Mann fährt Hund

Zu zweit in Patagonien: Der argentinische Regisseur Carlos Sorín bringt in „Bombón – el perro“, seinem mit Laiendarstellern gedrehten Spielfilm, eine Dogge und einen Tankwart zusammen

VON DIETRICH KUHLBRODT

Ein zuversichtlicher Film, der auf wunderbar altmodische Weise das Herz erwärmt. Obwohl, wer in den Film einsteigt, ist konditioniert, einen Sozialfall vorgestellt zu bekommen und Betroffenenleid zu teilen. Denn Juan Villegas (Juan Villegas) ist soeben die Arbeit los (Tankstelle); er ist nicht qualifiziert, und er ist 52.

Juan ist der Held des Films. Allein in Patagonien. Das alte Auto (Abfindung) fährt im Ostinato der langrhythmischen Bodenwellen dahin. Wind und Staub weit und breit. Kaufen die Fabrikarbeiter an der Straße seine handgeschnitzten Messer? Sie kaufen nicht, auch ist die Mittagspause um. Juan lässt geschehen, was geschieht. Er bleibt bei Laune. Sollte man ihm helfen? Solche Signale sendet er nicht aus. Warum auch, wenn die Sache mit Bombón, dem Hund, passiert. Er kriegt die große weiße Dogge geschenkt. Für eine Reparaturgefälligkeit. Das ziemlich selbstsichere Tier sitzt jetzt auf dem Beifahrersitz. Die Köpfe sind auf gleicher Höhe. Juan und Bombón beäugen sich, skeptisch anfangs. Wird das eine Beziehung werden? Sie wird. Die Blicke gehen hin und her.

Daraus folgt zweierlei. Erstens haben wir eine gemeinsame Körpersprache von Tier und Mensch. Und die muss schon deswegen sein, weil es mit der verbalen Kommunikation hapert. Und zweitens ist die zu Unrecht in Verruf geratene Schnitt-Gegenschnitt-Technik mehr als angemessen. Sie ist zwingend. Der ästhetische Aufwand des Films ist minimal. Er dient den zwei Protagonisten, und das sind einfache Menschen beziehungsweise Tiere, man kommt gar nicht auf die Idee, den passenden Oberbegriff zu suchen. Die weiße Dogge ebenso wie der Ex-Tankstellenwärter sind imponierende Charaktere, das ist das Gemeinsame. Und wie selbstverständlich glückt ihnen, was nie glückt. Ein doggenfreundlicher Bankdirektor. Ein Züchter, der Doggenfan ist. Ein Preis in der Hundeschau. Eine syrisch-libanesische Bauchtänzerin in Patagonien. Aber dann doch die Katastrophe: Bombón, der Hund, ist impotent. Und er läuft weg, überfordert.

Wer den Film sieht, tappt jetzt in Fallen. Die Hundefarm mit dem schönen Namen El Progreso ist das Letzte. Entkräftete Tiere hauchen das Leben aus. Das Haus fällt in sich zusammen. Dreck scheint auch der Besitzer am Stecken zu haben. Mit tückischem Blick streitet er ab, unsere weiße Dogge zu haben oder gehabt zu haben. Wir sind im Unrecht. Was ist die Schlusspointe?

Aber man muss das der Körpersprache überlassen. Und die ist verständlich. Mensch und Tier spielen nicht, sie sind, was sie sind. Mit „Bombón – el perro“ setzt Regisseur Carlos Sorín seine berühmten „Historias mínimas“ fort. Wieder sind alle Rollen mit Laien besetzt, und den Spielfilm können wir ebenso gut als Dokumentarfilm sehen. Befreites Sehen ist die Folge, und den Film wahrzunehmen, macht unmittelbar Spaß. Es lebe die unverstellte Rezeption! Die Wortbotschaften sind bloßer Kontrast. „Jetzt sind Sie im Programm“, sagt der städtische Bürokrat erleichtert, nachdem er umständlich am Computer hantiert hat, um den Arbeitslosen zu registrieren und den Fall zu erledigen. Juan Villegas ist jedoch nicht erledigt. Man muss nur seine Augen sehen und das Elementare, das er ausstrahlt, als er den ersten Beifall auf der Züchterausstellung bekommt. Da ist einer vom ersten Applaus überwältigt. „Bombón“ ist sein erster Film. Vor und nach der Produktion fährt er Autos in die Garage. Und der Bankdirektor leitet nach wie vor die Pressestelle der Regierung von Bahía Blanca. Bis unmittelbar vor Drehbeginn hatte er geglaubt, dass das Projekt ein Scherz sei, den sich seine Freunde ausgedacht hätten.

Ein Beamter, eine Dogge, ein arbeitsloser Arbeiter in einer Interaktion, die nicht der Übersetzung in Worte bedarf: ein Märchen? Dass dem nicht so ist, steht das Dokumentarische vor. Respekt!

„Bombón – el perro“, Regie: Carlos Sorín. Mit Juan Villegas, Walter Donado u. a., Argentinien 2004, 97 Min.