks der Fahrgastschiffe.

Seit Anfang des Monats nun ist mit dem Spreebogenpark auch die letzte Lücke des landschaftsplanerischen Konzepts im Regierungsviertel geschlossen. Dort, wo vor dem Krieg das Alsenviertel mit seinen herrschaftlichen Diplomatenwohnungen stand, wurde nach den Entwürfen des Schweizer Architektenbüros Weber und Saurer ein sechs Hektar großer Park modelliert, der das „Band des Bundes“ samt Kanzleramt und Paul-Löbe-Haus mit dem „Band der Bahn“ samt neuem Hauptbahnhof verbindet. Zwischen Park und Rahel-Hirsch-Straße führt nämlich eine hölzerne Fußgängerbrücke über den Fluss, benannt nach dem Bundespräsidenten Gustav Heinemann.

Anders als etwa der Uferbereich des Paul-Löbe-Hauses mit seinen Treppen zur Spree hinab, auf denen im Sommer die Touristen verschnaufen, demonstriert der neue Park in ungewohnter Weise Distanz und Erhabenheit. Zwei riesige Rasenflächen steigen auf einer Schräge zur Spree an, statt abzufallen, dazwischen befindet sich ein ebenes „Landschaftsfenster“ mit Blick auf den Hauptbahnhof und den Humboldthafen. Zwar soll die strenge Geometrie des Platzes an die Planungen vom preußischen Exerzierplatz bis zu Speers „Germania“ erinnern. Warum dies mit einer weiteren monumentalen Architektur geschehen musste, bleibt freilich offen. Am Ende der Geschichte des Spreebogens steht nicht die „Demokratie als Bauherr“, sondern ein doppelter Feldherrenhügel, dem der Blick auf das gegenüber liegende Monument, den gläsernen Bahnhofsbau, wichtiger ist als der darunter verlaufende sanfte Bogen der Spree.

Etwas weniger preußisch zeigt sich der neue Park von der Wasserseite. Vom Uferweg kann man, von Osten wie von Westen kommend, über eine Schräge hinauf zum „Panoramaweg“ radeln. Gesäumt werden die Rampen von einem Feld mit Wiesenblumen sowie einer treppenartigen Anlage mit Sumpfblumen, an der ein paar Parkbänke zur Rast laden. Dazwischen freilich türmt sich die schräge Sockelwand des Parks auf, die einer Trutzburg am Wasser ähnlicher ist als einer Symbiose von Stadt- und Flusslandschaft.

Ist das Versprechen „Berlin am Wasser“ gehalten oder nicht? Am Spreebogenpark stellt sich eine andere Frage – die nach dem Verhältnis von Stadt und Staat. Während sich im übrigen Regierungsviertel der Staat der Stadt und ihren Bewohnern und Besuchern öffnet, hält er sie am Spreebogenpark auf Distanz.

Unten am Ufer dagegen geht alles seinen gewohnten Gang. Jogger, Radfahrer, Sonnenhungrige – das übliche Bild, das man inzwischen von Kreuzberg bis Charlottenburg kennt. Mit dem Ausbau des Spreeuferwegs ist Berlin um eine Perspektive reicher. Das gilt selbst für die Polizeibeamten, die auf Höhe des Kanzleramts ihren Dienst schieben. Der Blick aufs Wasser ist da manchmal reizvoller als der auf potenzielle Störer.

Eine Ecke weiter ist von alledem ohnehin nicht mehr die Rede. Am Biergarten vor der Kongresshalle mit seinen Tischen und Stühlen, die bis dicht ans Wasser stehen, beginnt eine andere Welt, die der Liegewiesen und der Grillwolken, der zivile Teil der Stadt also, an dessen Ufern keine Staatsbediensteten residieren, sondern der Berliner Durchschnittsbürger sein Plätzchen findet. Spätestens da fällt auf, wen Tucholsky in seinen Träumen von Stadt und Fluss vergessen hat – die Angler.