Atomstreit zermürbt Diplomaten

Die Gespräche über Nordkoreas Atomprogramm drohen trotz Rekordlänge zu scheitern

PEKING taz ■ Sichtlich zermürbt haben sich am gestrigen elften Tag der Nordkorea-Verhandlungen die Diplomaten in ihre Sitzungsräume im Pekinger Staatsgästehaus geschleppt. Mit jeder Minute sank die Hoffnung, noch eine Kompromissformel zu finden, um das tiefe Misstrauen im Atomwaffenstreit zwischen den Hauptkontrahenten USA und Nordkorea zu überbrücken.

Ein Knackpunkt: Pjöngjang will weiter zivile Atomkraftwerke betreiben. Dagegen verlangt Washington, dass Nordkorea alle Nuklearprojekte verschrottet, um sicherzugehen, dass Pjöngjang nicht heimlich doch an der Bombe weiterbastelt. Außerdem geht es um die Reihenfolge der Schritte. US-Verhandler Christopher Hill: „Wir können uns nicht in eine Lage bringen, in der die Nordkoreaner vorgeben, dass sie ihre Atomwaffen aufgeben und wir so tun, als ob wir ihnen glauben.“ Dagegen erklärte Nordkoreas Vizeminister Kim Kye Gwan: „Wir sind in keinem Krieg besiegt worden, und wir haben nichts verbrochen. Warum dürfen wir kein friedliches Atomprogramm haben?“ Chinas Regierung kostete es als Gastgeber der Sechsergespräche – mit Nord- und Südkorea, USA, China, Japan und Russland – in den letzten Tagen Mühe, ein Scheitern zu verhindern: Mehrfach legte sie neue Vorschläge für eine gemeinsame Abschlusserklärung vor, die als Leitlinie für künftige Verhandlungen dienen soll. Details wurden nicht bekannt.

Südkorea hat versprochen, den Norden mit zwei Millionen Kilowatt Strom zu versorgen, falls er sein Atomprogramm verschrottet. Das reicht Pjöngjang aber nicht: Es fordert von Washington u. a. Sicherheitsgarantien und die diplomatische Anerkennung, bevor es atomar abrüstet. Pekings streng kontrollierte Medien verfolgen die Verhandlungen lebhaft. Offene Kritik an Nordkorea ist tabu. Dennoch ist wachsende Ungeduld mit der Verhandlungsstrategie Nordkoreas zu spüren, das auch forderte, Washington müsse die Militärabkommen kündigen, mit denen Japan und Südkorea auch durch US-Atomwaffen verteidigt werden sollen.

Ein Scheitern der Verhandlungen würde zeigen, wie wenig Einfluss Chinas Führung auf Pjöngjang hat, obwohl sie das Regime Kim Jong-Ils mit Reis- und Öllieferungen vor dem Kollaps bewahrt, zusammen mit Südkorea, das massiv Hilfsgüter schickte.

Chinas Verhandlungsführer erklärte inzwischen, der Erfolg hänge nicht von einer gemeinsamen Erklärung ab. Als einzig positive Information konnten Chinas Medien bis gestern Nachmittag vermelden, dass diese vierte Verhandlungsrunde die „längste seit Beginn der Gespräche im Jahr 2003“ war. Die Vertreter der USA und Nordkoreas trafen sich neunmal zu direkten Gesprächen – häufiger als je zuvor.

Nordkorea pokert weiter. Sollte die Runde erfolglos enden, wollen die USA den Streit vor den UN-Sicherheitsrat bringen und Wirtschaftssanktionen gegen Pjöngjang verlangen – das bereits drohte, dies als „Kriegserklärung“ zu werten.

JUTTA LIETSCH