Tauziehen um Flüchtlinge aus Usbekistan

Taschkent verlangt die Auslieferung von 294 Männern, die nach dem Massaker von Andischan im Nachbarland Kigisien Aufnahme gefunden haben. Kigisiens Staatsanwalt will die Flüchtlinge abschieben. UNHCR schlägt Alarm

BISCHKEK taz ■ Das UNHCR in Bischkek zeigt sich besorgt über die Sicherheit der 450 usbekischen Flüchtlinge in Kigisien. „Wir haben ein Zeitfenster von einigen Tagen, um die Menschen in ein sicheres Drittland zu überführen“, sagte am Donnerstag in der kirgisischen Hauptstadt der Missionschef des UN-Flüchtlingswerk, Carlos Zaccagnini. Bisher habe sich aber leider noch kein Land bereit erklärt, die Männer, Frauen und Kinder aus der usbekischen Provinzstadt Andischan vorübergehend aufzunehmen. „Kigisien wird sich sonst dem Druck Usbekistans beugen und die Menschen ausliefern“, befürchtet der Missionschef.

Am 13. Mai konnten die Menschen aus Andischan in den Süden Kigisiens flüchten, nachdem Truppen des usbekischen Innenministers ohne jegliche Vorwarnung das Feuer auf eine mehrtausendköpfige Menschenmenge in der usbekischen Provinzstadt eröffnet hatten. Seither leben die Usbeken in einer Zeltstadt unweit der südkirgisischen Stadt Dschalalabad.

Die usbekische Regierung sieht in dem Aufstand der Andischaner Bürger am 13. Mai das Werk von Terroristen und Islamisten, ist allerdings bisher jegliche Beweisführung schuldig geblieben. Taschkent verweigert sich bislang einer internationalen Untersuchung des Massakers, bei dem nach Angaben der US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch mehr als 800 Menschen erschossen wurden.

Die usbekische Regierung fordert von Kigisien die sofortige Auslieferung der 294 männlichen Flüchtlinge. Usbekistan beruft sich dabei auf den Minsker Vertrag der GUS-Staaten, der eine Auslieferung von Terrorverdächtigen einfordert. Usbekistan und Kigisien haben diesen Vertrag unterzeichnet. Der kirgisische Staatsanwalt Asimbek Beknasarow macht sich die usbekischen Anschuldigungen zu eigen und fordert die Abschiebung der Flüchtlinge. „Das sind alles Mörder und Terroristen“, verkündet der Staatsanwalt in den kirgisischen Zeitungen, „die müssen weg.“

Das kirgisische Außenministerium bezieht sich dagegen auf die ebenfalls von Kigisien unterschriebene Antifolter- und Flüchtlingskonvention, die eine Auslieferung nach Usbekistan unmöglich macht. „Wir stehen unter immensem Druck Usbekistans“, sagt eine ranghohe Mitarbeiterin im Außenministeriums, aber man werde alles versuchen, um den internationalen Verpflichtungen gerecht zu werden.

Kurz vor den Parlamentswahlen am 10. Juli sah es so aus, als gewinne der kirgisische Staatsanwalt Beknasarow im Ringen um die Flüchtlinge die Oberhand. Vier Männer wurden unter der Hand an Usbekistan verkauft und 29 sitzen derweil in Haft in der südkirgisischen Stadt Osch.

Die harsche Position des kirgisischen Staatsanwalt stößt bei kirgisischen Menschenrechtsaktivisten und ehemaligen Parteigängern Beknasarows in Bischkek auf Unverständnis. Der jetzige Staatsanwalt war selbst unter der Regierung Askar Akajew inhaftiert. Als 2002 seine Anhänger im südlichen Kigisien gegen dessen Inhaftierung demonstrierten und fünf Protestler von der Polizei erschossen wurden, war es Beknasarow, der dieses als Massaker bezeichnet. Die kirgisische Klanrevolte im Frühjahr spülte den kirgisischen Oppositionellen in das Amt des Staatsanwalts, der jedoch keinerlei Mitleid gegenüber den Flüchtlingen aus Usbekistan walten lässt.

Zaccagnini sieht nach den Wahlen jedoch Anzeichen, dass das Außenministerium in Bischkek für einige Zeit dem Treiben des kirgisischen Staatsanwalt Einhalt gebieten kann. „Wir müssen aber sehr bald ein Drittland vorweisen“, sagt der Missionschef, sonst befürchte er das Schlimmste. Sollten die Männer nach Usbekistan überstellt werden, drohen ihnen Gefängnis und Folter. Nach Aussagen Zaccagninis setzten sich die EU und vor allem die USA massiv für den Schutz der usbekischen Flüchtlinge in Kigisien ein. Der Missionschef des UNHCR hofft, dass bei dem Besuch des US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld am Montag und Dienstag in Bischkek das Schicksal der usbekischen Flüchtlinge ebenfalls auf der Agenda steht.

Rumsfeld besucht in der kommenden Woche Kigisien und Tadschikistan, nachdem die zentralasiatischen Präsidenten zusammen mit China und Russlands Anfang diesen Monats Verhandlungen über den Abzugstermin der US-Truppen aus Zentralasien gefordert hatten. Die USA unterhält seit 2001 Militärbasen in Kigisien und Usbekistan. Nach dem Massaker in Andischan haben sich die Beziehungen zwischen den USA und Usbekistan zusehends verschlechtert. Bei seiner Zentralasienreise wird Donald Rumsfeld Taschkent nicht besuchen.

MARCUS BENSMANN