Bei Russlands Militärärzten rollt der Rubel

Nach wie vor ist die Korruption Alltag in Putins Reich. Besonders Unternehmer müssen Behörden großzügig motivieren

BERLIN taz ■ Der Kampf gegen Korruption war und ist eines der zentralen Argumente von Russlands Präsident Wladimir Putin, um den Ausbau der Präsidialmacht zu rechtfertigen. Zwar reicht der lange Arm des Kremlherrschers mittlerweile wieder in alle Bereiche von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft – allein am Phänomen der Korruption hat sich nichts geändert. Im Gegenteil: Heute zahlen die Menschen in Russland zehnmal mehr Schmier- und Bestechungsgelder als noch vor vier Jahren.

Das geht aus einem Bericht vor, den die Indem-Stiftung, eine Nichtregierungsorganisation, die zum Thema Korruption in Russland arbeitet, jetzt vorgelegt hat. Befragt wurden 1.000 Geschäftsleute unterschiedlicher Branchen sowie 3.000 Bürger in 29 Regionen des Landes.

Besonders Unternehmer dürfen nicht kleinlich sein. Zahlten diese 2001 noch insgesamt 33,5 Milliarden Dollar Motivationshilfen, um ihrem Business nachgehen zu können, rechnet Indem für das laufende Jahr mit einer Gesamtsumme von 316 Milliarden Dollar.

Zwar sind Geschäftsleute die bevorzugten, doch längst nicht die einzigen Opfer. Nach Angaben von Georgi Satarow, ehemaliger Berater von Expräsident Boris Jelzin und Chef von Indem, beläuft sich die Summe, die der Normalbürger für besondere Dienste und Gefallen vor allem in Institutionen und Behörden entrichtet, auf jährlich 3 Milliarden Dollar. Besonderer Nutznießer ist das Militär. Angesichts des grausamen Krieges in Tschetschenien, amoklaufender, ausgehungerter Wehrpflichtiger sowie einer vielfach entwürdigenden Behandlung untergebener Soldaten in den Kasernen lassen sich immer mehr Eltern die Befreiung ihres Sohnes vom Wehrdienst ein stattliches Sümmchen kosten – mittlerweile 350 Millionen Dollar jährlich anstatt noch 13 Millionen Dollar im Jahr 2001.

Bei chronisch unterbezahlten Professoren und Dozenten rollt der Rubel auch im Hochschulwesen, und zwar dann, wenn es darum geht, ein gutes Abschlusszeugnis zu bekommen oder erst mal die Hürde einer Aufnahmeprüfung – besonders bei prestigeträchtigen Universitäten – zu überwinden.

Zumindest einen positiven Trend hält der Bericht fest. Zwar müsse der Einzelne, um beispielsweise einen Beamten zu bestechen, tiefer in die Tasche greifen. Demgegenüber sei jedoch die Anzahl der Zahler seit 2001 um 20 Prozent zurückgegangen. Als einen Grund dafür nennt der Bericht den Umstand, dass rund 20 bis 30 Millionen Russen die kostenlose medizinische Versorgung des Staates gar nicht mehr in Anspruch nehmen, weil sie das verlangte Bakschisch nicht bezahlen können.

Allen gegenteiligen Beteuerungen Putins zum Trotz fehlt es nach Meinung der Journalistin Julia Latynina in Russland bislang an politischem Willen, um Korruption zu bekämpfen. „Der Präsident ernennt Leute, die korrupt sind. Das ist sogar eine der Einstellungsvoraussetzungen. Denn wenn jemand korrupt ist, dann kann man ihn besser beherrschen“, sagt sie.

Die stellvertretende Sprecherin der Duma, Ljubow Sliska, sieht in der Verabschiedung eines Anti-Korruptions-Gesetzes eine der Grundvoraussetzungen für eine effektive Bekämpfung des traditionellen russischen Übels. „Doch bis jetzt“, sagt sie, „weiß man bei uns nicht, vor wem man mehr Angst haben muss: vor den Verbrechern oder der Polizei.“ BARBARA OERTEL