Verhängnisvoller Höhenflug

Seit Dezember läuft vor dem Hamburger Landgericht eines der größten Wirtschaftsstrafverfahren seiner Geschichte: Millionenerbe Alexander Falk ist des besonders schweren Betrugs, der Kursmanipulation und Steuerhinterziehung angeklagt

Mit Scheingeschäften sollen Umsätze vorgetäuscht worden sein Wird er verurteilt, drohen dem Millionenerben bis zu zehn Jahre Haft

Von Elke Spanner

Alexander Falk kann sich die besten Rechtsanwälte leisten. Zusätzlich hat er Hans-Hermann Tiedje engagiert, den Ex-Chefredakteur der Bild. Heute ist Tiedje im Vorstand der Berliner PR-Agentur WMP Eurocom AG, die zuletzt durch einen millionenschweren Beratervertrag mit der Bundesanstalt für Arbeit von sich reden machte. Alexander Falk, Stadtplan-Millionenerbe, Börsenstar, späterer Untersuchungshäftling und seit Dezember Angeklagter vor dem Hamburger Landgericht, zählte schon vor seiner Verhaftung zum Kundenkreis der WMP Eurocom AG. Sein Medienberater steht ihm auch heute noch zur Seite. Die Verteidigung ist dadurch arbeitsteilig organisiert: Falks Rechtsanwälte verteidigen ihn innerhalb des Gerichtssaales, Tiedje übernimmt den Job außerhalb.

Die WMP Eurocom AG verspricht den Kunden auf ihrer Homepage, „einseitige und von Vorurteilen geprägte Darstellungen zu korrigieren“ sowie ein „informiertes und verständnisvolles Umfeld für die Anliegen unserer Klienten“ zu schaffen. Im Falle Falks heißt das, dass Tiedje oder einer seiner Mitarbeiter während des Prozesses auf der Zuschauerbank sitzt und in den Pausen der Presse erklärt, was sie vom zuvor Erlebten zu halten habe. Tiedje kann sich sicher sein, dass das „informierte Umfeld“ verständnisvoll reagiert. So titelten fast sämtliche Blätter am 18. Juni, dass der Prozess wohl Platzen werde, weil ein Mitangeklagter Falk entlastet habe.

Doch was war an jenem spektakulären Prozesstag tatsächlich geschehen? Nüchtern betrachtet ist aus dem Wirtschaftskrimi kein Justizdrama geworden, auch wenn es auf den ersten Blick so aussehen mag. Falk und den fünf mitangeklagten Managern seiner Distefora Holding wird von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, im Jahr 2000 durch Scheingeschäfte den Wert seiner Firma Ision Internet AG in die Höhe getrieben und anschließend beim Verkauf an das britische Unternehmen Energis einen überhöhten Preis kassiert zu haben: 812 Millionen Euro, Baranteil 210 Millionen, der Rest in Energis-Aktien. Besonders schwerer Betrug, Kursmanipulation und Steuerhinterziehung – sagt das Strafgesetzbuch dazu.

Den Deal sollen die Kaufleute beim so genannten Kick-off-Meeting am 19. September 2000 verabredet haben. Über dieses Treffen gibt es ein Protokoll. Und dieses Protokoll, offenbarte Mitte Juni der frühere Manager der Falk-Firma, Ralph S., habe er rund ein Jahr nach jenem Treffen gefälscht. Weil ihm Fehler vorgeworfen wurden und er einen Rausschmiss fürchtete, habe er es geschrieben, um ein Druckmittel gegen seine Chefs in den Händen zu haben. Nicht nur Falks Verteidiger, auch die Vertreter der Presse sahen deshalb die Anklage wanken und eine Schadensersatzklage auf die Stadt zukommen, die diese der Pleite nahe bringen dürfte.

Die Anklage stützt sich aber nicht allein auf dieses eine Protokoll, die Anklageschrift umfasst 287 Seiten. Das Beweismaterial ist derart umfangreich, dass der Züricher Anwalt und Aktionärsschützer Johann-Christoph Rudin, der im März 2003 die belastenden Dokumente an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht übersandte und damit die Ermittlungen in Gang brachte, für die Vervielfältigung der Schriftstücke fünf Tage lang einen Copyshop samt Hilfskopierern und für die Lagerung eigens eine Wohnung angemietet hatte. Die jetzt angeklagten Kaufleute hatten akribisch auch die mutmaßlichen Scheingeschäfte dokumentiert und sich in E-Mails gegenseitig vor strafrechtlichen Konsequenzen gewarnt. Rückwirkend betrachtet liest es sich, als hätten die Manager ihre eigene Anklageschrift verfasst.

Die Geschichte spielte 2000 und zu einer Zeit, als Falk sich nicht vorstellen konnte, jemals Schiffbruch zu erleiden. Der Vater des heute 36-Jährigen, Gerhard Falk, hatte 1945 den nach ihm benannten Stadtplan erfunden und damit im Laufe der Jahre ein Millionenvermögen verdient. 1978 erbten Alexander und seine zwei Schwestern den Verlag. 1994 schloss Alexander sein BWL-Studium ab und entwickelte eigene Pläne. Der Verlag war für ihn ein „unsportlicher Laden ohne Innovationskultur“: Stadtpläne auf Papier hätten im Internetzeitalter „keine Zukunft“. Also zahlte er seine Schwestern aus und veräußerte die väterliche Firma 1995 an Bertelsmann. 25 Millionen Euro bekam er dafür. Mit dem Geld baute er seine Distefora-Holding auf, die Hightech-Firmen unter ihrem Dach vereinen sollte, seit 1999 auch die Ision Internet AG.

Deren Börsengang im März 2000 war triumphal. Er spülte 230 Millionen Euro in die Kasse. Auch an der Börse bestätigte sich Falks Lebenserfahrung, dass sich investiertes Geld wie von allein zu vermehren schien. Er brauchte nur am Computer zu sitzen und dem Wertzuwachs seines Unternehmens zuzuschauen.

Dass Falk sein Leben stets im gediegenen hanseatischen Milieu verbrachte, spiegelt sich selbst in seinem Strafprozess wider. Der wird im ehrwürdigen Plenarsaal des Landgerichtes verhandelt, stuckverziert mit breiter Fensterfront. Die Zuschauer, die hinter den Angeklagten sitzen, blicken auf zwei Reihen dunkle Jacketts zwischen schwarzen Anwaltsroben. Falk selbst trägt gerne dunkle Nadelstreifen. Mit Kugelschreiber schreibt hier niemand mit, Notizen werden in Laptops getippt.

Inzwischen verfügt der Hauptangeklagte jedoch über kein eigenes Vermögen mehr. Dies gehe aus einer eidesstattlichen Versicherung hervor, berichtete das Wirtschaftsblatt Manager Magazin am 22. Juli, die Falk bei einem Hamburger Gerichtsvollzieher habe abgeben müssen, um einer erneuten Inhaftierung zu entgehen.

Denn heute führt Falk wieder ein Leben außerhalb des Gerichtes. Ende April kam er nach fast zwei Jahren aus der Untersuchungshaft, verschont gegen eine Kaution von 1,5 Millionen Euro. Der Staatsanwaltschaft gilt er aber weiter als dringend tatverdächtig. Seinen Pass hat er abgeben müssen, um eine Flucht ins Ausland zu verhindern. Für die aktuelle Prozesspause bekam er trotzdem eine Sondergenehmigung, um mit seiner Familie nach Ibiza zu reisen.

Kurz vor Beginn des Prozesses war vorigen November ein Kassiber von Falk entdeckt worden, in dem er offenbar seine heimliche Ausreise aus Deutschland geplant hatte. Falk hatte an einen südafrikanischen Manager geschrieben und ihn gebeten, ihm bei der Vorbereitung seiner Flucht behilflich zu sein. „Ich habe nicht die Absicht“, schrieb er damals, „die nächsten drei Jahre mit einem vollständig nutzlosen Verfahren zu verbringen, das ich ohnehin gewinnen werde.“

Dem Unternehmer wurde sein eigener Höhenflug zum Verhängnis. Nach dem bemerkenswerten Börsengang im März 2000 erfüllten sich seine Erwartungen an die weitere Geschäftsentwicklung der Ision AG nicht. Die Umsätze blieben hinter den Prognosen zurück. Dennoch gelang Falk neun Monate nach dem Börsengang sein größter Coup: Er veräußerte 75 Prozent der Ision-Anteile für 812 Millionen Euro an Energis. Dieser Kaufpreis aber konnte laut Staatsanwaltschaft nur erzielt werden, indem durch Luftbuchungen falsche Umsätze der Ision AG fingiert wurden: Durch Scheingeschäfte mit befreundeten Firmen wie die Unternehmen Medienkontor und Studio Kiel sollen Umsätze vorgetäuscht worden sein. Dem britischen Telekommunikationskonzern, schreibt die Landgerichtskammer in einem Beschluss vom 9. Februar 2005, sei dadurch ein Schaden von mindestens 46,7 Millionen Euro entstanden: Energis hätte die Ision AG „jedenfalls nicht ohne eine Kaufpreisreduktion erworben, wenn sie von den wirklichen Geschäftsumsätzen gewusst hätte“.

Wird Falk verurteilt, drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft. Er bestreitet den Vorwurf der Anklage: Energis habe seine Kaufentscheidung auf Grund von anderen Zahlen als den angeblich manipulierten getroffen. Dem folgte das Gericht bisher nicht. Nach der vorläufigen Würdigung des Ermittlungsergebnisses ging es noch im Februar davon aus, dass „die Umsatzentwicklung der Ision AG für das Jahr 2000 und damit auch die inkriminierten Umsätze ebenfalls die Höhe des vereinbarten Kaufpreises (...) maßgeblich beeinflusst haben“.

Das Verfahren zieht sich nicht nur durch das umfängliche Beweismaterial in die Länge. Immer wieder kommt es zu Pausen, etwa wegen der Erkrankung eines Angeklagten. Falks Verteidiger Gerhard Strate, dessen Mandat zurzeit offenbar wegen Uneinigkeit über das Honorar ruht, befand im Mai: „Der Prozess droht in ein Stadium zu treten, dessen Tempo und Themen dem langen Frühstück in einem Seniorenhospiz ähneln.“

Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.