Der Terrordrahtzieher von der Dog Cry Ranch

Als „Hintermann“ der Londoner Attentäter suchen die britischen Behörden Haroon Rashid Aswat, einen 30-jährigen Muslim indischer Abstammung aus Yorkshire mit internationalen Verbindungen. Und sie finden ihn – ein wenig zu oft

BERLIN taz ■ Haroon Rashid Aswat ist ein vielfältiger Mensch. Von den britischen Behörden als Drahtzieher der Londoner Terroranschläge gesucht, wurde der 30-jährige muslimische Brite indischer Abstammung vor einer Woche in Sambia gefasst, berichteten US-Medien gestern. Er habe kurz vor den Selbstmordanschlägen vom 7. Juli rund 20-mal mit den Attentätern telefoniert.

Letzte Woche aber wurde Haroon Rashid Aswats Festnahme schon einmal gemeldet – in Pakistan. Und in den USA wurde gemutmaßt, Haroon Rashid Aswat sei in Afghanistan gefallen.

Haroon Rashid Aswat „hat in den letzten sieben Jahren mehrere Decknamen benutzt und ist ein Meister darin, sein Aussehen zu verändern“, analysiert die britische Times. Wer also ist Haroon Rashid Aswat, und wie viele gibt es davon? Diese Fragen führen mitten in den Nebel, in dem internationale Terrorfahnder auf der Jagd nach al-Qaida stochern.

Yorkshire, England. Als drittes von zehn Kindern wird Haroon Rashid Aswat 1974 in Dewsbury bei Leeds im Norden Englands geboren. Sein Vater, muslimischer Einwanderer aus dem indischen Bundesstaat Gujarat, hat in der Stadt Batley ein Geschäft für Badezimmerartikel. Aus Batley, einer Stadt ohne Eigenschaften, zieht der junge Mann Mitte der 90er-Jahre nach London. Er betet in der Moschee Finsbury Park beim ägyptischstämmigen Prediger Abu Hamza, dem radikalsten Muslimführer Großbritanniens, der in Afghanistan im Kampf gegen die Rote Armee beide Hände verlor.

Oregon, USA. 1999 beschließt Abu Hamza, in den USA ein militärisches Ausbildungslager einzurichten. Haroon Rashid Aswat reist am 26. November zusammen mit einem schwedischen Muslim in die USA und fährt nach Oregon, in den Westküstenstaat nördlich von Kalifornien. Oregon mit seinen Bergen und Wäldern ist offenbar ideales Terrain für Leute, die von einer Ausweitung des in Afghanistan begonnenen Krieges auf die ganze Welt träumen.

In Oregon findet der zum Islam übergetretene US-Amerikaner James Ernest Thompson aus Seattle, der sich James Ujamaa nennt, ein passendes Gelände: die Dog Cry Ranch in der Nähe des Örtchens Bly. Es ist, glaubt man späteren Berichten, ein Desaster. Nach langer Autofahrt am Ziel, merkt Ujamaa, dass er keinen Schlüssel hat. Die drei ziehen in einen Wohnwagen ohne fließendes Wasser, haben nichts zu essen, jagen Kaninchen und Wachteln. Ganz so afghanisch haben sie sich das nicht vorgestellt. Dann werden sie auch noch von der Polizei gestoppt.

Haroon Rashid Aswat reist wieder ab. Aber im Jahr 2002 werden sieben muslimische US-Amerikaner aus Oregons Hauptstadt Portland verdächtigt, mit den Taliban in Afghanistan kämpfen zu wollen. Nur einem gelingt die Reise; er wird 2004 von US-Truppen getötet. Sechs andere landen im Gefängnis.

Im Jahr 2000 wird Haroon Rashid Aswat zum letzten Mal gesichtet, in Seattle. Manche US-Ermittler sagen, dass er inzwischen in Afghanistan gefallen ist: Ein britischer Pass auf seinen Namen wurde bei einem toten Taliban-Kämpfer gefunden.

2002 wird James Ujamaa verhaftet und wegen der Terrorfarm angeklagt. Die Anklageschrift gegen ihn erwähnt drei ungenannte „Mitverschwörer“. Inzwischen ist bekannt, dass es sich dabei um Abu Hamza, den Schweden Abdullah Kassir und Haroon Rashid Aswat handelt. Anklagen gegen sie scheitern an Bürokratie: Die Polizei in Portland will nicht mit den Terrorfahndern des FBI zusammenarbeiten. Sie klagt nur Ujamaa an. Erst 2004 erhebt das FBI in New York Anklage gegen Abu Hamza. Ujamaa gerät zum Kronzeugen. Abu Hamza sitzt heute in britischer Haft: Einer Auslieferung in die USA kommt Scotland Yard mit einer eigenen Anklage zuvor. Haroon Rashid Aswat wird vergessen.

London, England. Nach den Terroranschlägen vom 7. Juli taucht der Name Haroon Rashid Aswat aufgrund der Auswertung der Telefongespräche der Attentäter als Schlüsselkontakt auf. Zwei Wochen vor den Anschlägen sei er per Schiff nach England eingereist, wenige Stunden vor den Anschlägen per Flugzeug wieder abgereist, sagt Scotland Yard. Als „Hintermann“ der Anschläge wird er zur Fahndung ausgeschrieben.

Pakistan. Am 17. Juli, mitten in einer Serie von Razzien in Pakistan, wird in einer Koranschule im pakistanischen Sargodha die Festnahme eines Mannes mit einem Sprengstoffgürtel, einem britischen Pass und einer Million Rupien (20.000 Euro) in bar gemeldet. Sein Name sei Haroon Rashid Aswat, melden die britischen Ermittler hocherfreut.

Pakistans Regierung dementiert. Pakistans Geheimdienst dagegen bestätigt. Doch konkrete Verbindungen zu den Londoner Attentätern könnten ihm nicht nachgewiesen werden. Zu allem Überfluss melden US-Medien „Zweifel“ unter US-Ermittlern, dass der von London gesuchte Aswat identisch ist mit dem aus Oregon.

Sambia. Am Donnerstag melden US-Medien die Festnahme des Briten Haroon Rashid Aswat in Sambia, beim Grenzübertritt aus Simbabwe. Sambias Polizei und die britische Botschaft bestätigen die Festnahme, nicht aber die genaue Identität.

Sambia wäre kein ungewöhnlicher Aufenthaltsort für Islamisten. Es ist ein Transitland für geschmuggelte Mineralien und Waffen; Asiaten dominieren den Außenhandel. Vor zwei Jahren hoben Sambias Behörden in der Hauptstadt Lusaka eine Koranschule aus, wo ein Pakistaner und ein Kongolese 280 kleine Jungs in Käfigen hielten und ihnen Arabisch und Schusswaffengebrauch beibrachten.

Letztes Jahr warnten die USA, Al-Qaida-Aktivisten reisten mit südafrikanischen Pässen um die Welt. Auch Haroon Rashid Aswat habe sich in Südafrika aufgehalten, melden die US-Behörden. Dort hätte man ihn schon längst festnehmen und in die USA überstellen können, wenn die britischen Behörden sich nicht aufgrund der dünnen Beweislage widersetzt hätten. Es klingt wie eine Rache an britischen Vorwürfen, dass die USA in früheren Jahren die Ermittlungen selbst verschlampt haben.

Nun streiten Sambier, Briten und US-Amerikaner über das Schicksal des Festgenommenen. Im Verhör soll er ausgesagt haben, er sei Leibwächter von Ussama Bin Laden gewesen. Aber kann er dann zugleich mit der Person identisch sein, die man bisher für Haroon Rashid Aswat hielt? DOMINIC JOHNSON