Klare Flüchtigkeit

Die französische Comic-Gruppe L’Association und ihr heterogener Kosmos: Christophe Blains „Isaak der Pirat“, Manu Larcenets „Alltäglicher Kampf“ und Lewis Trondheims epische „Donjon“-Reihe

von KATJA LÜTHGE

Vor fünfzehn Jahren schon gründeten sechs junge ambitionierte französische Comic-Zeichner die Gruppe L’Association, und noch immer kommen aus dem Umfeld dieser Künstlervereinigung die abenteuerlichsten und schönsten Geschichten. Man hat dort einen Blick für interessante Stoffe. Zuletzt gelang dem Verlag mit der Veröffentlichung von Marjane Satrapis Autobiografie „Persepolis“, in der sie ihre Kindheit und Jugend im Iran und in Österreich schildert, sogar ein echter Bestseller, der auch außerhalb Frankreichs viel Beachtung fand.

Über mangelnden Erfolg kann sich auch L’Association-Gründungsmitglied Lewis Trondheim nicht beklagen. Dereinst mit den Kollegen angetreten, dem im franko-belgischen Mainstream üblichen 48-Seiten-Din-A-4-Album den ästhetischen Kampf anzusagen, hat er längst selbst in diesem Format veröffentlicht –und das sogar bei den verdächtigen Großverlagen. Dabei pflegt er weiterhin mindestens eine Leidenschaft: die Hingabe an das Epische.

Hatte Trondheim 1992 ein mehrhundertseitiges Werk über einen Hasen auf der stets scheiternden Suche nach dem Karottenparadies „Lapinot et les carottes de patagonies“ vorgelegt, entwickelt er heute neben vielem anderem eine Serie, die offensichtlich vollkommen willkürlich auf voraussichtlich über zweihundert wundervolle Alben angelegt ist. In chronologisch und inhaltlich nur schwer nachvollziehbarer Weise darf der Leser dort dem Aufstieg und Fall und dem Zwischendrin und Nebenher des „Donjon“ folgen, einem recht großen Verließ, in dem man sich zum Vergnügen von allerlei Monstern umbringen lassen kann. Das ist genauso brutal wie komisch, in der Gesamtheit aber bestimmt ein lakonischer Ton das Geschehen. Ist doch das Scheitern und die Einsicht in die geringe Wirkungsmacht des eigenen Tuns den (überlebenden) Protagonisten stets präsent – und ein Sieg im Kampf bedeutet weder Glück und noch weniger Fortschritt.

Im Gegensatz dazu steht die scheinbar unerschöpfliche Freude des Autors am Erfinden neuer Figuren und absurder Geschichten. Irgendwie ist es Trondheim gelungen, eine Reihe Gleichgesinnter zu finden, die neben einer unheimlichen Arbeitswut offenbar die Lust am Versponnenen, am Philosophieren und am schnellem Strich teilen. So konnte er neben Joann Sfar die Zeichner Christophe Blain und Manu Larcenet für einzelne „Donjon“-Zeitalter gewinnen, und es ist erstaunlich, wie homogen dieser heterogene Kosmos trotz seiner unterschiedlichen Schöpfer wirkt. Ganz sicher ist das einerseits der Kolorierung geschuldet, die für eine gewisse Einheitlichkeit sorgt. Wer so viel veröffentlicht, kann sich andererseits nicht mit einer verpusselten Zeichentechnik aufhalten: Eine gewisse klare Flüchtigkeit eint die disparaten Stile.

Christophe Blain, Jahrgang 1970, hat die Faszination für das Comic-Machen relativ spät für sich entdeckt, erst der Kontakt zur L’Association Ende der Neunzigerjahre hat ihn nach Zeichenstudium und Kinderbuchillustration für das Medium erweckt. Mit „Isaak der Pirat“, einer an überbordenden Schauplätzen reichen Abenteuergeschichte, schöpft er dann aber auch gleich das ganze Mythenpotenzial des Piratentums aus. Sinnigerweise ist es ein Maler, der sich zunächst unfreiwillig auf hoher See wiederfindet, uns aber letztendlich durch seine Zeichnungen an die exotischsten Plätze voller Gewalt, enttäuschter Liebe und rätselhafter Geschehnisse bringt.

So ganz anders wirken da die Orte an denen „Der alltägliche Kampf“ von Manu Larcenet stattfindet. Auf einen einsamen Flecken Land hat sich dort der kriegsmüde Kriegsfotograf Marco zurückgezogen, den er nur verlässt, um seine alten Eltern, die in der Nähe einer sterbenden Werft wohnen, oder seinen Bruder in einer Pariser Vorstadt zu besuchen. Larcenets Held leidet unter plötzlichen Angstattacken und kann vielleicht deshalb nur schwer verbindliche Beziehungen eingehen. Verbindet ihn mit seinem Bruder noch das feste Ritual des „Fette Tüte“-Rauchens, scheint ihm seine menschliche Umgebung ansonsten oft fremd zu bleiben.

Larcenet würdigt dagegen die Anstrengung seines Protagonisten, dennoch ein netter Mensch zu sein. Zutiefst anrührend sind Marcos Versuche, die Alzheimererkrankung und den nahenden Tod seines Vaters zu akzeptieren. Wie Manu Larcenet bei aller Melancholie und Traurigkeit trotzdem ganz auf Seiten des Lebens steht, ist schön zu schauen. Diese unaufdringliche Botschaft eint ihn mit Lewis Trondheim: Trotz aller Monster, es gibt nur dieses eine Leben, lebe es!

Christophe Balin: „Isaak der Pirat. Amerika“; „Isaak der Pirat. Das Eismeer“; „Isaak der Pirat. Olga“. Aus dem Französischen von Kai WilksenManu Larcenet: „Der alltägliche Kampf“; „Der alltägliche Kampf. 2. Belanglosigkeiten“. Aus dem Französischen von Barbara Hartmann, (alle Titel bei Reprodukt)