„Ab 5.000 Euro macht Solidarität erst Spaß“

Die Alterung der Gesellschaft ist kein Problem für die Rentenkassen, wird der Reichtum klug verteilt. In Deutschland ist das seit Mitte der 70er-Jahre nicht mehr der Fall. Mit der Bürgerversicherung kann der Sozialstaat gerettet werden

taz: In Ihrem neuen Buch beschreiben Sie, wie die rot-grüne Bundesregierung den Sozialstaat zugrunde richtet. Geben Sie uns einen Einblick?

Christoph Butterwegge: Unter Rot-Grün ist der Um- und Abbau des Sozialstaates stärker vorangeschritten als unter der CDU/CSU-FDP-Regierung von Helmut Kohl. Teile der sozialen Sicherung hat Rot-Grün privatisiert. Beispiele sind die Riesterrente und die Praxisgebühr von 10 Euro. Die Beschäftigten bezahlen einen zunehmend größeren Teil der sozialen Sicherung alleine.

Was ist das Neue an der Riesterrente?

Diese zusätzliche Altersversorgung wird ausschließlich von den Versicherten, in der Regel den Beschäftigten, finanziert. Im Gegensatz zur gesetzlichen Rentenversicherung, bei der Arbeitnehmer und Arbeitgeber je die Hälfte der Beiträge aufbringen, müssen die Unternehmen zur Riesterrente keinen Beitrag leisten.

Man hört oft, die Alterung der Gesellschaft und die Globalisierung bedrohten die Finanzierung des deutschen Sozialstaates. Richtig oder falsch?

Das sind vorgeschobene Argumente. Einen notwendigen Zusammenhang zwischen der demografischen Entwicklung, beispielsweise der Alterung einer Gesellschaft, und der Rente gibt es nicht. Die Höhe der Altersversorgung ist ökonomisch und politisch bedingt, nicht biologisch. Es kommt darauf an, welchen Reichtum die Gesellschaft erwirtschaftet und wie er auf die Altersgruppen verteilt wird. Bei uns herrscht seit Mitte der 1970er-Jahre eine soziale Schieflage.

Im Jahr 2000 wurden knapp 12 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Altersvorsorge aufgewendet. Im Jahr 2040 werden es etwa 17 Prozent sein. Heißt das nicht, dass entweder die Leistungen gekürzt oder die Rentenbeiträge der Beschäftigten und Unternehmen erhöht werden müssen?

Dass die Kosten für die Altersvorsorge tendenziell steigen, leugne ich nicht. Aber das ist kein Problem, wenn die Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik bis 2040 um jährlich 1,7 Prozent zunimmt, wie das Prognos-Institut annimmt. Dann wäre unsere Gesellschaft doppelt so reich wie heute und könnte höhere Rentenbeiträge ohne Wohlstandseinbußen aufbringen.

Die gesamte Belastung der Einkommen mit Steuern und Sozialabgaben könnte dann über 50 Prozent liegen. Werden die Leute das akzeptieren?

Warum nicht? Laut Umfragen ist die Mehrheit der Bevölkerung beispielsweise bereit, höhere Beiträge zur Krankenversicherung zu entrichten, wenn gleichzeitig die Leistungen stimmen.

Als großes Gegenbild entwerfen Sie die Bürgerversicherung. Was wäre der Vorteil dieses Systems?

In die solidarische Bürgerversicherung würden prinzipiell alle Wohnbürger einbezogen – auch Minister, Beamte und Selbständige, die bisher nicht in das gesetzliche Sozialsystem einzahlen. Und auch auf Einkünfte aus Vermögen, Kapital, Pachten und Mieten würden Beiträge erhoben.

Heute braucht man jenseits eines Monatseinkommens von 5.200 Euro keine Beiträge für die gesetzliche Rentenversicherung mehr zu zahlen. Sollte diese Obergrenze abgeschafft werden?

Ich bin kein Traumtänzer – aber solche Grenzen sind eigentlich systemwidrig. Bei 5.000 Euro fängt Solidarität überhaupt erst an, Spaß zu machen. Denn da ist man selbst mitsamt seiner Familie abgesichert und kann Menschen stärker unterstützen, die sich keine Versicherung leisten können.

Professoren sind in der Regel nicht Mitglieder der gesetzlichen Sozialversicherung, sondern privat versichert. Wären Sie bereit, bisherige Privilegien zugunsten einer Bürgerversicherung mit höheren Beiträgen aufzugeben?

Niemand zahlt gerne mehr Geld. Besserverdienende müssen aber stärker Verantwortung für die Weiterentwicklung des Sozialstaates übernehmen.

Das klingt nicht gerade begeistert. Wenn selbst Sie schon die Stirn runzeln – wie soll Ihr Zukunftsmodell dann in breiten Schichten durchsetzbar sein?

Das gesellschaftlich Richtige und die persönlichen Interessen fallen nicht immer zusammen. Politik besteht darin, institutionelle Regelungen zu treffen, damit sich die Kluft zwischen Arm und Reich nicht weiter vertieft. Es gibt jedenfalls keinen Sachzwang, unseren Sozialstaat zu zerstören.

INTERVIEW: HANNES KOCH