Der grüne Hügel der Claudia Roth

In Bayreuth beginnen am 25. Juli die Wagner-Festspiele. Eine wahrhaft schön-historische Anekdotensammlung

„Bayreuth? Bereits bereut!“, kalauerte der Philosoph Friedrich Nietzsche (geb. 1844, gest. 1900). Wagner, mit diesem Spruch seines einstigen „Fans“ konfrontiert, entgegnete gelassen: „Hab ich ja auch bereut. Längst! Aber in meinem Alter noch mal umziehen? Nee, mei Gudesder!“ Der Meister war damals (1888) übrigens schon fünf Jahre tot.

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Für eine Schrecksekunde bei den Bayreuther Festspielen sorgte 2004 der Aushilfsinspizient des Hauses. Ehrengast Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) hatte gerade den roten Teppich betreten, da zerrte er sie schnurstracks in die Maske. Der übereifrige Mann, der seinen Ehrenjob nach 20 Jahren treuer Dienste als Platzanweiser ergattert hatte, war einem fatalen Verleser erlegen. Im Textbuch des Parsifal entzifferte er den Namen der weiblichen Hauptrolle „Kundry“ als „Kuhdry“. Kein Wunder, war das Buch doch mit wirren Krakeleien des Regisseurs Schlingensief übersät … Und da Michelle de Young, die launische Sängerin des „Parts“, sich noch nicht bei ihm gemeldet hatte, fing er kurzerhand die erste Frau ab, die ihm sowohl von der Statur wie vom wallenden Gewand her als optimale Darstellerin der „Kuhdry“ erschien. Die Verwirrung löste sich zum Glück schnell auf: Frau Roth konnte beweisen, dass sie von Wagner zum einen und von Musik zum anderen noch weniger verstand als der unglückliche Aushilfsinspizient. Die kesse Parteivorsitzende hatte die Lacher für sich, als sie später den Vertretern der Weltpresse erklärte: „So was kann einer putzmunteren Grünen wie mir schon mal passieren – hier oben auf dem grünen Hügel!“

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Als bei der Premiere der Meistersinger von Nürnberg das Tonzitat aus dem „Tristan“ erklang, riefen etliche Schlauberger im Publikum: „Aha!“ Wagner, der von Besserwissern wenig hielt, entgegnete aus seiner Loge: „Oho!“ Und setzte nach mit: „Hojotoho!“ Erst dann konnte das Orchester in Ruhe weiterfiedeln.

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Nicht bloß zum Narren, sondern zur „Persona non grata“ machte sich anlässlich des so genannten Jahrhundert-Rings (1976) von Chéreau/Boulez der SPD-„Vordenker“ Peter Glotz, als er von Rheingold-Es-Dur-Akkorden schwafelte, die im Werk gar nicht vorhanden sind. Glotz lernt inzwischen den Unterschied zwischen vielen Akkorden und einem einzigen Ton auf der Hohner-Melodica kennen. In Es- und in E-Dur. Die Nachbarn beschweren sich bereits.

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Bekanntlich sind der besseren Akustik wegen alle Stühle im Bayreuther Festspielhaus ungepolstert. Allein die alte Begum durfte sich ein Kissen unters Gesäß legen, wenn sie im „magischen Raum“ (Thaddäus Mann) Platz nahm. Dies geschah nun aber nicht, wie viele glauben, weil sie der Festspielleitung regelmäßig Golddublonen rüberwachsen ließ. Sondern weil die gewiefte „Grande dame“ behauptete, andernfalls auf dem Sitzgehölz zumal bei intimeren Orchesterpassagen die heftigsten Flatulenzen rauströten zu müssen. Das wollte selbstverständlich niemand riskieren – schon gar nicht bei den Premieren, die im Radio live übertragen wurden. Heute, in Zeiten digitaler „Sound“-Verbesserung, ist man da konsequenter und genehmigt nicht mal mehr daunengefütterte Unterhosen.

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Generationen von Bayreuth-Kennern haben gerätselt, warum der Wagner-Enkel Wieland als großer Festspiel-Reformator und irgendwie ein bisschen Linker gehandelt wird, obwohl er doch auch nur ein Nazi war. Einen interessanten und aufschlussreichen Hinweis verdanken wir Horst T., dem inzwischen pensionierten dritten Hornisten des Bayreuther Festspielorchesters: „Solch einen tumben Scheiß wie die Holländer-Inszenierung vom Wieland hab ich zuletzt auf dem Reichsparteitag 1934 gesehen.“ Neid eines kleinen Musikers – oder mehr?

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Ludwig II. war nicht nur ein Bewunderer Richard Wagners, sondern auch sein äußerst spendabler Förderer. Zu einer gewissen Entfremdung kam es aber zwischen Künstler und „Kini“, als dem „Märchenkönig“ die Revolutionsschriften Wagners zugespielt wurden. Der Komponist rettete die Freundschaft, indem er lächelte: „Schauen S’, mein König – bei Tristan und Isolde hab ich behauptet, das wär eine ‚unendliche Melodie‘. Es sind aber, wenn Dero Gnaden genauer hinschauen mögen, höchstens fünfeinhalb Melodien in der ganzen Oper, und die dauern nie länger als wenige Takte. Der Rest ist chromatisches Gefuchtel.“ – „San S’ also immer schon ein schlauer Reclame-Trommler gewesen, jedoch kein Revoluzzer, Herr Wagner?“ – „So kann man’s gewißlich sagen, Majestät.“ Beim anschließenden Tee in der Villa Wahnfried sprach man dann auch ohne Zögern über andere Dinge und war sich ganz schnell wieder gut.

AUFGEZEICHNET VON

KAY SOKOLOWSKY