Akku-Sklaven von morgen

Kleine iPod-Kunde: Das Leben hat sich zwar irgendwie geändert, die Hörgewohnheiten aber bleiben die gleichen

Gestern Nacht wieder iPod gehört. Von eins bis drei, mindestens viermal „I Wish I Fall Asleep“ von den Manic Street Preachers und „Nation“ von Radio 4, dann nur noch Geballer, Alter Ego, Egoexpress und so. Es war schwer, sich zu lösen, zumal ein paar Gläser Wein bekanntlich tief in die Materie eindringen lassen.

Dass der iPod (oder jeder andere MP-3-Player) unser Leben und unsere Hörgewohnheiten entscheidend verändert hat, das haben wir nun oft gehört und gelesen, auch dass wir als Träger der weißen Ohrstöpsel als Werbefiguren für Apple durch die Gegend spazieren. Gleichfalls nicht unproblematisch: Das Lauern auf den kleinen Streifen oben rechts auf dem Display, der anzeigt, wie viel Saft noch drauf ist. Wir sind die Akku-Sklaven von morgen.

Interessanter aber ist, wie sich die alten Hörgewohnheiten gewissermaßen durch den Papierkorb wieder einschleichen. Denn wer will sich schon auf die Zufallstaste verlassen, wo doch so viele schöne Musik gezielt angeklickt und gehört werden kann? Diese aber zeitigt den Abnutzungseffekt, der jeder Popmusik zu allen Zeiten auf jedem Tonträger zu Eigen war (und ja ihren Charme ausmacht). Die CDs, die man lange nicht mehr gehört hat, die werden via iPod nicht attraktiver. Und die Alben, die man schon immer mal hören wollte – ist doch noch so viel Platz drauf! – die bleiben auch auf dem iPod ungehört: zu schwer, zu anstrengend, zu wenig Zeit. Ganz schlimm aber ist es mit den Lieblingssongs, wie eben „Nation“ oder „I Wish I Fall Asleep“ – irgendwann kann man die nicht mehr hören, der emotionale Verschleiß schreitet da unaufhörlich voran. Gerade die Menschen, die mit ihren Mini-iPods auf das Albumformat bewusst verzichten, werden das bald unangenehm zu spüren bekommen.

Da macht es dann auch nichts, wenn man an einem fremden iBook alle seine Dateien mit einem Schwung löscht: Man konnte das ganze alte Kram sowieso nicht mehr hören. Wer einen iPod besitzt und diesen oft einsetzt, den verlangt es nach immer mehr Pop – und auch das war schon immer so gewesen. Nur das Platzproblem, das gibt es nicht mehr in dem Maß, das Festhalten an lieb gewonnenen Tonträgern, die man zwar nicht mehr hört, von denen man sich aber nicht trennen kann – was vom iPod weg ist, ist weg. Wer auf seiner externen Speicherplatte trotzdem dran festhält, muss anbauen und anbauen und immer wieder anbauen. Und das tat man früher mit seinen Regalen auch. GERRIT BARTELS