Merkel im Morgengrauen

Herausforderin Angela Merkel hat aus Edmund Stoibers Fehler gelernt und möchte sich nur auf ein einziges TV-Duell mit dem Kanzler einlassen – damit hat die Übertragung eigentlich schon begonnen

VON ARNO FRANK

Könnte gut sein, dass diesmal die Nation in die Röhre guckt. Gestern drohten die Unterhändler der Union damit, das geplante TV-Rededuell zwischen Bundeskanzler und Kanzlerkandidatin platzen zu lassen: „Es ist Sache von Herrn Schröder, ob es ein Duell gibt oder gar keines.“ Während Frau Merkel darauf beharrt, der kurze Wahlkampf erlaube ihr höchstens einen einzigen Termin, betonte Herr Schröder auf dem Landesparteitag der bayerischen SPD in Amberg: „Ich hab’ schon Zeit in den nächsten Wochen, nicht nur für eine Fernsehdebatte, sondern für zwei.“

Im Wahlkampf 2002 hatte der Herausforderer Edmund Stoiber zunächst überraschend gut gegen einen Kanzler abgeschnitten, der erst im zweiten Duell seine angebliche Telegenialität ausspielen und sich hernach zum klaren „Sieger“ ausrufen lassen konnte. Dabei hatte allerdings nicht etwa ein schillernder Charismatiker den trockenen Aktenfresser geschlagen, sondern ein Kanzler die Gelegenheit genutzt, vor einem Publikum von 15 Millionen Wählern sein Nein zum Irakkrieg zu bekräftigen.

Dennoch sieht sich Gerhard Schröder auch diesmal im Vorteil, hatten ihm doch Psychologen wie Stephan Lermer bescheinigt, er wirke allein schon „durch seine tiefere Stimmlage als der kompetentere und authentischere“, wobei er mangelnde Inhalte mit seiner gekonnten Körpersprache überstrahle.

Während beide Parteien den Duellen im Nullmedium Fernsehen „keinen wahlentscheidenden Effekt“ beimessen mochten, grundversorgten eifrige Demoskopen vor, während und nach den Debatten das Volk eifrig mit seiner eigenen Meinung.

Und wo die Medien Sieger oder Verlierer gesehen haben wollten, hatte Bernd Gäbler vom Grimme Institut nur „Affen einer mit Hilfe ihrer ängstlichen Wahlkampfstäbe tot choreografierten Inszenierung“ beobachtet – und damit den Nagel auf den Kopf getroffen.

Auf 90 Sekunden pro Antwort hatten sich die Diskutanten 2002 geeinigt, dazu maximal zweimal 60 Sekunden für Nachfragen, ein rotes Lämpchen am Stehpult signalisierte das Ende der Redezeit, und vor lauter Spielregeln war niemandem aufgefallen, dass von einem echten Duell gar keine Rede sein konnte: Die Kontrahenten durften sich nicht gegenseitig attackieren, sondern nur abwechselnd auf Fragen der Moderatoren eingehen. Unter solchen Bedingungen sind TV-Duelle lediglich von den Medien für die Medien inszenierte Medienereignisse vor inkompetentem Publikum, zahllosen „Christiansen“-Stahlbädern zum Trotz – solange sich keiner der Beteiligten grobe Schnitzer erlaubt, wie weiland der unrasierte Richard Nixon gegen Strahlemann John F. Kennedy im Mutterland aller TV-Duelle.

Als 1854 der damalige US-Präsident Abraham Lincoln sein Amt gegen Stephan A. Douglas verteidigte, musste er dem Herausforderer erst einmal drei Stunden lang zuhören. Danach schickte er das Publikum erst einmal zum Abendbrot nach Hause, damit es anschließend gestärkt seiner vierstündigen Erwiderung lauschen konnte.

Seitdem sind die Probleme der Welt und die Ansätze zu ihrer Lösung nicht wirklich unkomplizierter geworden, der Modus der öffentlichen Duelle aber schon. Der allgemeine Eindruck beim Wahlvolk, dass Politiker entweder befangen oder ohnehin hilflos den globalisierten Zeitläuften ausgeliefert sind, dürfte durch deren Chargieren vor laufender Kameras noch verstärkt werden. Es „gewinnt“ immer der mit den griffigeren, handlicheren Sätzen.

Schröder, der deshalb auch den direkten Vergleich mit dem Populisten Lafontaine scheut, nutzte unterdessen Angela Merkels vorgeschütztes Argument vom Zeitmangel, um sie der Feigheit zu bezichtigen und das Duell vorzeitig zu eröffnen: „Wenn man das aus anderen Gründen nicht will, sollte man das sagen.“