Baum der Möglichkeiten

Der letzte Hippie und der erste Glamrocker: Als T.Rex öffnete Marc Bolan das weite Feld der Verwandlung. Die DVD „Born to Boogie“ bringt die Haupt- und Nebenfiguren der Zeit zurück

VON DETLEF KUHLBRODT

„Das Wichtigste in der Philosophie sind Schreie, um die herum Konzepte zu regelrechten Gesängen werden.“ (aus Deleuze/Guattari: „1000 Plateaus“)

1.

Vor einigen Wochen, als der Sommer noch weit weg war, traf ich Marc Bolan wieder. Sein Lockenkopf war auf den Plakaten, die an einer alten Mauer nahe der U-Bahn-Station Warschauer Straße klebten. Ich dachte: „Klasse!“ und hoffte, die anderen, die die kleinen Plakate sehen, würden auch so denken. Es ging um eine DVD mit der restaurierten, remasterten, also rundum renovierten Fassung des Films „Born to Boogie“, den Ringo Starr 1972 mit T.Rex gedreht hatte, mit zwei Konzerten, die die Band am 18. März 1972 in Wembley gegeben hatte und diverse Extrafeatures. Erwartungsfroh wartete ich auf die Erscheinung.

Marc Bolan war mein erster Held gewesen und mir später immer wieder in wichtigen Lebensphasen begegnet: Anfang der Achtziger im existenzialistischen Punkumfeld; Ende der Achtziger in der Berliner Komparatistenszene, als mir ein auf Proust spezialisierter Freund aus Bayern eine Kassette mit den schönen Liedern aus der Hippiephase von Marc Bolan aufgenommen hatte.

T.Rex lief auch oft im „Risiko“, dem in den Achtzigern wichtigsten Club West-Berlins. Dort hätten sie morgens oft bedrogt „Get it on“ und solche Sachen gehört, erzählte neulich eine Bekannte, und dass sie bei T.Rex deshalb immer an Drogen denken würde. Auch der Love-Parade-Erfinder Dr. Motte hatte in frühen Technotagen immer gerne T.Rex-Stücke geremixt.

2.

Marc Bolan war der erste Superstar der Siebziger. Zwischen 1970 („Ride a white Swan“) und 1973 („The Grover“) hatten T.Rex zehn Top-Ten-Hits in den britischen Charts und verkauften 39 Millionen Platten. 1972 waren T.Rex unschlagbar und wurden als Nachfolger der Beatles gefeiert. In dieser Zeit spielt die T.Rex-DVD. Sie ist super! Ich guckte sie mir immer wieder an.

Es hatte damit angefangen, dass die Beatles alle waren und Ringo Starr seine Karriere als Filmer fortsetzen wollte. So plante er eine Reihe von Dokumentarfilmen: über Liz Taylor, Richard Burton und den fußballspielenden Beatnik George Best und Marc Bolan. Verwirklicht wurde dann nur einer. Eben „Born to Boogie“, der eine Weile, nicht wirklich erfolgreich, in den Kinos gezeigt wurde und dann verschütt gegangen war.

Jahrelang lag das leicht beschädigte Filmmaterial in einer Garage und wurde dann aufwändig restauriert. Das Undeutliche und Körnige wurde beseitigt, der Ton fleißig entzerrt und gefiltert, sodass man nun jedes Instrument so hört, wie es auch gespielt wurde. Nun kann man hören, dass auch Mickey Finn, Steve Currie und Bill Legend sehr gute Musiker waren. Alles klingt nun so sauber wie jedes Livekonzert im Fernsehen. T.Rex waren live aber schön schmutzig und superlaut. Es gibt ein paar Features, wo Bearbeitetes und Unbearbeitetes gegeneinander gestellt werden: die ursprüngliche Version wirkt kraftvoller. Glücklicherweise gibt es auf der DVD die Möglichkeit, sich „Born to Boogie“ zumindest mit der alten Tonspur anzugucken.

3.

Der Film „Born to Boogie“ ist ganz wunderbar. Er besteht aus tollen Ausschnitten des Wembleykonzerts, aus Jam-Sessions mit Ringo Starr und Elton John und seltsamen, surrealistisch slapstickhaften Zwischenstücken, unter anderem mit Geoffrey Bayldon, dem Hauptdarsteller der wunderschönen Kinderserie „Catweazle“.

Die Einflüsse sind unverkennbar: Monty Python, Fellini, Andy Warhol. Vieles wirkt angenehm amateurhaft. Das Attrappenhafte, Künstliche und Kindliche steht neben der, wie soll man sagen, durchaus ironischen Behauptung der Rock-’n’-Roll-Seele, wenn Ringo Starr und Marc Bolan ungefähr fünftausendmal versuchen, wechselseitig ein Verslein aufzusagen und dabei immer wieder einen Lachanfall kriegen: „Some people like to rock, some people like to roll …“

In der Eingangssequenz sieht man eine Minute lang einen roten Cadillac die Rollbahn eines Flughafens auf den Zuschauer zufahren. Drinnen sitzen Ringo Starr im Haselmauskostüm und Marc Bolan mit einem schönen Zauberzylinder. Im Hintergrund wackelt ein ausgeschnittenes überlebensgroßes Foto von Marc Bolan vorbei – eine Reminiszenz an die Zeit, als Bolan in seiner Teenagerzeit als Model posierte. Dann kommt ein Zwerg und isst den Spiegel des Autos.

Es gibt unter den Konzert-Passagen die berühmte, in John Lennons Garten gedrehte Tea-Party mit dem Auftritt des Catweazle-Darstellers Geoffrey Bayldon sowie ein von Geigen begleitetes Bolan-Medley und eine sehr beeindruckende rock-’n’-rollige Version von „Children of the Revolution“ mit Ringo Starr am zweiten Schlagzeug, einem Jerry-Lewis-haften Elton John am und Marc Bolan im weißen Flügel. Der ist da wirklich drin und singt weiß geschminkt sein „you can’t fool the children of the revolution“.

4.

Die beiden Konzerte, die T.Rex am 18. März 1972 vor jeweils zehntausend Leuten in der Wembley-Halle gegeben hatten und die ungekürzt auf der DVD sind, sind auch ganz groß. Es gibt die bis dahin großen Hits – „Jeepster“, „Telegram Sam“, eine mitreißende Version von „Get it on“; einen akustischen Part, wo Bolan im Schneidersitz an die Tyrannosaurus-Rex-Zeiten erinnernd, teils leider etwas zu pathetisch „Spaceball Ricochet“, „Girl“ und „Cosmic Child“ singt, eine wunderschöne Version von „Baby Strange“ und ein fast punkiges „Summertime Blues“ als Zugabe.

Am besten sind eigentlich die kleinen Momente des Konzerts: Etwa wenn Mickey Finn und Marc Bolan eine Minute lang bei „Get it on“ ganz viele Mini-Tambourins ins Publikum werfen. Oder wenn ein gelb-rot gekleideter Fan die Bühne entert, Bolan kurz anfasst, von Sicherheitsleuten weggeführt wird – wie total glücklich das Gesicht des Fans da ausschaut. Und das Beste an dieser Szene ist, dass im Bühnenhintergrund schon der nächste glückselige Fan auftaucht.

„T.Rex-Fans are the craziest I’ve ever seen, and that includes Beatles and Bowie-Fans“, hatte der T.Rex-, David-Bowie- und U2-Produzent Tony Visconti einmal gesagt. Am beeindruckendsten sind vielleicht die glücksstrahlenden Gesichter der meist kaum 14-Jährigen, die so schön aussahen mit Glitter im Haar und prima geschminkt, vielleicht um Marc Bolan, ihrem Impersonator, zu ähneln, der erst 71 damit angefangen hatte, vielleicht auch, um an das erste, 1968 erschienene „Tyrannosaurus Rex“-Album zu erinnern, mit dem schönen Titel „My People were fair and had sky in their hair, but now they’re content to have stars on their brows …“

5.

Lange verlor ich mich in den vielen Extra-Features der DVD. Schaute mir „Cadillac“ aus vier Kameraperspektiven an, beobachtete den supercoolen Mickey Finn beim Trommeln und wie die Musiker interagierten auf der Bühne; hörte jeder einzelnen der vier Tonspuren von „Jeepster“ zu und entdeckte, dass Steve Currie die ganze Zeit eigentlich „Walk the Line“ auf seinem Bass spielte. Die T.Rex-Dokumentation von Bolansohn Rolan enttäuschte mich dagegen, weil sie sich vor allem auf die Superstarzeit von Marc Bolan beschränkt und all die Brüche ignoriert, die T.Rex als Teil einer (Sub-)Kulturgeschichte so interessant machen.

6.

Ich verließ die DVD, die mich angefixt hatte. Ich hörte mir das Gesamtwerk von Marc Bolan immer wieder an, recherchierte den gesamten T.Rex-Komplex im Internet, unterhielt mich mit Freunden, kaufte mir Platten und dachte an früher.

„Metal Guru“, der letzte Nummer-1-Hit von T.Rex, war meine erste Single gewesen. Ich hatte sie mir mit zwölf gekauft. Später hatte ich viel Zeit damit verbracht, Musik aus einer Zeit nachzuholen, die ich gern miterlebt hätte. Rückblickend sind T.Rex viel besser gewesen als die späten Sixties-Bands. Er konnte auch viel besser schreien als Jim Morrisson oder John Lennon. Sein „Wow“ ist unübertroffen.

Der letzte Hippie sozusagen und der erste Glamrocker. Glam war ein weites Feld der Verwandlung, Verkleidung, der Ausstellung und Trivialisierung des Eigenen und Anderen, der Verführung, sexuellen Ambivalenz, des authentisch Nichtauthentischen, in dem auch David Bowie (mit dem Bolan befreundet war), Oscar Wilde, Nietzsche, Foucault, Derrida und Roland Barthes tätig waren und das über Queen und Roxy Music in die Achtziger führte. Weil sie sich gern verkleideten und schminkten, forderten Eltern ihre Kinder auf, die Poster mit diesen Schwulen abzuhängen. Sie missverstanden die Zeichen auf den Postern. Die eigentliche Botschaft war gewesen, dass es egal ist, ob du ein Junge oder ein Mädchen bist.

Wenn man ein bestimmtes Thema, das einem herzensnah ist (und was könnte herzensnäher sein als die Stars, die man sich mit zwölf ausgesucht hatte), länger recherchiert, entsteht ein virtueller Roman mit vielen Haupt- und Nebenpersonen, der am Rande ausfranst und allerlei seltsame Aspekte enthält.

In der Mitte Marc Bolan, der jüdische Arbeitersohn aus Hackney, der mit 14 von der Schule geflogen war usw. Als große Nebenrolle Steve Peregrin Took, der Percussionist und revolutionäre Drogenhippie, mit dem Bolan von 67 bis 70 Tyrannosaurus Rex gebildet hatte. Took war nach dem einen Hobbit aus dem Herrn der Ringe benannt. Es wird gesagt, er sei der einzige gewesen, der Bolan verstanden hatte. Bolan ersetzte ihn 1970 durch den ähnlich aussehenden Mickey Finn. Steve Took machte weiter im Hippieunderground, agierte wie der frühe Iggy Pop, spielte da und dort bei radikalen Bands („Pink Fairies“) und starb 1980, als er sich bedrogt an einer Cocktailkirsche verschluckte. Vermutlich hatte er die Trennung von Bolan nie verwunden. In späten Interviews redete er von sich und Bolan immer nur rückwärts: also „Koots Evets“ und „Nalob Cram“.

Zusammen mit den Betreibern einer Steve-Took-Fan-Seite bemüht sich die TAG (T.Rex Action Group) darum, eine Gedenkbank neben sein Grab auf dem Londoner Kensal Green Cemetery zu stellen. Auf dieser Bank sollen die Worte stehen, die sich der Musiker für seinen Grabstein gewünscht hatte: „Steve Took Too Much“.

Dann Mickey Finn, ein Maler und Musiker, der aus dem mehr stylishen Umfeld der Hippieszene kam und 1974 von Bolan gefeuert wurde, als es mit T.Rex nicht mehr so lief. Danach kam er nicht mehr auf die Beine. Viel Drogen, viel Trinken. Nach einem Auftritt bei einem Gedenkkonzert zu Bolans 20sten Todestag gründete er Mickey Finn’s T.Rex und tourte mit ihnen (Rolan Bolan war auch manchmal dabei) bis zu seinem Tod Anfang letzten Jahres durch die Welt.

Am Rande Steve Currie, der Bassist, der 1980 ebenfalls bei einem Autounfall verstarb, und Bolans langjähriger Freund und Förderer John Peel, der auf dem Tyrannosaurus-Rex-Stück „Frowning Atahuallpa“ eine Kindergeschichte von Bolan vorliest (!) und sich von Bolan distanzierte, als der zum Superstar geworden war. Eine wichtige Randgeschichte ist auch, dass Bolans Frau Gloria Jones 1977 „Tainted Love“ gesungen hatte, das Lied also, das in der Soft-Cell-Version zum größten Hit der Achtziger werden sollte.

Marc Bolan verkraftete sein Superstardasein nicht. Musikalisch ging’s nach 73 bergab. Klasse ist noch der völlig überorchestrierte „Teenage Dream“ von 1974. Dann wurde er so fett wie der späte Elvis, trank und kokste wohl zu viel, erlitt 1975 einen Herzanfall, löste die Band kurzzeitig auf, erholte sich wieder, auch musikalisch, hatte eine TV-Show, verbündete sich mit Punk – The Damned traten als Vorgruppe von T.Rex auf – und starb kurz vor seinem dreißigsten Geburtstag, am gleichen Tag übrigens wie Maria Callas.

Am Steuer des defekten roten Minis, der am Morgen des 16. 10. 77 in London gegen einen Baum knallte, hatte seine Frau Gloria gesessen. Bolan, in dessen Werk Autos eine große Rolle gespielt hatten (Ford Mustang, Cadillac, der Rolls Royce aus „Children of the Revolution“), hatte selbst nie fahren gelernt.

7.

Im Zentrum des T.Rex-Komplexes steht der Baum. Am Anfang, denn auf dem ersten Tyrannosaurus-Rex-Album „My people were fair and had sky in their hair but now they’re contend to wear stars on their brows“ gibt es die programmatische Aussage: „I come from a time when the burning of trees was a crime“, die übrigens mehr oder weniger aus dem „Herrn der Ringe“ entlehnt ist. Dann gibt es noch das Bolan-Zitat: „Our lives are merely trees of possibilities.“ Und am Ende der Todesbaum. Die T.Rex-Action-Group (TAG) kümmert sich seit 1997 um den Erhalt des kranken Baumes. Auf ihrer Seite (tag.mercurymoon.co.uk) wird einleuchtend begründet, weshalb man dem Baum nicht die Schuld an Bolans Tod geben kann.

Außerdem gibt es noch Seltsamkeiten. Zum Beispiel, dass Bolan bei seiner Frankreichtour im März 1977 sich wahrscheinlich ein Bild von René Magritte angeschaut hatte, dass den Namen „16. September“ trägt. Auf diesem Bild sieht man einen Baum und dahinter einen morgendlichen Mond. Der Mond auf dem Bild ist in der gleichen Phase wie der Mond am Morgen des 16. 10. 77. So kriegt alles seine obskure Bedeutung und korrespondiert dekonstruktivistisch miteinander, und im Hintergrund läuft das großartige Tyrannosaurus-Rex-Stück „In the light of the magical moon“.

Die letzte Single von Marc Bolan hieß „Celebrate Summer“. Man ist glücklich beim Wiederhören, dass das Stück eine so angenehm entspannte kleine Rock-’n’-Roll-Nummer ist.

Die DVD „Born to Boogie“ ist auf dem Label Sanctuary erschienen