Das Nestlé-Programm

Die Union will eine neue Agrarwende: Zurück zu Massenproduktion und zum Weltmarkt. Davon profitiert die Ernährungsindustrie, Verlierer sind Landwirte und Verbraucher

Die Union verspricht, dass es den Bauern besser geht in den Armen ihrer alten und mächtigen Patrone

Auf den ersten Blick ist das neue Agrarprogramm der CDU erfreulich: Innovation, Transparenz, regionale Vermarktung, integrierte Entwicklung, Entfaltung der Potenziale des ländlichen Raums, Nachhaltigkeit, gesunde Lebensmittel werden aufgeführt. Das Ganze liest sich, als hätte Renate Künast mitgeschrieben. Auch sind die Verbraucher und der ländliche Raum nicht mehr, wie bisher, ein Anhängsel der Landwirtschaft. Alle drei werden gleichwertig nebeneinander gestellt. Bei manchem rot-grünen Politiker mag das Erschrecken über den Begriffsklau sich vermischen mit dem Triumph, doch etwas bewirkt zu haben – die Union muss grüne Themen übernehmen, um anzukommen. Doch der erste Eindruck täuscht, denn hinter den schönen Worten steckt die alte Landwirtschaftspolitik der Union, als hätte es die BSE-Krise nie gegeben.

Die beiden im Bundestag zuständigen Unionspolitiker, Peter Bleser und Gerda Hasselfeldt, sagen kurz und bündiger als ihr Parteiprogramm, wie sie sich moderne Landwirtschaftspolitik vorstellen: Sie wollen bevormundete Verbraucher befreien, die deutsche Agrarwirtschaft aus ihrer „Lethargie“ und die „gesellschaftlichen Leistungsträger aus bürokratischer Gefangenschaft“ erlösen. Gebraucht würde ein freier Handlungsrahmen, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen.

Das ist die Botschaft, die die Klientel der Union hören will. Sie ruft Begeisterung hervor, die absurde Blüten treibt: Nach der von der CDU gewonnenen NRW-Wahl wurde die Grünenpolitikerin Bärbel Höhn als Strohpuppe verbrannt, organisiert von der AG-Öffentlichkeitsarbeit des Kreisbauernverbandes Ruhr-Lippe. Es gibt keinen Anlass, sich über diese PR-Aktion zu amüsieren. Ebenso daneben griff der Bauernpräsident Sonnleitner und sprach von einer zu erwartenden „Bauernbefreiung“.

Diese Demagogie übernimmt die CDU/CSU dankbar. Sie spekuliert dabei auf den offensichtlichen kulturellen Bruch zwischen Bauern und Rot-Grün. Der neue Landwirtschaftsminister NRW preist sich als praktischer Landwirt an, der nicht von außen kommt und wie Rot-Grün den Bauern sagt, was sie zu tun haben. Fachpolitik statt Ideologie und Bürokratismus soll jetzt endlich wieder gelten.

Was das konkret bedeutet, lässt sich an der Politik der Landesregierungen ablesen, in denen die CDU die Rot-Grünen Agrarminister abgelöst hat. Meint die CDU mit dem „Abbau von Bürokratie“ die seit der EU Reform und seit BSE aberwitzig angewachsenen Kontrollverfahren, unter denen die Bauern leiden? In NRW etwa wird darunter etwas anderes verstanden. In Kürze wird der Schweinehaltungserlass aufgehoben, der die Tierzahlen durch die Zahl der betreuenden Arbeitskräfte begrenzte. Das sollte ein Minimum an menschlicher Zuwendung zum Tier gewährleisten. Unter dem Titel „Kuschelerlass“ wurde das für den Bauernverband zum Inbegriff des Bürokratismus. Dass der Erlass dem Tierschutz als auch dem Arbeitsplatzerhalt diente, hat der Verband nie begriffen. Das „Ende der nationalen Alleingänge“ betrifft zunächst die Hühner. Sie sollen wieder in den Käfig, wie in den restlichen EU-Staaten auch. Einer der wenigen Rot-Grünen Erfolge, das Ende der Käfighaltung 2007, soll damit rückgängig gemacht werden.

Ebenso bei der Gentechnik. Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel findet, dass im Bereich der grünen Gentechnik die deutschen Gesetze zurückgenommen werden sollen, die über die EU-Regeln hinausgehen. Bei den möglichen Umweltschäden der Gentechnik wird die CDU dann aber richtig bürokratisch. Statt die Haftung unbürokratisch den Herstellern und Anwendern aufzubürden, wird ein Haftungsfonds konstruiert, in den Täter und Opfer gleichberechtigt einzahlen dürfen: die Biotechnikunternehmen, die Züchter, der Staat in der Startphase und die Landwirte inklusive der Biobauern.

Freie Fahrt für die Massentierhaltung und Gentechnik, zurück hinter die wenigen und bescheidenen Erfolge der Rot-Grünen Agrarpolitik. Das ist der Kern der Rede vom Abbau der Bürokratie und dem Ende der nationalen Alleingänge. Dahinter steckt ein angestrebter „Richtungswechsel“, den das Programm der Partei nur andeutet. Die CDU spricht in ihrem „Agrarprogramm“ von Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft. Dem Leser, der zu Recht bei Landwirtschaft an Bauern denkt, wird ein Kuckucksei untergeschoben.

Was die Ernährungsindustrie hier soll, versteht erst, wer die Rostocker Erklärung des Bauerntags liest. Um die Erzeugnisse der Bauern zu vermarkten, müsse der Verbund der Bauern mit der Ernährungsindustrie gefestigt werden. Die Industrie der Fleisch-, Milch-, Alkohol, Süß- und Backwaren, Erfrischungsgetränke und so weiter wird aufgefordert, wettbewerbsfähige Strukturen herauszubilden. Strategische Allianzen seien nötig, um auf dem globalen Markt, besonders im Mittleren und Fernen Osten und in Osteuropa, mithalten zu können.

In den „Wahlprüfsteinen“ des so heftig umworbenen Bundesverbandes der Ernährungsindustrie werden Exportsubventionen für diese Strategie gefordert. Sie seien nötig, solange die Agrarrohstoffe in Europa teurer sind als auf dem Weltmarkt. Die als Ausbund der Bürokratie gebrandmarkte EU-Kommission schlug übrigens vor, die Exportsubventionen zu streichen, wohl auch, weil sie im Gegensatz zu allen Grundlagen der WTO-Verhandlungen stehen. Der Bauernverband protestierte laut gegen die Absicht aus Brüssel, obwohl nicht die Bauern, sondern die Ernährungsindustrie der Hauptprofiteur dieser Subventionen ist. Die Bauern sollen das Zugpferd spielen für eine Industrie mit 130 Milliarden Euro Umsatz. Abgerundet wird dieses Bündnis durch eine „Stabsstelle Exportförderung“. Laut CDU-Mann Peter Bleser ist sie im neuen Landwirtschaftsministerium fest eingeplant.

Die Demagogie des Bauernverbandes übernimmt die CDU/CSU dankbar

Was hier angeboten wird, ist ein ganz alter Ladenhüter: die „Grüne Front“. In ihr stehen die Bauern zusammen mit der Agrarbürokratie und der Ernährungsindustrie. Umso größer die Molkerei ist, desto mehr Macht haben die Bauern beim Verhandeln mit dem Einzelhandel. Diese alte Ideologie vertuscht, dass Bauer und Ernährungsindustrie nicht die gleichen, sondern auch verschiedene Interessen haben. Der Bauer lebt vom Erzeugerpreis – für die Ernährungswirtschaft dagegen sind die Erzeugerpreise Kosten, die gesenkt werden müssen.

Dies genau ist der Grund, warum sich viele Bauern unabhängig vom Bauernverband und der Industrie in eigenständigen Interessengruppen organisieren. Sie unternehmen den mühsamen Versuch, sich mit den „Verbrauchern“ zu verbünden. Und zwar gerade, weil die Unternehmen der Ernährungsindustrie „strategische Allianzen“ bilden. Der angekündigte „Richtungswechsel“ des CDU/CSU-Agrarprogramms verspricht, dass es den Bauern besser geht in den Armen ihrer alten und mächtigen Patrone. Das ist mindestens so schlimm wie der Rollback bei Massentierhaltung und Gentechnik.

GÖTZ SCHMIDT