Links im Basislager

AUS ERFURT FELIX LEE

Nimmt man die Teilnehmerzahl zum Maßstab, dann ist es um die Bewegung der Bewegungen zumindest in Deutschland eher schlecht bestellt. Nicht einmal 2.500 DemonstrantInnen zogen am Samstagnachmittag in einem mickrig wirkenden Sternmarsch durch die Erfurter Innenstadt, um sich anschließend gemeinsam zu einer „machtvollen“ Abschlusskundgebung zu treffen. Erwartet hatten die Veranstalter doppelt so viele Teilnehmer.

Doch wie so häufig ist die Quantität nicht das einzige Kriterium. Das erste Sozialforum in Deutschland habe durchaus neue Weichen gestellt, findet Attac-Gründer Sven Giegold. „Zu lange haben die Einzelbewegungen in Deutschland ihr eigenes Süppchen gekocht.“ Dies sei nun anders. Und tatsächlich: Vor nicht all zu langer Zeit war es noch unvorstellbar, dass Gewerkschaftsführer, Globalisierungskritiker, Autonome Antifas, Arbeitsloseninitiativen und Anhänger alternativer Lebensformen gleichberechtigt in einem Diskussionskreis sitzen, gemeinsam über Mindestlöhne oder Kapitalismus debattieren und sich auch noch positiv auf ein parlamentarisches Projekt beziehen – so wie es in Erfurt zu beobachten war.

Vier Tage lang hatten Vertreter von mehr als 200 Initiativen in hunderten von Workshops über Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Natur diskutiert. Und dennoch fehlten wichtige Kräfte. Umweltverbände wie Greenpeace zum Beispiel oder große Sozialverbände wie das Diakonische Werk oder die Caritas. Sie hätten wohl noch immer zu große Berührungsängste besonders gegenüber Gewerkschaften oder den klassisch linken Gruppen, vermutet Giegold – und hätten zum anderen noch nicht den Zusammenhang mit den großen Systemfragen erkannt. Dabei beträfen soziale Ungleichheit, Entdemokratisierung und der Neoliberalismus auch ihre Anliegen, so Giegold. „Ohne social peace kein Greenpeace.“

Das ehemalige IG-Metall-Vorstandsmitglied Horst Schmitthenner sprach von einer Neugründung der politischen Linken. Dass demnächst Gewerkschaften im Bundestag mit der Linkspartei endlich wieder ein Sprachrohr haben werden, sei sehr zu begrüßen. „Was jedoch fehlt, ist die entsprechende Neuformierung der gesellschaftlichen Linken“, so Schmitthenner, der auch die Gewerkschaften in der Pflicht sieht. Es fehle noch immer ein europaweiter Tarifvertrag. „Wir brauchen Gewerkschaften, die sich nicht nur sozial engagieren, sondern auch global.“

Dem Berliner Aktivisten Sascha Kimpel, der im vorigen Jahr die Montagsproteste gegen Hartz IV mitorganisiert hatte, blieb das Sozialforum hingegen zu schwammig. Bei einem Weltforum möge die bewusst gewählte Themenvielfalt funktionieren, weil so unterschiedliche Menschen zusammengebracht werden, sagte Kimpel, auf nationaler Ebene aber sei „ein solches Forum überflüssig“. Die Beliebigkeit führe kaum zu Kontroversen. Diese seien jedoch notwendig, um konkrete Vorschläge im Widerstand gegen Sozialabbau zu entwickeln.

Die Veranstalter sind dennoch zuversichtlich, dass Erfurt nicht das letzte nationale Sozialforum war. Spätestens in zwei Jahren soll es eine Neuauflage geben. Konkreter wird das Forum dann zwangsläufig werden – dann steht der G-8-Gipfel in Heiligendamm direkt bevor.