Ibiza-Feeling

Vom Think-Tank zur Nachmittagssause: Die „Warm Up Series“ im New Yorker Museum P.S.1 setzt in diesem Jahr mehr auf ein eklektisches Partygefühl als auf Elektrokunst wie in den früheren Jahren

VON DANIEL SCHREIBER

Immer wieder samstags schlängeln sich in der schwülen New Yorker Sommerhitze erstaunlich lange Menschenreihen um das P.S.1 in Queens, dessen weiter Vorhof einen imposanten Blick auf Manhattans Skyline freigibt. Viele von ihnen kommen schon seit 1997 regelmäßig zur „Warm Up Series“, den trendsetzenden Dance-Sessions, deren Ableger auch in den Berliner Kunst-Werken oder dem Club Transmediale Fuß gefasst haben. In jährlich wechselnden architektonischen Parcours konnten die Szenegänger von damals Synergieeffekte von zeitgenössischer Kunst und DJ-Culture austesten. Musik und Kunst, die in den Happenings der Sechziger- und Siebzigerjahre noch eng miteinander verbunden waren, wollten wieder zusammengeführt werden.

Auch dieses Mal hat „Warm Up“-Koordinator Jason Drummond aka DJ Spun einige Acts gebucht, auf die jeder Club in London und Berlin stolz wäre. „Juan Atkins aka Model 500“ aus Detroit und „GusGus DJ Set“ aus Reykjavík etwa. Es waren in den letzten Jahren vor allem DJs wie sie, die wie virtuose Kuratoren das Glücksversprechen der Danceparty in aussagekräftige künstlerische Kontexte stellen konnten. Neue Formen kultureller Dissidenz sollten durch die Körperbefreiung auf der Tanzfläche verwirklicht werden. Gar von postidentitären Projekten war die Rede, die aus dem verwaisten Ich-Gefühl an der Schnittstelle von Klangelektronik und Physis erwachsen sollten.

Doch bei der Eröffnung der „Warm Up Series“ am letzten Samstag war davon nur noch wenig zu merken. Anstelle der für lange Zeit bejubelten Elektrokunst traf man auf Background-Musik von „DJ Harvey“ und auf eine gehaltlose Samba-Live-Session des „Groove Collective“. Beides schleppte sich eher träge dahin. Nur Simon James aus Los Angeles gelang es mit ekstatischem Mixing die Kunstpartygänger zum Tanzen zu bringen.

Selbst langjährige Mitarbeiter des P.S.1 sind inzwischen der Meinung, dass man den Vibe der Anfangsjahre nicht mehr so richtig spüre, als heldenhafte Soundartisten noch abgedrehte Musikperformances lieferten oder an ihren Laptops saßen und Lärm machten. In der Tat scheinen die experimentellen Zeiten vorbei zu sein. Nicht nur dominiert ein eklektischer Partymix, auch ein Gruppengefühl ist da zu spüren, das, man traut es sich kaum zu sagen, an Ibiza erinnert. Die Generation der späten Neunziger bringt heute ihre Kleinkinder mit zur Samstagssause, die dann neben der Tanzfläche im Sand spielen. Die Kaufhausgruppe Target sponsort das Ereignis und verteilt rote Sitzkissen mit ihrem Logo, der Elektronikriese Nokia hat eine digitale Foto-Lounge eingerichtet, in der sich sendungsbewusste Gäste Andenken basteln dürfen. Selbst Kuratorendarling Klaus Biesenbach vom MoMA, zu dem das P.S.1 seit 2001 gehört, sah etwas zerknirscht ob dieser neuen Gemütlichkeit aus.

Nicht einmal ins Museumsgebäude konnte man sich retten, denn die Ausstellung „Greater New York“, Anfang Mai als junge New Yorker Kunst im Aufbruch vermarktet, zeigt statt der versprochenen Frische viel Dillettantismus, Reflexionsunlust und orientierungslose Rückzugsversuche ins Private. Die ist ein bisschen so wie das neue „Warm Up“ selbst. Wo man früher Underground fand, der im Mainstream seine Wirkung entfaltete, stößt man heute auf Mainstream, der sich als Underground verkleidet. Vom Think-Tank der Kunstszene, als das diese Veranstaltung mal galt, keine Spur.

Vielleicht ist im neokonservativen Zeitalter, das da durch Amerika und Europa zieht, der Glanz einer globalisierten Idee von Kunst ganz ohne genrehafte Grenzen brüchig geworden. Die Emphase von Coolness, Pop und DJ-Kunst ist jedenfalls am Zerbröckeln. Die erträumte Dissidenz und Körperentgrenzung scheint heute kaum mehr als ein schönes akademisches Gedankenspiel, und in New York werden die Hipster-Existenzen zudem immer mehr von den Reichen und Ehrgeizigen verdrängt.

Nur die Architektur-Installation „SUR“ von der Gruppe Xefirotarch aus Los Angeles ließ noch was vom alten Charme der „Warm Up Series“ spüren. Die futuristische Leichtmetallkonstruktion aus hellgrauen Röhren und elastischen Schuppen sieht aus wie eine kleinskalierte Mischung aus Jorn Utzons legendärem Opernhaus in Sydney und einem Dinosaurierskelett aus dem naturhistorischen Museum. Das gibt einen ganz aparten Sonnenschutz. Unter dem kann man sich die schwüle New Yorker Hitze auf wellenartigen Sitzgruppen von rundum aufgestellten, kleinen Wassersprenklern wegsprühen lassen.